The Guardian

Die 1921 gegründete Tageszeitung „The Guardian“ (zu Deutsch: „der Hüter/Beschützer“) wurde 2011 bei den „British Press Awards“ zur Zeitung des Jahres gekürt. Dieser Auszeichnung gingen seit 1999 viele Preise vor allem für die Internetpräsenz voran. Insbesondere deren Online-Strategie, die durch die innovative Kraft ihres Herausgebers Alan Rusbridger vorangetrieben wird, nimmt weltweit eine Vorreiterrolle ein. Die Internetseite des „The Guardian“ ist die meistbesuchte Zeitungswebseite der Welt. Die jüngsten Enthüllungen des Abhörskandals bei der „News of the World“ haben nicht nur die mediale und politische Landschaft Großbritanniens verändert, sondern auch den weltweiten Ruf des „The Guardian“ für qualitativ hochwertigen, investigativen Journalismus gefestigt.

Basisdaten

Gründungsjahr: 1821

Hauptsitz Redaktion "The Guardian"
Kings Place, 90 York Way
London N1 9GU
Internet: http://www.guardian.co.uk

Tab. I: Auflagenentwicklung (täglich) "The Guardian" 2005-2011
06/200106/201006/200901/200809/200707/200604/2005
256.283286.220336.034378.394367.546370.612367.478

Quelle: ABC/ www.pressgazette.co.uk

Redaktion

  • Alan Rusbridger, Chefredakteur
  • Chris Elliott, readers' editor


Hauptsitz Verlag “Guardian News & Media”
Kings Place
90 York Way
London
N1 9GU
Tel.: 020 3353 2000
http://www.guardian.co.uk/

Tab. II: Ökonomische Basisdaten (Guardian News & Media)
2010/112009/102008/092007/082006/07
Umsatz (in Mio. £)198,2221253,6***261,9***245,7***
Gewinn (Verlust (in Mio. £)**(41,6)(55,3)(59,1)(82,4)(12,4)
Beschäftigte1.300k.A.k.A.k.A.k.A.

**Operating profit (loss)
***Turnover

Geschäftsführender Vorstand

  • Andrew Miller, CEO Guardian Media Group, Vorstandschef Guardian News & Media
  • Alan Rusbridger, Chefredakteur Guardian News & Media
  • Sheila Fitzsimons, Geschäftsführende Leiterin Transformation, Guardian News & Media
  • Adam Freeman, Geschäftsführender Leiter Werbung, Guardian News & Media
  • Jon Cornaby, Finanzdirektor Guardian News & Media
  • Derek Gannon, Produktionsleiter Guardian News & Media
  • Colin Hughes, Leiter Geschäftsbetrieb & Geschäftspersonen, Guardian News & Media
  • Carolyn Gray, Gruppenleiterin für Personalwesen und Nachhaltigkeit, Guardian Media Group
  • Chris Wade, Gruppenleiter für Organisationskommunikation, Guardian Media Group
  • Darren Singer, Finanzchef Guardian Media Group

 

Hauptsitz „Guardian Media Group“
Kings Place
90 York Way
London
N1 9GU
Tel.: 020 3353 2000
http://www.gmgplc.co.uk/

Tab. III: Ökonomische Basisdaten (Guardian Media Group)
2010/112009/102008/092007/082006/07
Umsatz (in Mio. £)255,1280310,9381,6593,9
Gewinn (Verlust) vor Steuern (in Mio. £)9,0(171)(96,7)306,497,7
Gewinn (Verlust) (in Mio. £)*(58,6)(135,3)(88,8)(63,2)113,3
Beschäftigte2.1132.3113.8124.3146.996

*Operating profit (loss)

Besitzverhältnisse: Guadian Media Group (100%), welche zu 100 Prozent dem Scott Trust gehört.

