Occupy Wall Street, Wirtschaftskrise und US-Medien

21.11.2011

Seit nunmehr zwei Monaten demonstrieren tausende Anhänger der "Occupy"-Bewegung in New York und anderen US-Städten für eine gerechtere Einkommensverteilung. Während die Bewegung in den vergangenen Wochen immer weiter anwuchs, änderte sich auch die Medienberichterstattung über die Proteste. So wurde Occupy Wall Street anfangs ignoriert, ehe Vorkommnisse wie Polizeibrutalität und Massenverhaftungen die Aufmerksamkeit der Medien erregten. Anfang November flachte die Frequenz der Berichterstattung wieder ab, bevor infolge der Räumung des New Yorker Zucotti Park erneut Szenen von Ausschreitungen und Polizeiwillkür die Bewegung wieder vermehrt in die Medien brachten.
Inzwischen ist in amerikanischen TV-Nachrichtensendungen und auf Meinungsseiten der führenden Zeitungen ein Kampf um die Deutungshoheit bezüglich der Motive und Ziele der Demonstranten entbrannt. Die systematischen Verhaftungen von Journalisten, die über die Proteste vergangener Woche berichten wollten sowie die enge Verzahnung von Bankenindustrie und Medienkonzernen haben zudem eine Debatte über den Stand der Pressefreiheit in den USA entfacht. Die Redaktion von mediadb.eu hat die Entwicklungen zusammengefasst:

1. Wie wird die "Occupy"-Bewegung in den US-Mainstream-Medien dargestellt?
Vertreter der Bewegung misstrauen der Berichterstattung der traditionellen Medien. Stattdessen setzen die Organisatoren auf eine internetbasierte Medienstrategie und produzieren eigene Live-Streams und Blogs. Die Berichterstattung in den Mainstream-Medien rangiert hingegen von Unterstützung (hier tun sich insbesondere einzelne Formate des Kabelkanals MSNBC (Comcast) hervor) bis hin zu totaler Ablehnung (Fox News; News Corp.) Im letzteren Fall beschäftigt sich die Berichterstattung weniger mit den Motiven und Gründen für den Protest als mit den Äußerlichkeiten einzelner Demonstranten. So wurden die Demonstranten von Fox News-Moderatoren und -Gästen abwechselnd als "Verrückte", "Dämonen", "Faschisten" oder "Waschlappen" diffamiert. Die in Europa noch immer fälschlicherweise für links-liberal gehaltene Zeitung "Washington Post" verglich die Bewegung mit einer Seuche, die die USA heimgesucht hätte und behauptete entgegen besseren Wissens, die Bewegung würde an Unterstützung in der breiten Bevölkerung verlieren.
Allerdings wird die Arbeit von herkömmlichen Medienvertretern ebenso wie Bloggern zunehmend erschwert. So wurden bislang landesweit 26 Reporter und Fotografen - teilweise trotz Presseakkreditierung - verhaftet. Das harte Vorgehen gegen Pressevertreter in New York wurde von Bürgermeister Michael Bloomberg angeordnet. Der Multimilliardär ist Besitzer und Gründer des gleichnamigen Medienkonzerns. Laut Meinung von Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman trägt die unkritische Wirtschaftsberichterstattung in den Mainstream-Medien dazu bei, dass eine konstruktive Lösung der Wirtschaftskrise in weite Ferne gerückt ist und die Rezession in den USA wohl noch bis mindestens 2014 andauern wird.

2. Wie ist das Verhältnis zwischen Finanzindustrie und US-Medienkonzernen?
Allein in den Aufsichtsräten der zehn größten Medienkonzerne der Welt befinden sich 17 Vertreter großer Banken oder Finanzinvestoren, die zum Teil direkt für die Finanzkrise verantwortlich waren. Im Aufsichtsrat von Comcast, dem mit Abstand größten Medienkonzern der Welt, sind zum Beispiel Vertreter von Fannie Mae, Evercore Parnters oder The Bank of New York. Die Manager der Medienunternehmen gehören zweifellos zu den "1 percent", von denen sich die "99 percent"-Demonstranten abgrenzen. So verdienten Führungskräfte von Medienkonzernen im Jahr 2010 durchschnittlich 10,8 Millionen US-Dollar, was ungefähr dem 300-fachen Betrag des Jahreseinkommens eines durchschnittlichen Angestellten entspricht.
Ein besorgniserregender Trend besteht darin, dass Medienkonzerne zunehmend auf ehemalige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Bankenwesen anstatt auf gelernte Journalisten als Moderatoren setzen. Nur einige Beispiele: Als die CNN (Time Warner)-Moderatorin Erin Burnett sich in ihrer Show über die Motive von "Occupy Wallstreet" lustig machte ("Seriously?") wurde den Zuschauern verschwiegen, dass sie zuvor für die Bank Goldman Sachs tätig war sowie mit einem Verantwortlichen von Citigroup liiert ist. Chelsea Clinton, Tochter des gleichnamigen Präsidenten, ehemalige Angestellte für einen zwölf Milliarden schweren Hedge Fund und verheiratet mit einem ehemaligen Goldman Sachs-Verantwortlichen, wurde vergangene Woche von NBC als Korrespondentin engagiert. Bill Keller, bis vor wenigen Wochen Chefredakteur der "New York Times" und Befürworter des Irak-Krieges ist der Sohn des ehemaligen CEO des Erdölriesen Chevron.

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