Facebook bald in China?

04.05.2011

Seit mindestens einem Jahr beobachtet Facebook den chinesischen Markt. In China gehört das soziale Netzwerk ebenso wie YouTube, Wikipedia und Twitter zu den von der Regierung durch das „Projekt goldener Schild“ gesperrten Seiten. Nun plant der Onlineriese laut Informationen der chinesischen Webseite Sohu.com, in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Suchmaschinenmarktführer Baidu ein soziales Netzwerk für China aufzubauen. Damit schlägt Facebook einen Weg ein, dem Google vor einem Jahr den Rücken kehrte. Die mediadb-Redaktion hat die Strategien von Facebook auf dem chinesischen Markt sowie deren mögliche Folgen genauer untersucht und zusammengefasst:

 

Welche Strategien verfolgt Facebook auf dem chinesischen Markt?
Jeder 13. Mensch nutzt das Internetportal Facebook (640 Mio. aktive Nutzer), über das durchschnittlich in 20 Minuten eine Million Links ausgetauscht werden. Hinsichtlich eines Ausbaus des weltweiten Netzwerkes ist das bevölkerungsreichste Land der Erde bzw. der weltweit zweitgrößte Internetmarkt nach den USA mit rund 450 Millionen Internetnutzern, die jährlich um 20 Prozent zunehmen, einer der erstrebenswertesten Zielmärkte. Laut Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, dessen Freundin einen chinesischen Migrationshintergrund aufweist, könne die Facebook-Idee der Vernetzung aller Menschen weltweit nicht umgesetzt werden, wenn von „vornherein 1,6 Milliarden Menschen außen vor bleiben“. Die möglichen Erträge aus Werbeeinnahmen dieses von Facebook ungenutzten Absatzmarktes könnten durch die Ausweitung auf die Volksrepublik rapide emporschnellen. Laut Informationen des Tagesspiegel könnte der Werbeumsatz bis 2014 von derzeit vier auf 13 Milliarden Dollar ansteigen. Bereits jetzt arbeitet das Unternehmen mit den weltweit größten Vermarktern zusammen. In den USA werben mehr als 80 Prozent der Top 100 Kunden auf Facebook. Zurzeit ist der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge jedoch keine Anbindung eines chinesischen Netzwerks an das weltweite Facebook-Netz geplant. In Kooperation mit dem chinesischen Partner Baidu soll die bereits im Jahr 2005 von Facebook gesicherte Domain Facebook.cn aufgebaut werden. Baidu ist mit 56 Prozent Markteinteil führend im chinesischen Suchmaschinenmarkt und hat jahrelange Erfahrung in der Beziehungspflege zu Behörden. Dementsprechend wäre das chinesische Unternehmen laut Informationen der taz für die direkte Zensur zuständig, wobei Facebook die Serverkosten übernehmen würde. Baidu ist jedoch nicht das erste Unternehmen, mit dem Facebook in China zusammenarbeitet: Mit dem Know-how der Hong Konger Unternehmen Hutchison Telecom, Hong Kong Holdings Ltd und Wyeth soll die im Februar in Hong Kong eröffnete Facebook-Niederlassung aufgebaut werden, die unter anderem auch für Marketing-Kampagnen in Taiwan zuständig ist. Es handelt sich dabei neben Singapur um die zweite Niederlassung von Facebook in Asien.

 

