The Scotsman

Die Schotten lieben es, auf ihr Land stolz zu sein. So ist es kein Wunder, dass es im Norden des Vereinigten Königreichs eine nationale Zeitung gibt, die sich The Scotsman, also „der Schotte“, nennt. Der Scotsman existiert schon fast 200 Jahre und er hat einiges dazu beigetragen, dass es heute ein eigenes schottisches Parlament gibt. Einst als liberales Gegengewicht im konservativen Edinburgh entstanden ist der Scotsman heute eine moderne Zeitung, die von ihren Geschwisterblättern Edinburgh Evening Standard und Scotland on Sunday flankiert wird. Der Scotsman wurde schon früh zum Spielball von Big Playern der Medienwirtschaft. Mit dem Erzkonkurrenten, dem Glasgower Herald, aber auch mit schottischen Ausgaben englischer Zeitungen kämpft der Scotsman um die Vorherrschaft an den Kiosken und im Internet. Es ist ein Markt von fünf Millionen Schotten, bei denen Abonnements so gut wie unbekannt sind. Dieser Kampf kann gnadenlos sein: Momentan hat der Scotsman, der zu Thatchers Zeiten fast 100.000 Exemplare verkaufte, eine Auflagenstärke von 43.000 Stück. Das ist etwa so viel wie in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts. Tendenz: sinkend.

Basisdaten

Unternehmenssitz:
The Scotsman
Barclay House
108 Holyrood Road
Edinburgh, EH8 8AS
Tel. No. 0131 620 8620
Fax. No. 0131 620 8616

Chefredakteur: John McLellan

Verlag:
Johnston Press PLC
108 Holyrood Road
Edinburgh
EH8 8AS
Tel: 0131 225 3361
Fax: 0131 225 4580

Geschäftsführung:

  • Ian Russell, Chairman
  • John Fry, CEO


Geschäftsjahr (Financial Year) /Verlag: 1.1.-31.12.

Tab. I: Umsatz/ Verlag (in Mio. GBP)
2005520,124
2006602,221
2007607,504
2008531,899
2009427,996

Tab. II: Gewinn/Verlust nach Steuern / Verlag (in Mio. GBP)

2005107,791
200695,655
2007113,555
2008- 365,470
2009- 87,258

Geschichte und Profil

Edinburgh im Jahre 1817 ist eine Stadt im Umbruch. Den Bürgern wurde die Altstadt mit ihren mittelalterlichen Befestigungsanlagen, düsteren Gassen und der trutzigen Burg zu eng. Vor allem die Wohlhabenden zog es vor die Mauern der schottischen Hauptstadt in die New Town. Der Konflikt mit Napoleon, in dem viele Schotten ihr Leben ließen, war Vergangenheit. Die Regierung schränkte Repressalien aus Kriegszeiten gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wieder ein. Doch der Geist der schottischen Hauptstadt blieb konservativ, es herrschte Vetternwirtschaft und Klüngel. Das bekam auch der Anwalt William Ritchie zu spüren, als er in den lokalen Zeitungen einen Artikel über das Missmanagement in der Royal Infirmary, dem Krankenhaus Edinburghs, veröffentlichen wollte. Mit seiner Geschichte konnte er keinen Chefredakteur überzeugen, selbst als Anzeige wollte niemand das kontroverse Stück drucken. 

So entschloss sich Ritchie, mit dem Zollbeamten Charles Maclaren eine eigene Zeitung zu gründen. Das Blatt mit dem stolzen Titel „The Scotsman“ erschien erstmals am 25. Januar 1817 und hatte acht Seiten. Die Zeitung kam jeden Samstag mit einer Auflage von 300 Exemplaren heraus. Schon auf dem ersten Titel schmückte das schottische Nationalsymbol – die Distel – den Kopf.  Darunter das Motto: „Dies ist nicht die Sache einer Fraktion, einer Partei oder eines Einzelnen sondern im Interesse aller Männer in Britannien.“ Der Preis lag bei zehn Penny. Die Elite der Stadt war nicht angetan von dem neuen Medium, das sich liberale Ansichten auf die Fahne geschrieben hatte. Ein schottischer Lord nannte es schlicht: „Dieses brandstifterische Blatt“. Erstmals gab es nun eine Zeitung, die ein Gegengewicht zur „Hegemonie“ der konservativen Presse darstellte. Trotz der Kritik an der Oberschicht waren es die Wohlhabenden, die die Zeitung lasen. Selbst die wenigen Penny konnten sich nur Bürger mit hohen Einkommen leisten. Manche ließen sich die umstrittene Zeitung unter der Hand nach Hause schmuggeln. 

