Hankyoreh

Die erste Ausgabe der Hankyoreh erschien am 15. Mai 1988 unter ihrem damaligen Namen Hankyoreh Shinmun mit einem Umfang von 32 Seiten. Unter den heute 288 registrierten Tageszeitungen Koreas gilt Hankyoreh als progressive, unabhängige Stimme in einem von konservativen Printprodukten geprägten Markt. Basis ihrer Unabhängigkeit ist die Besitzstruktur: Das Gründungskapital der Zeitung – 2,8 Millionen Euro – wurde durch den Verkauf von Anteilen akquiriert. Heute besitzen knapp 62.000 Kleinaktionäre Hankyoreh. Wiederkehrende finanzielle Engpässe überbrückte die Zeitung in der Vergangenheit erfolgreich mit Spendenaufrufen und dem kontinuierlichen Aufbau von neuen Geschäftsfeldern. Nach eigenen Angaben wird Hankyoreh heute täglich von rund 600.000 Menschen gelesen, damit belegt sie den vierten Platz unter den überregionalen Tageszeitungen Südkoreas. Im zwanzigsten Jahr ihres Bestehens arbeiteten 515 Menschen für die Zeitung, 252 von ihnen als Redakteure. In Beijing, Tokio und Washington D.C. unterhält Hankyoreh Korrespondentenbüros, darüber hinaus arbeiten in Deutschland, Russland und Frankreich feste freie Mitarbeiter für die Zeitung.

Basisdaten

Hauptsitz:
116-25 Gongdeok-dong, Mapo-gu,
121-750 Seoul, Republic of Korea
Telefon:  0082-1566-9595
Fax:   0082-2-710-0210
Internet: www.hani.co.kr
Englische Website: www.english.hani.co.kr

Branche: Überregionale Tageszeitung
Rechtsform: Aktiengesellschaft
Gründungstag: 15. Mai 1988

 

Tab. I: Ökonomische Basisdaten (Beträge in Mio. €)
200820072006200520042003200220012000
Umsatzk.A.43,143,443,345,646,246,240,348,1
Gewinn (Verlust) nach Steuernk.A.1,21,91,1-1,2-1,60,057-2,30,396

 

 

Tab. II: Anzahl der Beschäftigten
200820072006200520042003200220012000
Beschäftigte515516470499618574593622670


Geschäftsführung:

  • Go, Gwan-heon, Herausgeber
  • Jang, Jeong-su, Chef vom Dienst
  • Jeong, Seok-gu, Chefredakteur
  • Kim, Jong-gu, Chef der Nachrichten

 

 

Geschichte und Profil

Die Gründung einer Zeitung wie der Hankyoreh muss im Zusammenhang mit den historischen Ereignissen in Südkorea gesehen werden: Die Öffnung des vormals hermetisch von der Welt abgeriegelten Landes ab Mitte des 19. Jahrhunderts trug zwar wesentlich zur Entstehung einer modernen Presse bei. Diese Entwicklung wurde jedoch durch die Politik während der Zeit der japanischen Besatzung (1910 - 1945), jene der US-amerikanischen Militärregierung in Korea (1945 - 1948) sowie nicht zuletzt durch den Koreakrieg (1950 - 1953) maßgeblich gebremst. Hinzu kommt, dass Südkorea, abgesehen von dem lediglich ein Jahr währenden demokratischen Frühling während der zweiten Republik (April 1960 - Mai 1961), bis zum Jahr 1987 von autoritären Machthabern regiert wurde, die die Presse des Landes zum Zweck des eigenen Machterhalts instrumentalisierten. Trotz verfassungsmäßiger Garantie, existierte in Südkorea bis 1987 keine Pressefreiheit; Zensur und strenge Zulassungskriterien für Medien sorgten vielmehr für eine nahezu lückenlose Kontrolle der Regierung über eine vergleichsweise übersichtliche Medienlandschaft. Den politischen Säuberungsaktionen der südkoreanischen Regierungen unter Park Chung-hee und Chun Doo-Hwan fielen immer wieder auch Journalisten zum Opfer, die entlassen, mit Berufsverbot belegt und in Umerziehungslagern interniert wurden. Viele von ihnen schlossen sich in Netzwerken zusammen, die es sich zur Aufgabe machten, die Zensurpolitik der Regime offen zu legen. Im Kampf für eine unabhängige Presse in Südkorea spielte insbesondere die 1984 gegründete „Citizens Coalition for Democratic Media“ (CCDM) eine maßgebliche Rolle; einige ihrer Mitglieder gehörten zum 56-köpfigen Gründungskomitee von Hankyoreh.