Geschichte und Profil

Liberale Interessen und die seit dem Peterloo Massaker bestehende Kontroverse gegen die Korngesetze veranlassten den Baumwollhändler John Edward Taylor (1791-1844) im Jahr 1821 zur Gründung des „Manchester Guardian“. Am 5. Mai erschien die erste Ausgabe, die aus lediglich vier Seiten bestand und deren erste Seite von Anzeigen geziert wurde. Es war die Antwort auf die Frage „Why don’t you start a newspaper?“, die ihm bereits zwei Jahre zuvor ein Drucker aus Suffolk stellte, als dieser erfuhr, dass Taylor der Beleidigung an dem konservativen Tory-Anführer John Greenwood aus Manchester bezichtigt wurde. Die Idee der Übernahme einer anderen Zeitung hatte der Baumwollhändler schnell verworfen und leihte sich stattdessen von zehn Freunden Geld. Jeder steuerte 100 Pfund bei, ein elfter 50 Pfund und das Startkapital von 1.050 Pfund war gegeben. Ziel war es, mittels journalistischer Berichterstattung Reformen und die Bürger- und Religionsfreiheit zu unterstützen. In Manchester ließen sich die sechs bestehenden Zeitungen in zwei reformerische Blätter und vier etablierte Tory-Anhänger klassifizieren. Seinen Lebensunterhalt musste Taylor weiterhin mittels seiner Tätigkeit als Drucker verdienen, da der „The Manchester Guardian“ lediglich 15 bis 16 Pfund Umsatz pro Woche generierte.

Manchester war um 1821 von dutzenden aufgrund der Textilindustrie prosperierenden Städten umgeben und galt als Hauptstadt dieser Wirtschaftsregion. Demnach enthielt der „The Manchester Guardian“ sowohl Lokalnachrichten als auch Meldungen aus London vom britischen Parlament. Die Anzeigen waren lokal sowie national ausgerichtet. Während das stets samstags erscheinende Blatt mit einer Auflage von 1000 Exemplaren startete, zählte es Ende 1823 bereits 2000 und zwei Jahre später 3000 Stück. Bei dieser Anzahl blieb es dann einige Zeit. Drei verschiedene Vertriebswege wurden zur Verbreitung genutzt: Die Zustellung erfolgte sowohl postalisch, über Dienstleister in Nachbarstädten bzw. feste Guardian-Verteiler als auch über einen Verkauf am Ladentisch. Lediglich zwei Jahre nach Gründung des „The Manchester Guardian“ zeichnete sich das Blatt als profitreichste Zeitung aus Manchester aus. Eines der Erfolgskonzepte war neben der Besetzung der Redaktion mit den etabliertesten Journalisten Manchesters die finanzielle Unterstützung durch Geschäftsleute sowie die hohe Bedeutung des Dialogs mit den Lesern. Zudem wurde das Recht auf Gegendarstellung praktiziert. Während die Redakteure versuchten, sich durch neue Standards im genauen und vollständigen Berichten gegen Verbrecher und Schwindler einzusetzen, gestaltete sich die Unterstützung sozialer Reformen zum Ärgernis der Arbeiterklasse eher auf zurückhaltende Weise.

Als John Edward Taylor im Alter von 52 Jahren an einer Halserkrankung verstarb, hinterließ er seinen beiden Söhnen Russell Scott (18 Jahre) und John Edward (13 Jahre) sein Erbe. Da diese erst im Alter von 22 Jahren die Nachfolge Ihres Vaters als Herausgeber des liberalen Blattes antreten sollten, wurde gemäß John Edward Taylors letztem Willen sein Schwager Russell Scott neuer Besitzer der Zeitung. Russell Scott Taylor erlag einige Jahre später einem Typhusleiden.