Zeitungen waren damals noch aus Lumpenabfällen gefertigt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts gab es diese Druckerzeugnisse aus Papier. Eine Steuer, die so genannte „Stamp Duty“, mit der die Regierung in London die Presse kontrollieren konnte, trieb den Preis in die Höhe. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts fiel die Stamp Duty sowie Steuern auf Werbung und Papier weg, was zu einem Boom der Medienbranche führte.
Die Redaktionsarbeit damals erinnert an manche schlechte Gewohnheiten von heute: Per Postkutsche kamen die Londoner Zeitungen nach Edinburgh. Die großen Blätter des Empire dienten den Autoren des Scotsman als beliebte Quelle für Nachrichten aus aller Welt. Korrespondenten konnte sich die Zeitung nicht leisten und es war eine Sensation, als ein Büro in London eröffnete. Anders sah es in der regionalen Berichterstattung aus: Der Scotsman setzte sich für parlamentarische und städtische Reformen ein. Ein wichtiges Thema war die Spaltung der schottisch- presbyterianischen Kirche. Darüber hinaus engagierte sich der Scotsman für die Emanzipation der Katholiken in Irland, die auch in Schottland als Einwanderer eine Minderheit darstellten. Schon in der Anfangszeit des Scotsman gab es ausführliche Reportagen. Etwa über die Burke-und-Hare-Morde: Brendan Burke und William Hare töteten 17 Menschen, um deren Körper an die Anatomie zu verkaufen. In einer Ausgabe des Scotsman erschien nicht nur der Gerichtsreport über den Prozess mit neuneinhalb Spalten, sondern auch noch ein Leitartikel von zweieinhalb Spalten. Akribisch dokumentierte die Zeitung die Hinrichtung Burkes in Edinburgh, als hätte der Reporter direkt neben dem Galgen gestanden.

Auch die Chefredakteure selbst sorgten für illustre Geschichten. Charles Maclaren ließ es nicht allein bei journalistischen Wortgefechten bleiben. Über mehrere Ausgaben hinweg hatte der Chefredakteur des Caledonian Mercury, Dr James Browne, seinen Konkurrenten Maclaren in Beiträgen angegriffen. Die journalistischen Attacken brachten den Chef des Scotsman so sehr zur Weißglut, dass er Browne zum Duell forderte. Zur Erleichterung beider Redaktionen waren die Gentlemen nicht besonders treffsicher und ihre Pistolenkugeln verfehlten einander. Ab 1853 erschien der der Scotsman täglich, nun hieß er einige Jahre Daily Scotsman.

Die Industrielle Revolution prägte Schottland und das Pressewesen nachhaltig. Dank der Eisenbahn, die der Verlag mit eigenen Expresszügen durchs Land brausen ließ, entwickelte sich der Scotsman zu einer „nationalen“ Zeitung mit einer Auflage von rund 40.000 Exemplaren im Jahre 1873. Mit der Eisenbahn rückte allerdings auch die potentielle Konkurrenz, die Londoner Presse, mit ihrem Verbreitungsgebiet immer näher an Schottland heran. Doch während die Zeitungen der englischen Provinz von übermächtigen Rivalen der Hauptstadt immer mehr verdrängt wurden, war die Lieferdauer in den Norden doch zu lange, um den Schotten ernsthaft das Geschäft zu verderben. 1887 betrug die Auflage 60.000 – somit war der Scotsman die größte britische Tageszeitung außerhalb Londons. Sie war auch die erste im Lande, die über eigene Telegrafenleitung verfügte.

