Marc Jan Eumann: Mehr Medienpolitik. Impulse statt Generalabrechnung: Von der Rundfunk- zur Netzpolitik

12.08.2011

Wenn Lutz Hachmeister und Thomas Vesting gemeinsam einen Aufsatz über Rundfunk- und Netzpolitik verfassen, weckt dies eine hohe Erwartungshaltung.  Lutz Hachmeister gehört seit vielen Jahren zu den kenntnisreichen Begleitern der Medienpolitik. Der Frankfurter Medienrechtler Thomas Vesting ist als ehemaliger Mitarbeiter des Hans-Bredow-Instituts und Schüler des Ex-Verfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem einer der versiertesten Kenner des deutschen Verfassungsrechts mit Blick auf die Rundfunkordnung. Als Autorenduo sind beide eigentlich eine Garantie für exzellente Analysen.

Das Problem bei hohen Erwartungen ist aber, dass sie umso leichter enttäuscht werden können. Hachmeister und Vesting benennen in einer Art Generalabrechnung all die Probleme, die die Medienpolitik und sie selbst seit Jahren beschäftigen. Und abgesehen davon, dass ihnen dabei einiges durcheinander geraten ist, fällt vor allem auf, dass die beiden Autoren kaum Alternativen anbieten – jedenfalls nicht in dem von ihnen in der „Funkkorrespondenz“ gemeinsam publizierten Text.

Die Landesmedienanstalten
Wer an Polemik Spaß hat, kommt bei Hachmeister/Vesting natürlich auf seine Kosten. Doch hinter der Polemik ist es eben nicht mehr ganz so spaßig.  Die Autoren beteiligen sich zunächst an einem wohlfeilen Bashing der Landesmedienanstalten – eine medienkritische Gratisübung. Sie reduzieren die Landesmedienanstalten auf eine (verfehlte) Standortpolitik und eine (gescheiterte) Kongresspolitik. Ich kann nur schwer beurteilen, ob das beispielsweise in Bayern so war und ist. Für Nordrhein-Westfalen kann ich feststellen, dass Standortpolitik mit der hiesigen Landesanstalt für Medien (LfM) kaum zu machen war. Es sei denn, man nennt Standortpolitik nicht nur eine besonders finstere Sorte von politischem Handeln, sondern zum Beispiel die Anstrengung, im analogen Kabel möglichst viele Veranstalter unterzubringen und im digitalen Kabel auch kleine, marktschwache Unternehmen zu stützen. 

Oder aber das Zwei-Säulen-Modell im Hörfunk Nordrhein-Westfalens, das nicht nur zu einer Vielfalt von 45 lokalen Sendern geführt hat, sondern auch dazu beiträgt, dass in NRW über 8000 Beschäftigte im Radiobereich arbeiten. Ein Beispiel übrigens dafür, dass Rundfunkpolitik eben nicht nur auf nationa- ler oder gar europäischer Ebene gut angesiedelt ist, sondern dass im Wettbewerb mit anderen Bundesländern jeweils eigene erfolgreiche Strukturen entstehen können. Auch in der Zukunft. Kann es sein, dass ein Lutz Hachmeister trotz seiner Zeit als Gremienmitglied in der damaligen LfM und später bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) davon einfach zu wenig weiß?  Auch nichts weiß von den unverzichtbaren Anstrengungen, die MABB-Direktor Hans Hege im Auftrag der Landesmedienanstalten unternimmt, um den Übergang ins Digitale zu moderieren?

Dass der Markt des kommerziellen Fernsehens und Hörfunks weitgehend „arrondiert“ ist, bedeutet jedenfalls nicht, dass der Rundfunk rund läuft und Landesmedienanstalten überflüssig wären. Die medienökonomische Musik spielt eben nicht nur im Globalmedium Internet, sondern auf lange Sicht wohl weiter auch im klassischen Rundfunk über Terrestrik (DVB-T), Kabel (inklusive IPTV) und Satellit. Neuentwicklungen wie das mobile Fernsehen treten hinzu. Die Frequenzen für DVB-H (das dann aus Gründen, für die die Landesmedienanstalten keine Schuld tragen, leider nie an den Start ging) wurden bundesweit einheitlich vergeben. Bei DAB plus ist das Verfahren vergleichbar. Die Landesmedienanstalten zeigen sich also durchaus in der Lage, auf neue Medienentwicklungen zu reagieren. Sie verschließen sich auch keinen Reformen.

