Mediaset sempre più tedesca. Aktuelle Vorgänge um Pro Sieben Sat 1

14.05.2020

Schon vor über einem Jahr hatte man spekuliert, der Mediaset-Konzern des italienischen Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ziehe eine Übernahme von Pro Sieben Sat 1 in Erwägung. Fusionsphantasien entstanden, die das Pro-Sieben-Sat-1-Papier um vier Prozent nach oben trieben. Die Börsenattacke Ende Mai 2019, als Mediaset für 349,1 Millionen Euro ein Aktienpaket von 9,6 Prozent erwarb und größter Anteilseigner wurde, konnte dann niemanden überraschen. Mitte November 2019 wurde der Anteil über die Tocher Mediaset España (Madrid) um 5,5 auf 15,1 Prozent ausgebaut. Der Kaufpreis: Ca. 170 Millionen. „Mediaset alla conquista della Germania”, titelte die Berlusconi-nahe Tageszeitung Libero. „Mediaset erobert Deutschland.“ Damit nicht genug: Am 23. März 2020 legte Mediaset España nach und kaufte für rund 61 Millionen Euro weitere 4,25 Prozent; der Mediaset-Gesamtanteil an Stimmrechten lag jetzt bei 20,1 Prozent.

Kleiner Exkurs: Das, was für die deutsche Fernsehwelt Unterföhring ist, einer der wichtigsten Medienstandorte nämlich (Pro Sieben Sat 1, BR Studios, ZDF Landesstudio, Sky Deutschland, Paramount Germany, früher Taurus-Film und Kirch-Gruppe), heißt in Italien Cologno Monzese, kurz Cologno, eine Kommune nordöstlich von Mailand. Hier findet sich die Mediaset-Zentrale, die dazugehörigen Sender und zahlreiche weitere Studios (z.B. von Radio Italia, RTL 102,5). Auch liest man in dem Zusammenhang oft von il biscione, dem mittelalterlichen Wappensymbol einer Schlange, die ein Kind verschluckt. Il biscione: Symbol der Stadt Mailand, das sich auch auf dem Logo von Alfa Romeo findet und dem von Berlusconis Fininvest-Holding (hier hat man das Kind durch eine Blume ersetzt).

„Mediaset, nuovo blitz su Prosieben. Il Biscione al 25% della tv tedesca“, so affaritaliani.it am 23.4.2020. Oder wie die Süddeutsche Zeitung am 6.4. geschrieben hatte, nachdem il biscione (also Mediaset) beim Bundeskartellamt den „Erwerb eines wettbewerblich erheblichen Einflusses“ angemeldet hatte: „Mediaset macht ernst“. Ein blitz, ein Überraschungsangriff war es aber nicht; die Aufstockung der Beteiligung um weitere 4,1 Prozent war erwartet worden, hatte doch schon am 15. April das Wirtschaftsblatt Il Sole 24 Ore vom OK der Kartellbehörden berichtet („Mediaset: nulla osta dell'Antitrust tedesca“). Mit 24,9 Prozent der Stimmrechte hält Mediaset jetzt eine faktische Sperrminorität. Ohne die Zustimmung aus Cologno geht nichts mehr.

Man weiß, dass Mediaset damit rechnet, Pro Sieben Sat 1 in die paneuropäische Mediengruppe MediaForEurope zu integrieren, dem Europakonzern mit Sitz in Amsterdam. Dazu Pier Silvio Berlusconi, der Sohn, CEO von Mediaset: “We are looking for partners in Europe to challenge the web giants". Partner wie P7S1 eben, oder TF1 (Paris) und Media Capital (Lissabon). Der Gründungsprozess von MFE stockt allerdings, wegen anhaltender Verstimmung zwischen Mediaset und Vivendi (Mediaset-Großaktionär). Mediaset-Finanzchef Marco Giordani hofft auf eine baldige Klärung der Sache (die eigentlich schon für März erwartet worden war, sich aber wegen Corona und geschlossener Gerichte verzögert).