Welchen Einfluss kann ein derartiges Engagement auf den chinesischen Medienmarkt haben?
Der chinesische Markt für soziale Netzwerke ist bereits erschlossen. Kritikern zufolge hätte es Facebooktrotz seines großen Namens nicht leicht“. Das Online-Netzwerk Renren.com („jedermann“) verfügt über 160 Millionen registrierte Nutzer und teilt sich den Markt mit QQ.com. Renren Inc. plant einen Börsengang, um eine halbe Milliarde Dollar einzulösen. Ein weiterer großer Konkurrent ist der Onlinehändler Tencent, der sein Geschäft mit sozialen Diensten ausbaut und dessen Marktwert den von eBay übertrifft. Ein anderes Netzwerk mit 60 Millionen Usern, Kaixin001, wird von Baidu selbst betrieben.
Der Einfluss Facebooks wäre aufgrund des chinesischen Kartellrechts zusätzlich minimiert. In einem Joint Venture könnte Facebook nie den Kurs des Unternehmens bestimmen, da der zulässige Anteil gesetzlich auf 49,9 Prozent beschränkt ist. Außerdem müssen die Server auf chinesischem Festland stehen. Für Konzerne wie Google war dies ein Grund, sich nach Hong Kong zurückzuziehen.
Sollte Facebook ein soziales Netzwerk in China aufbauen wollen, bleibt langfristig nur die Option, sich den chinesischen Zensurvorgaben unterzuordnen. Der chinesischen Regierung ist das Potential des Internets zur massenhaften Organisation von Dissidenten vertraut und die aktuellen Entwicklungen in Nordafrika bekannt, sodass entsprechende Gegenmaßnahmen längst in die Medienpolitik integriert wurden. Seit der Kampagne des chinesischen Präsidenten Hu Jintao für „eine bessere Steuerung und Anleitung der öffentlichen Meinung im Internet“ werden Beiträge sofort gelöscht, die nur ansatzweise eine politische Botschaft enthalten könnten.

 

Welche Folgen könnten sich für Facebook weltweit ergeben?
Die Anpassung an chinesische Vorschriften wurde von Facebook-Sprechern in einem Interview mit dem Wall Street Journal bestätigt. Das Blockieren von Inhalten würde jedoch Kritikern zufolge negative Auswirkungen auf das Image von Facebook haben: „Blocking content in some countries—but not others—would deeply damage Facebook's brand and raise troubling questions about its commitment to human rights and Internet freedom“, meinte der US-Senator Tom Coburn aus Oklahoma, einer der bekanntesten Republikaner im Menschenrechtsausschuss des US-Senats. Die Unterwürfigkeit gegenüber chinesischen Zensurvorgaben kam anderen Unternehmen bereits teuer zu stehen. So brachte Yahoo! Menschenrechtsaktivisten aus der ganzen Welt gegen sich auf, als es die Identität des kritischen Bloggers Shi Tao an die Behörden weitergab. Andererseits tut die bereits ausgeübte Zensur Facebooks in einigen islamischen Ländern wie Pakistan dem Erfolg keinen Abbruch. Das Unternehmen ist darüber hinaus auch nicht wie Google oder Microsoft Teil der Global Network Initiative, die sich auf gemeinsame Prinzipien beim Verhalten gegenüber Ländern mit eingeschränkten Grundrechten wie der Redefreiheit geeinigt haben. Zusätzlich hat sich im letzten Jahr nach der Bekanntgabe der unerlaubten Weitergabe von Nutzerdaten durch Facebook und der Änderungen der Datenschutzbestimmungen gezeigt, dass die Nutzer sensibel auf derartige Veränderungen reagieren. Im Mai letzten Jahres verließen am „Quit Facebook Day“ innerhalb kürzester Zeit mehr als 35.000 Nutzer das Netzwerk. Sollten sich die Vermutungen der taz bewahrheiten, dass der „social graph“, der Datenberg an Beziehungsinformationen in Facebook, auch auf Facebook.cn sichtbar sein könnte, sobald Freundschaften mit chinesischen Nutzern geschlossen werden, hätte dies enorme Konsequenzen für den Datenschutz. Die Informationen würden in China zensiert werden, was wiederum zu Protesten der Facebook-Nutzer weltweit führen könnte. Aber das letzte Wort ist für das Engagement des Unternehmens in China noch nicht gesprochen: „Right now we're studying and learning about China but have made no decisions about if, or how, we will approach it”, meinte Debbie Frost, Facebooks Direktorin für International Communications.

 

Mehr dazu:

taz: Facebooks China-Strategie. Freundschaftsanfragen vom Zensor (03.05.2011)

 

Wall Street Journal: Facebook Seeking Friends in Beltway (20.04.2011)

 

Bloomberg: Facebook Reaches Deal for China Site With Baidu, Sohu Reports (11.04.2011)