Das Ende des unsäglichen Glücksspielkanals 9Live ist auch auf die neue Gewinnspielsatzung und die neue, von allen Landesmedienanstalten gemeinsam betriebene Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) zurückzuführen.  Zugegeben: Das alles hätte schneller und effizienter geschehen können.  Eine Medienanstalt der Länder ist aus meiner Sicht auch der beste Weg, eine bundesweit einheitliche Regulierung und eine (zum Beispiel mit Blick auf DAB plus wichtige) national abgestimmte Vergabe von Frequenzen zu organisieren.  Bedenkenswert ist auch der Vorschlag der beiden Autoren, bei dieser Gelegenheit eine Aufsicht zu schaffen, die mit „netzaffinem Personal“ verstärkt auch die Regulierung der Telekommunikation mitabdeckt.

Im Sinne einer effizienteren Regulierung ist daher auch die vorgeschlagene gegenseitige Akzeptanz von Freigabeentscheidungen der Selbstkontrolleinrichtungen bedenkenswert, also der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen der Privatsender (FSF), der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM). Als oberster Maßstab sollten hier allerdings die Kriterien der Jugendschutzbehörden und der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) angelegt werden. Jedenfalls stimmt mich die unterschiedliche Bewertung einer Folge der RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“ durch FSF und KJM nicht optimistisch, dass allein durch Selbstregulierung dem Jugendschutz in bester Weise gedient wird. Und zum Stellenwert der Landesmedienanstalten in der politischen Wahrnehmung sei (aus gegebenem Anlass) darauf hingewiesen, dass in früheren Jahren Rundfunkreferenten Direktoren von Landesmedienanstalten wurden – und heute Chefs von Staatskanzleien.

Medienkongresse
Kommen wir zu den Kongressen. Es ist richtig, dass es nicht einfach ist, heute große Medienkongresse zu veranstalten, und es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie Kongresse und Festivals inhaltlich und zeitlich besser arrangiert werden können. Doch gerade das Medienforum NRW 2011 hat gezeigt, dass Medienkongresse doch nicht so überflüssig sind, wie Hachmeister und Vesting in ihrem Text indirekt behaupten. Entscheidend ist: Gelingt der Diskurs zwischen den Akteuren und ihren Aktionsbereichen. Wenn dieser er gelingt, so wie auf dem diesjährigen Medienforum NRW, dann bleiben solche Veranstaltungen unverzichtbar. Wir brauchen ja nicht weniger, sondern mehr medienpolitischen Diskurs: analog und digital.

Dabei verkenne ich keineswegs: Natürlich gibt es Redundanzen und natürlich
werden dieselben Themen zum Teil mit denselben Protagonisten seit Jahren und auf verschiedenen Bühnen diskutiert. Aber Veranstaltungen wie das Medienforum sind und bleiben auch deshalb Pflichttermine in der Branche, damit ein konzentrierter Austausch von Gedanken, Positionen und Meinungen auch am Rande der Podien – gelingen kann. Vor allem jedoch erzeugen Veranstaltungen wie das Medienforum NRW weiterhin eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Eine Aufmerksamkeit, wie sie medienpolitischen Themen selten zuteil wird. Auch Hachmeister und Vesting wissen, dass die Medienpolitik zwar eine hohe gesellschaftliche Bedeutung hat, von der Gesellschaft aber –abgesehen von besonderen Schlaglichtern wie etwa einer Erhöhung von Rundfunkgebühren – vergleichsweise wenig beachtet wird.