Es gibt weitere Beteiligte an den Vorgängen um Pro Sieben Sat 1. Auch über den amerikanischen Medienkonzern Discovery hörte man, er sei interessiert. Gunnar Wiedenfels, P7S1-Finanzvorstand bis 2017, ist mittlerweile bei Discovery in gleicher Funktion tätig. Oder die Czech Media Invest (CMI) von Daniel Kretinsky, der zusammen mit Patrik Tkac und dem Slowaken Roman Korbacka Ende Oktober 2019 zunächst mit vier Prozent bei Pro Sieben Sat 1 eingestiegen war, um Mitte März 2020 den Kursverfall der Aktie zu nutzen und die Anteile auf 10,01 Prozent aufzustocken. Der Tscheche Kretinsky, rund 3,4 Milliarden Dollar schwer, der auch 30 Prozent am Handelskonzerns Metro, 49 Prozent an „Le Monde“ und seit dem 5. Mai 2020 auch 5,3 Prozent an der britischen Royal Mail hält, hatte Anfang April 2020 verlauten lassen, „keine gemeinsamen Absprachen“ mit Mediaset treffen zu wollen. Ende März hatte Kretinskys CMI aber bekannt gegeben: „Wir beabsichtigen, innerhalb der nächsten zwölf Monate weitere Stimmrechte zu erwerben.” Nicht nur das. Dazu wolle CMI auch entsprechend der Beteiligung „Einfluss auf die Besetzung von Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorganen der ProSiebenSat.1 Media SE“ nehmen.

Oder doch Gütersloh? Bertelsmann/RTL-Chef Thomas Rabe sagte am Rande der Bilanz-Präsentation am 24. März 2020, dass er sich eine Übernahme von Pro Sieben Sat 1 durchaus vorstellen könne. Zwar sei das aus regulatorischen Gründen „momentan schwierig“, doch „irgendwann sollte das möglich sein“. Unklar bleibt hier, warum genau eine Fusion des größten mit dem drittgrößten deutschen Medienkonzern bzw. eine Fusion der beiden größten deutschen Privatfernsehgruppen, die sämtliche relevanten Privatsender unter einem Dach versammeln würde, irgendwann kartellrechtlich unproblematisch sein sollte.

Die letzte Volte: Der überraschende Auftritt der New Yorker Private Equity-Gruppe KKR, mit knapp 48 Prozent aktuell größter Anteilseigner von Axel Springer, und schon zwischen 2006 und 2014 Großinvestor bei P7S1, der am 10.05.2020 wieder einsteigt und 5,21 Prozent übernimmt. Ist Pro Sieben Sat 1 ein Übernahmekandidat, ein Spielball für Investoren? Mit den Geschäftszahlen geht es nach wie vor bergab. Der „auf die Aktionäre des Konzerns entfallende Gewinn“ ging im ersten Quartal 2020, also vor Corona, im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent zurück. Ein Dividenden Cut ist zu erwarten, die Dividenden-Rendite von über 12 Prozent sinkt so auf null.

Auch wenn wiederholt von einer Übernahme die Rede ist, auch wenn man in Italien von der Schlacht, der „battaglia per ProsiebenSat1“ spricht, die begonnen habe: Mediaset legt die Karten noch nicht offen, begrüßt aber den Einstieg von KKR als „gute Nachricht, die den Wert unserer Invesition in Deutschland bestätigt“. Wahrscheinlich ist es, dass die Italiener den Schwerpunkt weiterhin auf ihre MFE-Holding legen. Eine tatsächliche Übernahme der Kontrolle von Pro Sieben Sat 1 ist wohl nicht vorgesehen, würde von der Bundespolitik auch nicht befürwortet. Klärung erwartet man vom 10. Juni 2020, Tag der Online-Hauptversammlung. Dann wird sich zeigen, inwieweit die ganzen Anteilseigner ihre Prozente geltend machen wollen.

Max Conze jedenfalls hat mit all dem nichts mehr zu tun. Er hatte von Anfang an auf die Avancen aus Mailand kühl reagiert: „Ich bin sehr skeptisch, was eine strukturelle Verschmelzung unserer Unternehmen angeht“ (SZ 2.12.2019); sein Fokus lag auf dem neuen Videoportal Joyn. Dann musste Max Conze gehen, nach weniger als zwei Jahren an der Konzernspitze. Am Ende war es wohl il biscione, waren es die neuen starken Anteilseigner aus Cologno Monzese, die für seine am 26.3.2020 angekündigte Ablösung sorgten.

(auszugsweise aus Medienkorrespondenz 8/2020)