Zu dieser Zeit wurde der „The Manchester Guardian“ nicht nur samstags, sondern aufgrund der starken Konkurrenz in Manchester auch mittwochs veröffentlicht (seit 1836). Mit der Abschaffung der Stempelsteuer für Zeitungen entwickelte sich das Blatt 1855 zu einer Tageszeitung, deren Preis sich pro Exemplar bei einer durchschnittlichen Auflage von 23.000 Stück mehr als halbierte (von 7 Penny auf 2 Penny). Auf die Wahl in Manchester im März 1857 folgten düstere Zeiten für den „The Manchester Guardian“, der den „The Manchester Examiner“ zu seinen größten Konkurrenten zählte. Dieser konnte seine Exemplare für jeweils einen Penny verkaufen und musste im Gegensatz zum „The Manchester Guardian“ nicht mit einem Mangel an Kapital ringen. Darüber hinaus litt der „The Manchester Guardian“ an dem mangelnden Interesse von John Edward Taylor an seiner Herausgeberschaft. Dieser zog nach London, wo er sich seiner Kunstsammlung widmete. 1870 hatte er schließlich mit Charles Prestwich Scott, dem Sohn von Russell Scott, einen verlässlichen Nachfolger gefunden. 1872 wurde C.P. Scott neuer Herausgeber und hielt diesen Posten über 57 Jahre. Mit dem Tod von Taylors zweitem Sohn (1905) kaufte er zwei Jahre später das Blatt und versuchte als Besitzer und Herausgeber die journalistische Unabhängigkeit zu wahren. Als liberaler Denker thematisierte er nicht nur die sozialen Bedingungen der Bergwerke und verschaffte dem Blatt durch Theaterkritiken und Informationen über Kunstausstellungen eine neue Qualität, sondern setzte sich zudem für das Prinzip der strikten Trennung von Information und Kommentar ein. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Blattes hob er die Prinzipien des „The Manchester Guardian“ hervor: „Der Kommentar ist frei, aber Fakten sind heilig… Sowohl die Stimme von Kontrahenten als auch die von Freunden hat das Recht darauf, gehört zu werden.“ Unter C.P. Scott erlangte der „The Manchester Guardian“ nationale und internationale Anerkennung. Der finanzielle Aufschwung wurde durch die Einstellung des Konkurrenten „The Manchester Examiner“ (1894) im Zuge der Home Rule Crisis bestärkt. Im politisch linken Flügel hatte der „The Manchester Guardian“ nun eine Monopolstellung inne, die logistisch in der Verbindung des Verlagssitzes mit dem Gebäude des ehemaligen „The Manchester Examiner“ gipfelte. Darüber hinaus war es C.P. Scott möglich, wöchentlich eine kompakte Ausgabe mit den interessantesten Meldungen zu veröffentlichen. Der erste „The Manchester Guardian Weekly“ erschien am 4. Juli 1919. Zehn Jahre später, mit dem Rückzug von C.P. Scott aus dem Tagesgeschäft, wurde sein Sohn Edward (Ted) Scott neuer Herausgeber, welcher jedoch im gleichen Jahr wie sein Vater, 1932, bei einem Bootsunfall verunglückte. Diesen unerwarteten Todesfall nahm der hinterbliebene Bruder John Scott zum Anlass, die Stiftung „Scott Trust“ zu gründen, um die Unabhängigkeit und Kontinuität der journalistischen Prinzipien seines Vaters C.P. Scott zu bewahren. Der „Scott Trust“ sollte dafür verantwortlich zeichnen, die Redaktionslinie beizubehalten sowie die finanzielle Grundlage zu sichern. Gewinne sollten demnach für die Expansion des Unternehmens bzw. zur Verbesserung der Zeitung genutzt werden. Diese Prinzipien stellen auch heute noch die Grundlage eines jeden Herausgebers dar.

Bis 1944 wurde die Position des Herausgebers von William Perceival Crozier übernommen. Die Reputation des „The Manchester Guardian“ als liberales und gut informiertes Blatt wurde jedoch vor allem unter der Herausgeberschaft von Alfred Powell Wadsworth gesteigert. Von nun an gelangten die Nachrichten auf die Seite eins, die Auflage konnte mit mehr als 168.000 Exemplaren verdoppelt werden. Um den Wettbewerb und die nationale sowie internationale Verbreitung weiter anzukurbeln, beendete das Blatt den Auslandsdienst, den es sich mit der „The Times“ teilte, strich den Namen „Manchester“ aus dem Titel (1959) und druckte seit 1961 auch in London. Aufgrund von gehäuft auftretenden Druckfehlern, die auf die Ausweitung auf zwei Druckereistandorte zurückführbar sind, erhielt der „Guardian“ den Spitznamen „The Grauniad“.

Politisch endete mit der Wahl im Jahr 1945 die offizielle Verbindung zwischen dem „The Manchester Guardian“ und der liberalen Partei. Vor allem im Sinai-Krieg bezog die Zeitung Partei und setzte sich im Gegensatz zu der Mehrheit der britischen Presse gegen ein militärisches Eingreifen Großbritanniens ein. Als eine der Stärken des Blattes kann neben regelmäßig erscheinenden Karikaturen die Debatte über die Rolle der Frauen in der Gesellschaft, die auf speziellen Hausfrauenseiten geführt wurde, hervorgehoben werden.
Der im Jahr 1976 vollzogene Rückzug aus Manchester wurde bereits 1964 eingeleitet, als der Hauptsitz des Verlags nach London in die Gray’s Inn Rd verlegt wurde, wo sich neben der Druckerei übrigens auch „The Sunday Times“ befand. Es folgten aufgrund der Expansion nach London Zeiten der finanziellen Krise, in denen ernsthaft eine Fusion mit „The Times“ diskutiert wurde, da der finanzielle Rückhalt durch das verlagseigene Blatt „Manchester Evening News“ nicht weiter garantiert werden konnte. Langfristig besserte sich jedoch die finanzielle Lage des Verlags, sodass der Launch von freien Wochentiteln sowie der Ankauf eines Mehrheitsanteils an der Surrey Avertiser Group (1978) ermöglicht wurden.