Eine Veranstaltung wie das Medienforum ist also weiterhin eine wichtige Bühne, um medienpolitische Impulse wie etwa die Debatte über einen werbefreien
öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das Ringen um den besten Jugendmedienschutz
und die Zukunft der Verlage in der digitalen Welt in breitere gesellschaftliche
Gruppen einzuspeisen. Nicht alle Menschen, die Medienpolitik etwas angeht, lesen ja die „Funkkorrespondenz“. LfM und NRW-Landesregierung machen sich übrigens durchaus Gedanken darüber, Kongresse wie das Medienforum weiterzuentwickeln. Eine Alternative zu klassischen Podienformaten könnte es beispielsweise sein, Teile des Medienforums als Bar-Camp zu veranstalten. Mehr Spannung entstünde womöglich, wenn Streitfragen in Form von Debatten ausgetragen werden, wie sie in studentischen Debattierclubs praktiziert werden. Vieles spricht für solche Überlegungen. Es spricht aber auch sehr viel dafür, dass Kongresse wie das Medienforum ihr Ziel, einen
Austausch über Fragen der Medienpolitik und Medienwirtschaft zu ermöglichen,
Kontaktbörse und Ideengeber für die Branche zu sein und Öffentlichkeit herzustellen, in ihrer jetzigen Form sehr gut erreichen und dass Änderungen am Konzept vielleicht einige Kritiker beglücken, indes der Sache schaden. Mit 3300 Besuchern war das 23. Medienforum NRW 2011 jedenfalls ein Erfolg.

Medienkompetenz
Dass sich die Landesmedienanstalten auch um das Thema Medienkompetenz kümmern, entspringt nicht unbedingt – wie unterstellt wird – einer „Überlebensstrategie“. Für NRW gilt: Auf Initiative der SPD-Landtagsfraktion ist im
Jahr 2002 bei der umfassenden Novellierung des Landesrundfunkgesetzes zum Landesmediengesetz der LfM der gesetzliche Auftrag gegeben worden, Medienkompetenz zu vermitteln. Und dass „Medienkompetenz“ ein ausgelutschter Begriff sei, ist auch kein überzeugender Einwand gegen Anstrengungen auf diesem Gebiet. Mir zumindest ist kein ernstzunehmendes Konzept zur Netznutzung bekannt, das nicht auf die Notwendigkeit hinweist, dass man gegen die Netzrisiken nicht nur mit neuen Gesetzen, sondern vor allem mit einer profunden Kompetenzvermittlung ankommt. Die LfM war über Jahre oft die einzige Institution, die dieses Thema entschlossen vorangetrieben hat. Sie war seit jeher auch für den Bürgerfunk zuständig, der ja nicht nur ein Instrument zur Vielfaltssicherung ist, sondern eben auch der Vermittlung von Medienkompetenz dient. Zuletzt hat die LfM den Bereich Games mit in das Thema Medienkompetenz einbezogen. Soll das wieder so eine Überschreitung sein, die Hachmeister und Vesting da tadeln? Dass das alles dann auf eine nationale und internationale Ebene gehoben werden muss, ist wohl wahr. Dass es dazu selten kommt, ist aber nicht die Schuld der Landesmedienanstalten.

Ein Durcheinander in der Debatte um Medienkompetenz zwischen den Problemen des Zugangs zu Medien und prohibitiven Restriktionen bei der Mediennutzung zu konstatieren, ist darüber hinaus eine subjektive Sichtweise. Es handelt sich eben um zwei Seiten einer Medaille. Es geht darum, (junge) Menschen einerseits in die Lage zu versetzen, neue Medien für sich, für ihre Bildung und für ihren beruflichen Werdegang zu nutzen, und es geht darum, dass sie andererseits die Risiken im Netz erkennen, einschätzen und mit ihnen umgehen können. Wenn es um Medienkompetenz geht, reden wir also nicht durcheinander, sondern ganz bewusst von Bildungspolitik und Medienwirtschaftspolitik. Die Landesmedienanstalten sind hier ein natürlicher Partner. Dass diese sich in die Netzregulierung hineingeschlichen hätten, ist übrigens schlichtweg falsch. Sie haben sich dort um das Netz gekümmert, wo es dafür ein Mandat gibt (etwa auf dem Feld der Pornografie). Oder dort, wo die Meinungsrelevanz von Netzangeboten in den Kontext der vorherrschenden Meinungsmacht hineinspielt (zum Beispiel mit der Neuberger/ Lobigs-Untersuchung für die Konzentrationskommission KEK). Sie hatten sich auch, mit respektablen Gründen, um den Drei-Stufen-Test kümmern wollen. Das haben die Länder, aus ebenfalls respektablen Gründen, anders gesehen.