Im Vorjahr der Gründung von Hankyoreh musste sich die Militärdiktatur unter Chun Doo-hwan schließlich den anhaltenden Protesten der südkoreanischen Zivilbevölkerung beugen, der es gelungen war, neben Studenten und Arbeitern auch weite Teile der Mittelschicht im Kampf für Demokratie und Menschenrechte zu mobilisieren. Unter dem regen Anteil der internationalen Öffentlichkeit fanden daraufhin im Dezember 1987 erstmals seit 1961 direkte Präsidentschaftswahlen in Südkorea statt, aus denen Roh Tae-woo siegreich hervorging. Auch unter dem Eindruck der für September 1988 angesetzten olympischen Sommerspiele in Seoul versprach der gewählte Ex-General der südkoreanischen Bevölkerung einen politischen Kurswechsel und präsentierte die Forderungen der demokratischen Opposition als eigenes Reformprogramm. Zu den wichtigsten Maßnahmen seiner Amtszeit zählte die Abschaffung restriktiver Mediengesetze aus der Zeit der Militärdiktatur, was zunächst, speziell im Bereich der Printmedien, einen enormen Wachstumsschub bewirkte.

Hankyoreh, gegründet von ehemaligen Dissidenten, progressiven Kräften und Journalisten, die während der Militärdiktatur ihren Beruf nicht ausüben durften, hatte von Beginn an eine erklärte Agenda: Der Name Hankyoreh bedeutet „ein Volk“, womit die Zeitung eines ihrer Ziele – die friedliche Koexistenz von Süd- und Nordkorea sowie die Aussöhnung mit dem Norden – bereits im Namen trägt. Das nationale Bewusstsein der Zeitung fand seinen optischen Ausdruck in der Tatsache, dass Hankyoreh im Unterschied zu allen anderen koreanischen Tageszeitungen keine chinesischen Schriftzeichen, sondern ausschließlich das koreanische Alphabet Hangŭl verwendete. Gedruckt wurde horizontal und nicht vertikal, wie es bei anderen südkoreanischen Zeitungen zu dieser Zeit noch üblich war. Das politische Ziel der Aussöhnung mit dem Norden spiegelt sich nicht nur im Namen der Zeitung, sondern auch in ihrem Logo wider, das den See Ch’onji am Fuß des Berges Paektu in Nordkorea zeigt. Der Schrifttyp des Titels entstammt zudem einer berühmten koreanischen Schrift aus dem 18. Jahrhundert, womit bewusst eine Zeit gewählt wurde, als das Land noch nicht geteilt war. Seit dem 14. Oktober 1996 verkürzte die Zeitung ihren Titel und heisst seither nur noch Hankyoreh.

Hankyoreh versteht sich als bürgernahes und unabhängiges Alternativmedium in einem von Medienkonzentration geprägten Markt, den sich primär drei konservativ ausgerichtete Tageszeitungen teilen. Hankyoreh, die aufgrund ihrer Besitzstruktur und der erklärt aufklärerischen Linie mit der deutschen tageszeitung verglichen wird, gilt als einzige südkoreanische Tageszeitung, die den Bedarf an liberaler Berichterstattung und investigativem Journalismus erfüllt. So enthüllten bereits wenige Monate nach ihrer Gründung Journalisten der Zeitung im Dezember 1988 die Identität von Lee Keun-ahn, einem ehemaligen Geheimdienstler, der sich während der Militärdiktatur der Folter an Gefangenen schuldig gemacht hatte und durch die Aufdeckung seiner Identität verhaftet und verurteilt werden konnte. Von besonderer Bedeutung ist die Berichterstattung über den südkoreanischen Militärapparat, dessen Neutralisierung erst Jahre nach der Demokratisierung gelingen sollte. So konnten Reporter der Hankyoreh im Oktober 1990 aufdecken, dass der militärische Geheimdienst seit der Liberalisierung 1987 über 1.300 Zivilisten, unter ihnen der spätere Präsident Kim Young-sam, illegal abgehört hatte. Im März 1992 veröffentlichte die Zeitung zudem einen Bericht, der die Zeugenaussage eines Oberleutnants der 9. Armeedivision enthielt, wonach es im Zuge der Präsidentschaftswahlen zu Wahlmanipulationen in den Kasernen des Landes gekommen sei bzw. teilweise offene Wahlen durchgeführt worden seien. 2001 veröffentlichte Hankyoreh eine Artikelserie unter dem Titel „Tiefenanalyse der Medienmacht“, in der sie u.a. die Kollaboration von zwei der drei großen südkoreanischen Tageszeitungen mit der japanischen Besatzungsmacht aufdeckte. Die betreffenden Zeitungen wehrten sich mit Schadensersatzklagen, die Richtigkeit der Angaben wurde jedoch Ende des Jahres 2005 von einem südkoreanischen Gericht bestätigt.