1975 nahm der von Zeitgenossen als unersetzbar bezeichnete Peter Preston seine Arbeit als Herausgeber des „The Guardian“ auf. In den politisch stark polarisierten Debatten Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre galt das Blatt als die Stimme der Linken. Während auf den Meinungsseiten die Geburtsstunde der sozialdemokratischen Partei SDP eingeläutet wurde, wurde die zukünftige Ausrichtung der Arbeiterpartei über Leserbriefe ausgefochten.
Peter Preston veranlasste 1988 radikale Veränderungen im Design, gab eine internationale Ausgabe in Europa und erstmalig eine Wochenendsektion heraus. Wesentlicher Grund war ein neuer Wettbewerber im Segment der Qualitätspresse: „The Independent“. Die 1986 gegründete Zeitung positionierte sich im Zentrum zwischen dem „The Guardian“ auf dem linken und der „The Times“ und dem „The Daily Telegraph“ auf dem rechten Flügel, sodass viele Leser nicht zuletzt aufgrund namhafter Journalisten und eines modernen Designs abwanderten. Darüber hinaus wurde der Wettbewerb 1993 durch einen intensiven, von der „The Times“ initiierten Preiskrieg angetrieben. Im Gegensatz zum „The Daily Telegraph“ oder „The Times“ blieb der „The Guardian“ bei seinem Preis und investierte stattdessen in die journalistische Berichterstattung. Die Strategie bewährte sich, was sich in einer Erhöhung der Auflage äußerte, die vor allem auf die qualitativ hochwertige und innovative Berichterstattung zurückgeführt werden kann.

Während die Unabhängigkeit aufgrund der besonderen Besitzverhältnisse über die Stiftung „Scott Trust“ gesichert werden konnte, blühte die Zeitung Mitte der 90er Jahre vor allem unter Alan Rusbridger journalistisch und finanziell auf. Intensive und monatelange Recherchen von Redaktionsteams deckten diverse Skandale auf. So legte der „The Guardian“ im Oktober 1994 offen, dass die beiden Mitglieder der konservativen Regierung Tim Smith und Neil Hamilton in ihrer zu der Zeit bereits vergangenen Position als einfache Abgeordnete bezahlt wurden, um im Parlament Fragen über Mohammed Al Fayed, den Besitzer des Londoner Kaufhauses Harrods, aufzuwerfen. Dies führte zu dem Rücktritt beider Regierungsmitglieder. An der Recherche dieses Sachverhalts arbeiteten Guardian-Mitarbeiter über fünfzehn Monate. Die Nachforschungen im Fall des konservativen Ministers und Lobbyisten Neil Hamilton mündeten 1997 in der Ehrung „Newspaper of the Year” (ebenso 1998 und 1999) sowie in der Verleihung des “Team Reporting Award” bei den British Press Awards.
Die im Januar 1999 gelaunchte Webseite „Guardian Unlimited“ wurde mit 2,4 Millionen Nutzern im März 2001 beliebteste Zeitungswebseite Großbritanniens. 2008 wurde sie in guardian.co.uk umbenannt. Die Printausgabe wurde 2005 einer völligen Umgestaltung unterzogen: Als erste britische Zeitung wurde das Berliner Format eingeführt, das sich als handlicher erwies und durch die Nutzung von Farbelementen optisch die Nutzerfreundlichkeit unterstützte.