Natürlich sind die Gedanken von Hachmeister und Vesting zum Jugendmedienschutz bedenkenswert, wenn man sich den Aufwand an Bürokratie, der dort erforderlich ist, und den Ertrag anschaut. Doch Eingriffe in die Inhalte gehören nun einmal zum Prekärsten in der Regulierung. Also muss man sie in jeder Hinsicht gerichtsfest machen und das erzeugt einen hohen formalen Aufwand. Man kann sich darüber lustig machen. Es besser zu machen, ist eine wichtige Aufgabe. Man kann natürlich auch grundsätzlich die Frage stellen, ob das alte Konzept den Technologien von heute noch gewachsen ist. Man kann auch fragen, ob Jugendschutz den pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen von heute noch gerecht wird. Aber da wäre es dann hilfreich zu hören, ob sich der Schutzzweck erledigt hat oder das Verfahren, ihn zu sichern.  Das ist eine wichtige Frage, die man freilich nicht dadurch loswird, dass man die Anstrengungen der Landesmedienanstalten für „trostlos“ hält.

Keine Frage: Der Jugendschutz sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass Anbieter kritischer Inhalte ihre Geschäfte in „unzugänglichen Gebieten“ betreiben. Aber die Alternative kann nicht sein, auf Regulierung vollkommen zu verzichten. Es hilft schon, wenn Angebote indiziert werden und so zumindest ihre Auffindbarkeit über Suchmaschinen erschwert wird. Darüber hinaus konzentriert sich ein Großteil des Internetkonsums der meisten Bürger auf wenige, bekannte Angebote. Angebote, die eben nicht in „unzugänglichen Gebieten“ unterwegs sind. Allein deshalb ist es sinnvoll, hier regulatorische Vorgaben zu machen, etwa zu welchen Uhrzeiten welche Arten von Werbung eingeblendet werden dürfen.

Der Ende vorigen Jahres gescheiterte Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) sollte auch nicht dazu dienen, das Internet auf breiter Front zu regulieren oder gar zu zensieren. Vielmehr ging es darum, geltende Regeln für das Internet handhabbarer zu machen. Dass dieser rundfunkrechtliche Staatsvertrag gescheitert ist, hat auch nur vordergründig etwas mit dessen Inhalten zu tun. Vielmehr konnte in diesem Fall die Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag der Versuchung, der Minderheitsregierung eine Niederlage zuzufügen, nicht widerstehen. Die Ablehnung ist dadurch auch zu einem Misstrauensvotum der CDU gegen ihren ehemaligen Medienminister Andreas Krautscheid geworden, der diesen Vertrag mit ausgehandelt hatte.

Das Scheitern des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags bietet nun die Chance einer breiteren Debatte, wie sie jüngst auch Frauke Gerlach in der „Funkkorrespondenz“ skizziert hat (vgl. FK 22-23/11). Sie schlägt letztlich eine Stärkung der Rundfunkkommission der Länder mit eigenem (netzaffinen) Personal vor. Eine solche Kommission solle Konsultationsprozesse anstoßen und im Netz für die eigenen Positionen werben, um in den Dialog mit der „Netzgemeinde“ zu treten. Gleichzeitig wirbt Frauke Gerlach dafür, den „Digital Natives“ im Netz nicht die Deutungshoheit über den Jugendmedienschutz zu überlassen.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat sich bereits auf diesen Weg begeben und – gemeinsam mit der Medienberatung NRW und der LfM – ein ehrgeiziges Projekt von „Open Government“ gestartet. Mitdem Medienpass NRW will die Landesregierung an allen Schulen des Landes Medienkompetenz im Unterricht verankern. An der Ausgestaltung des Medienpasses können sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Am 25. Juli dieses Jahres endete das erste Online-Konsultationsverfahren dazu mit einem sehr erfreulichen und zugleich ermutigenden Ergebnis: 54 092 Seitenaufrufe, 7721 Besuche, 486 registrierte Teilnehmende, 1462 beantwortete Umfragen und 479 Kommentare. Derzeit werden alle Beiträge ausgewertet. Allein die Beteiligung zeigt: Modernes Regierungshandeln muss digitale Instrumente zur Willensbildung nutzen.