Die Leitmotive der Zeitung von Demokratie und Pressefreiheit finden ihre Entsprechung in den „Ethikrichtlinien“ für alle Mitarbeiter von Hankyoreh, die die verbindliche Grundlage der redaktionellen Arbeit bilden. Manche der in den Richtlinien festgeschriebenen Punkte werden durch hauseigene Institutionen ergänzt – so existiert seit Januar 2006 eine Leserinteressenvertretung innerhalb der Zeitung, die neben Faktenkontrolle und Korrekturmaßnahmen den Schutz der Privatsphäre von Berichtsobjekten und Journalisten überwacht sowie als Vermittlungsinstanz zwischen Redaktion und Bürgerjournalisten fungiert. Journalisten, die für Hankyoreh arbeiten, sind Weiterveröffentlichungen ihrer Artikel sowie Nebeneinkünfte untersagt. Spesen können nicht extra abgerechnet werden, selbst für das Annehmen von Rezensionsexemplaren existieren detaillierte Vorschriften. Damit reagiert die Zeitung auf immer wiederkehrende öffentliche Vorwürfe der Bestechlichkeit koreanischer Journalisten.

Ihrem Selbstverständnis von gesellschaftlicher Verantwortung trägt Hankyoreh durch verschiedene Initiativen Rechnung. So betreibt die Zeitung seit 1995 ein Zentrum für Kultur, das u.a. ein Weiterbildungszentrum und gesellschaftliche Analysen in seine Kulturarbeit integriert. 1997 gründete Hankyoreh eine eigene „Stiftung der kulturellen Vereinigung“, die eine bessere Verständigung zwischen Süd- und Nordkorea fördern und durch eigene Forschung einen Beitrag für die Zeit nach der Wiedervereinigung leisten will. Daneben gehört es zum Selbstverständnis von Hankyoreh, regelmäßig gesellschaftskritische Vordenker zu Wort kommen zu lassen, deren dezidiert politische Stellungnahmen nicht selten gesellschaftliche Diskurse in Gang bringen. Hierzu zählt u.a. der Schriftsteller Hong Se-hwa sowie der Journalist Son Sŏk-ch’un, die beide eigene Kolumnen für Hankyoreh schreiben.

Hankyorehs Leser sind überwiegend jung – gut 63 Prozent von ihnen sind zwischen 20 und 30 Jahren alt – und gut ausgebildet: der Anteil der Universitätsstudenten liegt bei knapp 45 Prozent. Im Jahr 2006 bewarben sich 8.000 Universitätsabsolventen auf 33 freie Stellen bei Hankyoreh, obwohl die Zeitung nur etwa die Hälfte dessen bezahlen kann, was bei anderen südkoreanischen Zeitungen an Gehältern üblich ist.

Verlagsüberblick, Management und Geschäftsfelder

Um intern demokratische Strukturen zu gewährleisten, wird der Herausgeber von den Beschäftigten gewählt und anschließend durch die Aktionärsvollversammlung bestätigt. Der Herausgeber schlägt wiederum einen Chefredakteur vor, der mit mindestens 51 Prozent Mehrheit von der Aktionärsversammlung gebilligt werden muss. Im Fall einer Ablehnung muss der Herausgeber innerhalb von 14 Tagen einen anderen Kandidaten benennen. Der Posten des Chefredakteurs wird in der Regel nach einem Jahr neu besetzt, sodass ihm realistischerweise kaum Zeit bleibt, dem Blatt seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Prägenden Einfluss hatten seit Gründung der Zeitung vielmehr die 56 Gründungsmitglieder, von denen heute allerdings keiner mehr bei der Zeitung ist. Der bekannteste von ihnen war der inzwischen verstorbene Song Gŏn-ho.