Verlagsüberblick, Geschäftsfelder und Management

Die „The Guardian Media Group“, eine der führenden britischen Medienorganisationen, hält im Kerngeschäft den Verlag „The Guardian News and Media“. Darüber hinaus gehören das britische Radiounternehmen GMG Radio und der Softwareanbieter GMG Property Services zum Konzern. Die „The Guardian Media Group“ hält zudem einen Investmentfonds, einen Mehrheitsanteil an „Auto Trader“ (Trader Media Group) und einen Minderheitsanteil an der Mediengruppe „Emap“ sowie Anteile an „Seven Publishing“, um laut Unternehmensangeben die Basis für finanzielle Stabilität im Kerngeschäft zu stellen.
Zum Portfolio des Verlags „The Guardian News and Media“ zählen sowohl die Tageszeitung „The Guardian“, „The Guardian Weekly“, die Webseite „paidContent“ als auch die Sonntagszeitung „The Observer“. „The Guardian Weekly“, 1919 gegründet und ein Zusammenschnitt ausgewählter Artikel des „The Guardian“ und des „The Observer“ mit zusätzlicher Berichterstattung aus der „Washington Post“ und „Le Monde“, erscheint inzwischen weltweit. Mehr als 100 Jahre zuvor (1791) wurde das Wochenblatt „The Observer“ ins Leben gerufen, das seit 1993 Teil der „The Guardian Media Group“ wurde. Ebenso wie der „The Guardian“ setzt der sozialdemokratisch ausgerichtete „The Observer“ auf Hintergrundberichterstattung, wobei das Blatt an die wöchentliche Erscheinungsweise angepasst in die vier Sektionen News, Sport, Observer Magazine und New Review eingeteilt ist. Im Zuge der Digitalisierung und der zunehmenden Bedeutung der neuen Medien übernahm der Verlag im Juli 2008 das in New York ansässige Unternehmen „ContentNext Media“. Zu dessen Portfolio zählen die Webseiten paidContent.org, mocoNews.net, contentSutra.com und paidContent:UK, die sich mit Neuerungen, technischen Entwicklungen und Kapitalbeteiligungen im Bereich Unterhaltung, Vermarktung, Werbung etc. auseinandersetzen.
Als der derzeitige Chefredakteur Alan Rusbridger (Jahrgang 1953) im Jahr 1995 als Herausgeber die Leitung des „The Guardian“ übernahm, war er dazu bestimmt, sicherzustellen, dass der „The Guardian“ als Mainstream- und nicht als Nischenblatt betrachtet wird, ohne dabei seine liberale Agenda zu opfern. Der als vorausschauend und strategisch beschriebene Journalist schaffte durch diverse Neuerungen diesen Spagat, sodass sowohl Essays als auch Boulevard-Berichterstattung zum Themenspektrum gehören. Er kurbelte die Berichterstattung über Sport und Wirtschaft an und managte in Zusammenarbeit mit der Werbung die Entwicklung der sogenannten „G3“ Sektionen, der Beilagen zu Medien, Gesellschaft und Bildung, die sowohl Leser als auch Werbekunden anziehen. Die Einführung eines täglichen Magazins, des Berliner Formats in der Printausgabe sowie eine der am häufigsten frequentierten Online-Zeitungsseiten sind seinem Konto gutzuschreiben.
Als einer der bedeutendsten Augenblicke in seiner Karriere kann die Rücknahme der Verleumdungsklage in Höhe von 10 Millionen Pfund gegen den „The Guardian“ des ehemaligen Ministers Jonathan Aitken gezählt werden. Die Recherchen im Fall Aitken waren einer der Gründe, warum Rusbridger zum „Editor of the Year“ (1996) und 1997 zum „Editor’s Editor“ von der „Press Gazette“ gekürt wurde.

1997 führte er erstmals den Posten des Leserredakteurs („reader’s editor“) ein, der Leserbriefe und -beschwerden auswertet und täglich eine Kolumne zu Korrekturen und Richtigstellungen verfasst. Der Dialog mit den Lesern stellt für ihn einen wesentlichen Bestandteil journalistischer Arbeit dar. Insbesondere auf der Internetseite des „The Guardian“ werden Leserkommentare gleichrangig mit Artikeln behandelt sowie vollständig abgebildet. Die Einbindung der Nutzer stellt einen wesentlichen Unterschied zu anderen Zeitungen dar, die das Internet lediglich als weiteren Distributionskanal nutzen.