Bei der Online-Konsultation zum Jugendmedienschutz haben ebenfalls alle Bürgerinnen und Bürger, auch die, die sich zur Netzgemeinde zählen, die Gelegenheit, ihre Vorstellungen zu einer modernen Regulierung zu artikulieren. Hier räume ich ein, dass es zwischen beiden Konsultationen erhebliche Unterschiede gibt. Die Kritik insbesondere an der Präsentation des JMStVKonsultationsverfahrens war und ist berechtigt – und ich nehme diese Kritik ernst und an. Mir ist wichtig, dass wir über Inhalte und Konzepte diskutieren –und streiten.

Generell gilt: Mit Blick auf diese Partizipationsprozesse stehen wir erst am Anfang. Die Möglichkeiten sind längst noch nicht ausgereizt und Fehler sind Teil des Lernprozesses. Am Ende dieser Prozesse steht – bei aller Sympathie für Partizipation – das Primat der Politik. Die demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten müssen die Partikularinteressen abwägen, entscheiden und für die Entscheidungen gerade stehen. Bei der föderal organisierten Medienpolitik wird es dabei immer Kompromisse geben. Gelegentlich wäre es schon hilfreich, dass es nicht immer als Scheitern ausgelegt würde, wenn ursprüngliche Ideen und Vorhaben nach dem Abstimmungs- und Diskussionsprozess nicht eins zu eins Gesetz werden.

Bei allen Anstrengungen muss auch klar sein, dass die Medienpolitik nicht alles überwachen kann. Sie will es auch nicht. Schon immer waren Eltern, Kitas und Schulen gefragt. Keine noch so gute Regulierung konnte und kann verhindern, dass Jugendliche mit obskuren Inhalten in Kontakt kommen. Im Internet sind es zudem nicht allein die Inhalte, die uns Sorgen bereiten, sondern auch ausuferndes Cybermobbing oder ‘Abzock‘seiten. Gerade deshalb ist die Förderung der Medienkompetenz, die wir in NRW mit aller Kraft angehen, auch ein Beitrag zum Jugendmedienschutz. Die rot-grün geführte Landesregierung wird dabei sicherstellen, dass vor allem sozial Benachteiligte von den neuen Maßnahmen zur Medienkompetenz profitieren werden. Die Zivilgesellschaft ist ebenfalls gefragt, sich gegen kritische Inhalte mit ihren eigenen Möglichkeiten zu wehren. Hier gibt es bereits erfreuliche Entwicklungen. So ‘müllten‘ einige Schüler eine Mobbingplattform im Internet mit Texten aus Wikipedia zu, um den dort verbreiteten Lästereien und Beleidigungen den Platz wegzunehmen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
Wie an den Landesmedienanstalten lassen Lutz Hachmeister und Thomas Vesting auch am dualen Rundfunksystem kein gutes Haar. Natürlich haben die Autoren recht, wenn sie auf Schwächen der derzeitigen Regulierungsstruktur verweisen. Auch deshalb wird auf Länderebene das Thema Anreizregulierung intensiv diskutiert. Sie haben auch recht mit dem Hinweis, dass wir dennoch (oder vielleicht doch gerade wegen dieser Struktur?) bisher noch eine der qualitativ und quantitativ besten Rundfunklandschaften vorweisen können. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch zu kurz gegriffen, wenn dies mit dem Hinweis auf die von den Alliierten, insbesondere von den Briten oktroyierten Vorgaben nach 1945 abgetan wird. Seitdem ist schließlich viel Wasser den
Rhein hinabgeflossen und die Wirklichkeit hat sich schon seit Jahrzehnten
verändert, nicht erst mit dem Siegeszug des Internets.

Nein, es waren nicht zuletzt die Rundfunkpolitiker der Länder und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, die uns vor Medienrealitäten wie in Berlusconis Italien oder Sarkozys Frankreich bewahrt haben. Von Ungarn gar nicht zu reden. Das soll nun nicht davon ablenken, dass es Veränderungsbedarf gibt. Historisch gewachsene Strukturen müssen gelegentlich überprüft werden. Womöglich zwingen schon bald die Karlsruher Richter zu einer Strukturänderung, wenn es über die Verfassungsbeschwerde von Rheinland-Pfalz zur Zusammensetzung der ZDF-Gremien bzw. zum ZDFStaatsvertrag entscheidet.