Hankyoreh gehört heute knapp 62.000 Kleinanlegern, für jeden von ihnen gilt eine Besitzobergrenze von einem Prozent am Gründungskapital. Bilanzpressekonferenzen gibt es nicht. Die Zeitung versteht sich als Gegenentwurf zu den konservativen, den Markt in Südkorea beherrschenden Tageszeitungen und gibt an, weniger Werbung als jene zu schalten und sich seine Anzeigenkunden genau auszusuchen. Aufgrund der daraus resultierenden finanziellen Grundausstattung sah sich das Management früh gezwungen, neben dem Kerngeschäft der Tageszeitung andere Geschäftsfelder zu entwickeln. Hankyoreh gibt seit 1993 Bücher heraus, die Publikationsliste umfasst u.a. verschiedene Bestseller zu Umweltschutzthemen. Darüber hinaus gehören zum Verlag ein eigenes Reisebüro sowie eine Anzahl von Biosupermärkten in Seoul, deren Produkte auch online erworben werden können. Am 15. Mai 2009 begann der verlagseigene Onlinesender „Hani TV“ sein Programm.

Als Zugpferd des Verlags gilt heute die seit 1995 wöchentlich erscheinende Filmzeitschrift „Cine 21“. Im hart umkämpften südkoreanischen Magazinmarkt besetzte „Cine 21“ von Beginn an eine Nische, indem es die Entwicklung der koreanischen Filmindustrie aus einer dezidiert politischen Perspektive analysiert. Daneben erscheint seit 1994 wöchentlich das Nachrichtenmagazin „Hankyoreh 21“, das sich durch kritische Hintergrundberichterstattung und weitsichtige Analysen seinen Ruf erarbeitet hat. Unter anderem. prognostizierten Redakteure der „Hankyoreh 21“ bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Wahlsieg des ehemaligen Staatspräsidenten Roh Moo-hyun. Das Magazin hat es sich zur Aufgabe gemacht, frühzeitig auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, die von den etablierten Printmedien ignoriert werden. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist die arbeitsrechtliche Situation der südostasiatischen Gastarbeiter im Land.

In Südkorea existiert keine Auflagenkontrolle, die mit dem US-amerikanischen Audit Bureau of Circulation oder der deutschen Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. vergleichbar wäre. Zeitungen in Südkorea machen bis heute keine offiziellen Angaben zu ihren gedruckten, verkauften oder verbreiteten Auflagen, so dass man allenfalls Angaben, die die Zeitungen selbst zu ihrer Auflagenhöhe machen, miteinander vergleichen kann. Von den drei südkoreanischen Tageszeitungen, die über 70 Prozent des Zeitungsmarkts untereinander aufteilen, gibt beispielsweise die Zeitung „Chosun Ilbo“ an, eine tägliche verkaufte Auflage in Höhe von 2.380.000 Exemplaren zu erreichen. Hankyoreh beziffert seine verkaufte Auflage mit 600.000 Exemplaren und gibt an, 94 Prozent seiner Auflage über Abonnements zu verkaufen.

Internetpräsenz und Online-Performance

Seit dem 1. September 1992 stellt Hankyoreh seinen Lesern sämtliche Artikel der Printausgabe tagesaktuell online zur Verfügung. Seit dem 16. Mai 2006 existiert ausserdem eine englischsprachige Website mit ausgewählten Artikeln. Die Zeitung kann als E-Paper abonniert werden.

Referenzen/Literatur

  • Han, Dong-Sub: The Middle Classes, Ideological Intention and Resurrection of a Progressive Newspaper. In: International Communication Gazette. 2000; 62: 61-74
  • Nam, Sang-hui / Thomas Kern(2009): Die Entstehung des 'neuen' demokratischen Medienaktivismus in Südkorea: Struktureller Kontext, Handlungsformen und Akteure. In: ASIEN: Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, April 2009, 111: 12-34
  • Von der taz-Kopie zur Guerilla im Internet (taz-Artikel vom 14.04.2007)
  • Cine 21
  • Hankyoreh 21