Zudem gilt Rusbridger gemeinhin als Innovator im online-basierten Journalismus. Er spricht sich explizit gegen Bezahlschranken und bezahlte Inhalte im Internet aus, da diese nicht an den Lesern sondern reinen Geschäftsmodellen ausgerichtet seien. Neue Technologien und Soziale Medien spielen für ihn eine große Rolle, sodass er seine Mitarbeiter beispielsweise animiert, Facebook beizutreten. Twitter versteht er als geniales journalistisches Werkzeug, das Filter, Rück- und Marketingkanal in einem darstellt. Derzeit (Stand: Oktober 2011) wird die Leser-Mitbestimmung über Twitter getestet. Sie sollen darüber abstimmen können, welche der Nachrichten aus einer Liste vorgesehener Themen recherchiert werden sollen.
Sein strategischer und optimistischer Umgang mit neuen Medien zeigte sich beispielsweise in einem Interview mit dem österreichischen „derStandard“: „Die größte Hoffnung für den Journalismus ist, dass die Chancen der Veränderung erkannt werden, anstatt die Veränderungen nur als Bedrohung anzusehen.“ Journalisten haben seiner Ansicht nach keine autoritäre Gate-Keeper-Funktion mehr inne, wie dies noch im letzten Jahrhundert der Fall gewesen sein mag. Für Rusbridger ist das traditionelle Zeitungsgeschäft an seinem Ende angekommen. Das Modell der gedruckten Zeitung erklärte er für tot, weil es nicht mehr zu finanzieren sei und Anzeigenkunden dies nicht mehr mittragen wollten. Die Zukunft liege demnach in einer Umkehrung der journalistischen Arbeit auf Basis der Digitalisierung. Da die Möglichkeiten des Bürgerjournalismus auf eine neue Stufe gehoben wurden, müssten Journalisten akzeptieren, dass Leser häufig mehr wissen als sie selbst. Um weiterhin relevant zu bleiben, müsse sich der Journalismus verändern.

Internetpräsenz und Online-Performance

Die Internetseite des „The Guardian“ www.guardian.co.uk ist mit 36,981 Millionen Besuchern im Monat die mit Abstand meistbesuchte Zeitungswebseite der Welt.

Im September 1995 wurde erstmals das „The Guardian’s New Media Lab“ ins Leben gerufen, um die elektronischen Publikationen des „The Guardian“ und des „The Observer“ zu implementieren. Einzelne spezialisierte Webseiten für Fußball oder Technologien wurden schließlich im Januar 1999 zu dem „The Guardian Unlimited network of websites“ zusammengeführt. Neun Monate später zählte die Webseite bereits 10,2 Millionen Seitenaufrufe im Monat. „The Guardian Unlimited” gewann im Jahr 2000 den „US Eppy Award“ für das beste Design und wurde bei den „Newspaper Society Awards“ zur besten Zeitung im Internet gekürt. Bei den „British Press Awards“ wurde „News Unlimited“ zum Online-Nachrichtendienst des Jahres ernannt. Im November 2000 schaltete „The Guardian“ als erster Verlag eine Werbekampagne über alle Plattformen: von der Zeitung bis zum PDA. Ein Jahr später äußerte sich die neue Markenstrategie darin, dass auch das Fernsehen als Werbekanal für „The Guardian Unlimited“ genutzt wurde. Das zahlte sich aus, schließlich wurde „The Guardian Unlimited“ im April 2001 mit 30,2 Millionen Seitenaufrufen und 2,4 Millionen Besuchern die beliebteste britische Nachrichtenwebseite.

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase baute das Blatt sein Onlineangebot im Gegensatz zu vielen anderen Medienunternehmen aus. Aufgrund des finanziellen Rückhalts durch den „Scott Trust“ konnte sich „The Guardian Unlimited“ in seiner Onlinepräsenz einen Vorsprung verschaffen, der das heutige Image des Online-Primus’ erklärt. Ein weiterer Grund liegt in der Berichterstattung nach dem 11. September 2001. Viele Amerikaner verloren das Vertrauen in die nationale Berichterstattung und entdeckten die liberale Alternative aus Großbritannien für sich. Bereits drei Jahre später waren die Nutzerzahlen der Internetseite dreimal so hoch. 2008 brach der Onlineauftritt als erste britische Nachrichtenwebseite den Rekord von 20 Millionen einzelnen Nutzern im Monat. Klickzahlen bei Bildergalerien sowie Suchmaschinenoptimierung trieben die Nutzungsquote in die Höhe. Der Erfolg schlug sich in weiteren Auszeichnungen als beste Online-Tageszeitung („Newspaper Society Awards“/2002, „Webby Awards“/2005 und 2009) nieder. 2006 wechselte der „The Guardian“ bei nationalen und internationalen Nachrichten zu einem halben „web-first“-Ansatz, das heißt dass alle Inhalte im Internet veröffentlicht wurden, nachdem sie verfasst, überarbeitet und an die Leser-Abonnenten geschickt wurden.