Wie aber sieht denn die Rundfunklandschaft aus, die Hachmeister und Vesting sich wünschen? Dazu findet man kein Wort in ihrem Text. Wenn man das Ziel definiert hat, kann man über die Wege dorthin ja gerne diskutieren.  Für mich geht es dabei vor allem um eine Frage: Wie kann es gelingen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgabe, als Medium und Faktor zu wirken, wahrnehmen kann. Ich bin davon überzeugt: Nicht die Quote wird über die Zukunft des Systems entscheiden, sondern dessen Qualität und Relevanz und die sich daraus ableitende Akzeptanz. Auch deshalb muss der, der bezahlt, stärker als bislang in die Aktivitäten einbezogen werden. Zum Beispiel mit einem transparenten Qualitäts- und Beschwerdemanagement. Auch die Chancen, die sich aus den bei den öffentlich-rechtlichen wie privaten Sendern wohl immer noch auf wenig Gegenliebe stoßenden Selbstverpflichtungen ergeben, sind noch lange nicht ausgereizt. Mehr als ärgerlich ist ebenfalls die bisher nicht hinreichend abgestimmte Aufgabenteilung im linearen Fernsehangebot.  Sinnvolle (und rasch zu erzielende) Veränderungen gibt es auch im Verhältnis zwischen Senderanstalt und Produzenten. Ich bin davon überzeugt, dass es den Fernsehstandort Deutschland stärken und ihn international erfolgreicher machen würde, wenn man Produzenten auch hierzulande mehr Freiheiten lassen würde.

Eine weitere spannende Frage könnte man im Übrigen auch zum Public Value bei den privaten Rundfunksendern stellen. Zu Recht erwähnen Hachmeister und Vesting das Erfolgsmodell der Drittsendezeiten. Möglich wäre es, dieses durch das bereits erwähnte Modell einer Anreizregulierung zu ergänzen.  Aber natürlich wäre auch ein Weg über einen finanziellen Anteil aus der Rundfunkfinanzierung, wie ihn Großbritannien offenbar beschreiten will, eine Variante, mehr Public Value im Privatfernsehen zu etablieren. Keine Frage: Ich favorisiere die Ergänzung um eine Anreizregulierung.

Dass die beiden Autoren „interessante Ansätze“ des sogenannten Beermann-Papiers (vgl. FK 12/11) loben, liegt womöglich daran, dass dieses sich ebenfalls durch ein hohes Maß an Polemik auszeichnet und damit in seiner Argumentation dem Beitrag von Hachmeister und Vesting nicht unähnlich ist.  Der Rundfunkhistoriker und frühere ARD-Programmdirektor Dietrich Schwarzkopf hat das Beermann-Papier in der „Funkkorrespondenz“ einer kritischen Würdigung unterzogen, die allemal lesenswert ist (vgl. FK 20/11).

Darüber hinaus kann die einschränkende Kritik, das Papier enthalte wenig ausgearbeitete Vorschläge für eine Systematik der empirischen Beobachtung,
durch den Hinweis ergänzt werden, dass offenbar noch nicht einmal eine Idee
darüber existiert, wer denn diese Beobachtung und Analyse überhaupt übernehmen
soll. Es drängt sich daher der Eindruck auf, um einer medienpolitischen Profilierung willen sei hier der zweite vor dem ersten Schritt gemacht worden.

Verfassungsrecht
Durchaus spannend ist der Ausflug, den Hachmeister und hier vor allem wohl der Medienrechtler Vesting in den Bereich des Verfassungsrechts unternehmen.
Sie verweisen auf das Problem, dass die Verfassung leidglich die Begriffe „Presse“, „Rundfunk“ und „Film“ zitiert und die Verfassungsrichterheutzutage Entscheidungen (auch) für den Bereich „Netz“ treffen müssen, das den Verfassungsvätern gänzlich unbekannt gewesen ist. Ähnlich wie Frauke Gerlach fordern daher auch Lutz Hachmeister und Thomas Vesting –hier für den Bereich des Verfassungsrechts – eine stärkere Partizipation der Netzgemeinde. Sie schreiben, die Juristen seien angewiesen auf „Interaktion mit andersartigen Kognitionen, auf einen permanenten Wissensaustausch in einem Netzwerk von Perspektiven“. Diesen Wissensaustausch zu organisieren, ist hier allerdings im Sinne der Gewaltenteilung allein Aufgabe der Justiz selbst.