Im Jahr 2008 zogen sowohl Verlag als auch Redaktion in das moderne Kulturzentrum Kings Place. In einem Großraumbüro arbeitend fühlen sich die Mitarbeiter Insidern zufolge wie in einem Call-Center. Die Redaktionen des „The Guardian“ und des „The Oberver“ sollen auf diese Weise bessere Absprachen treffen und Synergieeffekte nutzen. Die Arbeitsprozesse wurden so umorganisiert, dass laut Rusbridger zwanzig bis dreißig Prozent mehr Ressourcen in digitale Inhalte fließen. Vor dem Umzug waren von den 800 Journalisten 100 für die Internetseiten zuständig. Ab 2008 wurde im Zuge der zunehmenden Konvergenz ein integriertes Redaktionsmodell eingeführt, sodass jeder Redakteur für alle medialen Plattformen zuständig wurde.

Ein völliger Strategiewechsel zu einem „digital-first“ Unternehmen wurde im Juni 2011 eingeleitet. Alan Rusbridger kündigte an, in Zukunft zuerst in digitale Inhalte investieren zu wollen, da nicht nur die Anzahl der Online-Nutzer gestiegen sei, sondern auch Zeitungen aufgrund sinkender Werbeeinnahmen und Auflagenzahlen vor finanzielle Herausforderungen gestellt würden. Inhalte erscheinen von nun an stets zuerst auf der Internetseite. Um sich an die neuen Lesergewohnheiten anzupassen, am Tag online und erst abends die Printausgabe zu lesen, wurden Strukturen im gedruckten Exemplar angepasst. Darüber hinaus sollen die digitalen Geschäftstätigkeiten in den USA ausgebaut werden. Ein in New York ansässiges Team soll den derzeitigen Online-Leseranteil von 11,8 Millionen US-Amerikanern (Stand Mai 2011) erhöhen und Werbeeinnahmen steigern.

Die Internetseite www.guardian.co.uk bietet neben diversen Weblogs (u.a. zu Musik, Politik, Sport) und einer speziellen Seite für Leserkommentare („Comment is free“, seit 2006) aktuelle sowie archivierte digitale Ausgaben des „The Guardian“ und des „The Observer“ an. Das Themenspektrum reicht von Nachrichten aus Sport, Kultur oder Recht über Technikneuigkeiten, Rugbynachrichten per Mailversand, TEFL-Lernmaterialien bis hin zu Jobangeboten und Online-Dating. Auch auf mobile Endgeräte wurden die Inhalte angepasst. So wurde die 2009 gelaunchte „The Guardian“-App für Apples iPhone und iPod touch im ersten Monat etwa 70.000-mal heruntergeladen. Im Oktober 2011 startete als Antwort auf die steigende Anzahl von iPad-Nutzern (weltweit 15 Millionen, Stand Oktober 2011) eine iPad-App für 9,99 Dollar im Monat. Es wird ersichtlich, dass Rusbridgers Ablehnung von Bezahlschranken nicht auf mobile Dienste angewendet wird. Damit die Anzahl der Abonnements der Printausgabe nicht völlig einbricht, erhalten Abonnenten die mobile Version kostenlos.

Im Mai 2011griffen im Durchschnitt weltweit täglich 2,8 Millionen einzelne Nutzer auf die Internetseite www.guardian.co.uk zu, während im gesamten Monat 50 Millionen Nutzer registriert wurden. In einem Ranking der Press Gazette befindet sich die Webseite auf Platz 3 der meist besuchten Nachrichtenwebseiten Großbritanniens (Platz 1: BBC News).

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Während die „digital-first“-Strategie in Theorie und Praxis umgesetzt wird, leidet die gedruckte Ausgabe des „The Guardian“ unter sinkenden Auflagenzahlen. Im Gegensatz zu der Vorreiterrolle der Webseite unter den weltweit meistbesuchten Zeitungsinternetseiten erscheint die gedruckte Ausgabe nicht einmal unter den Top 100 der kostenpflichtigen Tageszeitungen in den „World Press Trends 2010“ der „World Association of Newspapers and News Publishers“. Im September 2011 wurden täglich durchschnittlich 232.566 Exemplare verkauft. Dies entspricht einem Rückgang um über 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch „The Times“ (-11,77 Prozent) und „The Independent“ (-3,17 Prozent) mussten Einbußen verkraften, jedoch ist der „The Guardian“ nach dem „The Daily Star“ unter den britischen Tageszeitungen am schlimmsten betroffen. Bei den Sonntagszeitungen musste auch das Schwesterblatt „The Observer“ einen Verkaufsrückgang von 16,12 Prozent einstecken. Im Kontrast dazu geht aus einer Studie des National Readership Survey (März 2010 bis März 2011) hervor, dass der „The Guardian“ die einzige britische Tageszeitung mit wachsenden Nutzerzahlen ist. Daraus lässt sich ableiten, dass zwar die Popularität der Internetseite steigt, jedoch das Printobjekt als Erlösquelle an Relevanz verliert.