Zugleich sprechen sie sich für ein Medienrecht aus, das auf die neuartige Logik der Netzwerkgesellschaft und ihrer „fluiden Themenöffentlichkeit“ umgestellt werden müsse. Wie konkret ein solches Medienrecht aussehen könnte, beantwortet indes auch Vesting nicht. Seine Frage, ob die unüberschaubaren Kommunikationsströme des Internets „mit ihrer Überfülle von Mikro-Standpunkten“ überhaupt noch einer herkömmlichen Vielfaltsgewährleistung bedürfen, ist aber zu bejahen (wobei über den Begriff „herkömmlich“ durchaus gestritten werden könnte). Zwar bietet das Internet aufgrund seiner Struktur per se eine schier unendliche Vielfalt, doch kommt es wie bei den klassischen Medien weiterhin darauf an, wie stark diese Struktur auch wahrgenommen und genutzt wird. Was den Journalismus angeht, so scheint sich im Netz aufgrund der schwierigeren Refinanzierung eher eine Konzentration denn eine Diversifikation abzuzeichnen.

Wenn ein Großteil der Menschen ihre Informationen nur von wenigen Nachrichtenseiten im Netz beziehen, so kann man diesen durchaus eine gewisse Meinungsmacht attestieren. Das Medienrecht muss das berücksichtigen. Gerade auch die Unübersichtlichkeit der Informationen ist zudem ein Argument dafür, dass es im Netz verlässliche Anlaufstellen geben muss. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt hier – wie in Vestings und Hachmeisters Text auch angedeutet wird – in Zukunft womöglich eher eine wachsende Bedeutung zu. Zumal sich abzeichnet, dass die Online-Seiten der Zukunft weniger „presseähnlich“ als vielmehr mit Videos und Audios zunehmend „rundfunkähnlich“ sein werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre
mithin gut beraten, schon jetzt auch im Netz vor allem auf seine Kernkompetenzen
im audiovisuellen Bereich zu setzen.

Fazit
So berechtigt die Kritik an den Regulierungsstrukturen im Einzelfall sein mag, so ist als vorläufige Bestandsaufnahme dennoch festzuhalten, dass diese Strukturen mit dafür gesorgt haben, dass in Deutschland ein vielfältiges und erfolgreiches Rundfunksystem entstanden ist. Es ist zum Beispiel auch nicht zu erkennen, an welcher Stelle die in Deutschland oft als Vorbild gerühmte britische Rundfunkaufsichtsbehörde Ofcom erfolgreicher ist als das bestehende Regulierungssystem in Deutschland. Es sei denn, man verfolgt einseitig das Ziel einer Beschneidung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zentralismus allein führt jedenfalls nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen, wie ja auch Lutz Hachmeister und Thomas Vesting anerkennen.

Das Nebeneinander von Netz- und Rundfunkpolitik aufzuheben, ist sicherlich ein Ziel, auf das die Medienpolitik mittelfristig hinarbeiten muss – und wird. Auf diesem Weg sind Impulse (und kritische Begleitung) durch Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft wichtig, vor allem wenn Kritik nicht weiter trennt, wo es eigentlich etwas zusammenzuführen gilt. Vielleicht gibt eine kleine organisatorische Änderung einen Fingerzeig. Die mit den Fragen rund um die Medienpolitik (in einem umfassenden Sinne) befasste Gruppe bei der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien innerhalb der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei hieß bis vor kurzem: Medien- und Telekommunikation. Jetzt heißt sie: Medien und Netzpolitik. Die Zeiten ändern sich eben, auch wenn das für manchen den schmerzhaften Verlust langgehegter Vorurteile bedeuten mag.

Marc Jan Eumann (SPD) ist nordrhein-westfälischer Staatssekretär für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien. Eumann, 45, ist auch Vorsitzender der SPDMedienkommission und Mitglied im Fernsehrat des ZDF.

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