Die neue Strategie des Verlags „The Guardian News and Media“ setzt den Fokus auf Digitalisierung. In Abkehr von dem Printobjekt konzentriert sich das Investment auf digitale Initiativen. Es sollen zukünftig verstärkt mobile Dienste angeboten werden, um das digitale Wachstum voranzutreiben und somit langfristig finanzielle Stabilität zu schaffen. Zudem sieht sich der „The Guardian“ als Pionier im sogenannten offenen Journalismus („Open Journalism“), der durch die Einbindung der Leser gemeinschaftlich und als weltweites Netzwerk ausgerichtet ist. Beispielsweise wurden im Rahmen der Proteste in Ägypten zusätzlich zur Berichterstattung ins Arabische übersetzte live Blogs als weitere Plattform zur Verfügung gestellt.

Im Juli 2010 sorgte die Zusammenarbeit mit WikiLeaks für Aufruhr, da geheime Informationen aus mehreren Tausend Geheimakten über den Afghanistan-Krieg zeitgleich im „The Guardian“, in der „New York Times“ und in der deutschen Wochenzeitung „Der Spiegel“ veröffentlicht wurden. Es wurde eine neue Form des „Whistleblower“-Journalismus eingeführt, die es in diesem Ausmaß vorher noch nicht gab. Als der „Guardian“ und andere ausgewählte Magazine und Tageszeitungen im November 2010 zeitgleich vertrauliche Botschaftsdepeschen der US-Regierung veröffentlichten, führte dies zu Erschütterungen der weltweiten diplomatischen Beziehungen. Das Verhältnis zu WikiLeaks kühlte sich jedoch ab, als im September 2011 WikiLeaks-Gründer Julian Assange der Zeitung vorwarf, ein vertrauliches Passwort publiziert zu haben, sodass auf der Enthüllungsplattform für jeden Nutzer zugänglich die Informanten der mehr als 250.000 Depeschen aus US-Botschaften entschlüsselt werden konnten. Der „The Guardian“ wies die Vorwürfe zurück.

Im Juli 2011 sorgten die Enthüllungen des „The Guardian“-Journalisten Nick Davies für einen der größten Medienskandale in der Geschichte Großbritanniens. Er deckte auf, dass sich  Redakteure der Tabloid-Zeitung "News of the World" (News International/News Corp.) 2002 gemeinsam mit Privatdetektiven in das Mobiltelefon eines entführten und ermordeten Teenagers einhackten. Es stellte sich heraus, dass das illegale Abhören von Mailboxnachrichten von oberster Stelle erlaubte und gängige Praxis war, die neben Prominenten vermutlich auch Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York betraf. Die Zeitung wurde schließlich eingestellt, die Chefredakteurin Rebekah Brooks entlassen, der Rücktritt des Medienmoguls Rupert Murdoch gefordert und die Londoner Polizei sowie Premierminister David Cameron in die Affäre verwickelt. Während „The Guardian“ diesen Skandal aufdeckte, wurden dessen Praktiken nicht in Frage gestellt. Schließlich bekannte sich der Investigativreporter des Blattes David Leigh bereits im Jahr 2006 dazu, „fragwürdige Methoden“ bei seinen Recherchen über einen Rüstungsmanager benutzt zu haben. Auch er hörte die Mobilbox ab. Als der „The Guardian“ dieses Geständnis publizierte, argumentierte Leigh, dass Täuschung und Lüge als letztes Mittel für Journalisten bei der Aufklärung von Missständen erlaubt seien. Ist dies der Preis für den Ruf des qualitativ hochwertigen Journalismus: Lügen mittels Lügen aufzudecken?

Referenzen/Literatur

  • Ayerst, David George Ogilvy (1971): The Manchester Guardian: Biography of a newspaper. Ithaca, New York: Cornell University Press.
  • Baram, Daphna (2008): Disenchantment: The Guardian and Israel. London: Guardian Books.
  • Greenslade, Roy (2003): Press gang: how newspapers make profits from propaganda. London: Macmillan.
  • Kremmel, Michael (2010): „Angebot an Leser muss sich radikal verändern“. In: derStandard.at, 14.03.2010.
  • Pilarczyk, Hannah (2009): „Online-Primus ‚Guardian’: Wir haben uns unsere User nicht gekauft“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 12.01.2009.