In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entbrannte eine Krise um die politische Selbstverwaltung (Home Rule) in Irland. In dieser Atmosphäre entwickelte der Scotsman, namentlich sein London-Korrespondent Charles Cooper, den Vorschlag, einige parlamentarische Kompetenzen an Regionalregierungen in Schottland, England und Irland zu übertragen. Nachdem jedoch die sogenannte Home-Rule-Politik im Parlament abgeschmettert worden war, verschwand auch Coopers Vorschlag wieder in der Mottenkiste. Erst in den 30er Jahren im Zuge der Wirtschaftskrise kam das Thema wieder auf den Tisch. Damals gründeten unzufriedene Schotten die Scottish National Party (SNP). Sie forderten die Unabhängigkeit Schottlands. Zu solch radikalen Ideen hielt der liberale Scotsman Distanz, sprach sich aber in Leitartikeln für ein separates Parlament aus. Damit stand er im krassen Gegensatz zum konservativen Glasgow Herald, der jede Selbstverwaltung kategorisch ablehnte.

1905 bezog der Scotsman zusammen mit den Geschwisterblättern Weekly Scotsman und dem Evening Dispatch den dritten, aber wohl imposantesten Standort des Verlags. Heute noch prangen die goldenen Lettern des Scotsman an dem erhabenen Gebäude im englischen Barockstil an der North Bridge. Die einmalige Silhouette von Edinburgh war immer ein besonderes Anliegen der Zeitung. So stritt sie 1928 gegen ein monumentales Kriegsdenkmal im Edinburgh Castle, das die Burgmauern überragt hätte. Im Ersten Weltkrieg hatte der Scotsman in den patriotischen Tenor anderer britischer Blätter mit eingestimmt. Doch das monströse Denkmal bekämpfte er mit geschickten Bildmontagen, die den Bürgern die Hirngespinste der Planer vor Augen führten, was zu einem kleineren Denkmal führte. Bei seinem Kampf gegen die „geschmacklose“ Herrentoilette neben der Nationalgalerie musste der Scotsman jedoch klein beigeben.

Während des Generalstreiks von 1926 liefen beim Scotsman die Druckmaschinen fleißig weiter, als die Druckwalzen des ganzen Landes de facto stillstanden. Die Zeitungsauslieferer mussten sich unter Gefahr für Leib und Leben an Streikposten vorbeischleichen. Die britische Regierung bot dem Besitzer des Scotsman sogar an, die Zeitungen kostenlos nach London einzufliegen, wo ein eklatanter Zeitungsmangel herrschte, was dieser aber ablehnte.

In den dreißiger Jahren unterstützte der Scotsman die Appeasement-Politik der britischen Regierung. Dies änderte sich aber mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Plötzlich mussten die Reporter des Scotsman auch über Bombenangriffe, etwa auf Schiffe in der Nähe der Forth Bridge bei Edinburgh, berichten. Es war der erste deutsche Angriff auf die Britischen Inseln überhaupt. Edinburgh blieb aber vom Schicksal etwa Londons im Bombenkrieg verschont.   

Die komplizierten Besitzverhältnisse des Scotsman Publications Verlags sowie steigende Kosten nach dem Weltkrieg brachten dessen Leitung in große Schwierigkeiten. 1953 war die Lage derart desolat, dass der Direktor Colin Mackinnon dem kanadischen Medienunternehmer Roy Herbert Thomson den Kauf des Blattes anbot. Der exzentrische Kanadier hatte sein Geld mit dem Aufkauf von Zeitungen und Radiostationen gemacht. Stundenlang fuhr Thomson bei seinem ersten Besuch in Edinburgh mit der Straßenbahn durch die Stadt. Der Eindruck hatte gewirkt, die Zeitung ging für 393.750 Pfund an Thomson. Der Kanadier besann sich seiner schottischen Wurzeln und machte Edinburgh zum neuen Hauptquartier seines Medienimperiums.

Thomson führte einen Kleinkrieg mit dem alteingesessenen Scotsman-Chefredakteur J. Murray Watson, dem die Geschäftsmethoden des Kanadiers überhaupt nicht in den Kram passten. Gestandene Journalisten wie Watson versetzte Thomson zum Beispiel mit diesem legendären Bonmot in Rage: „Redaktioneller Inhalt ist das, was die Anzeigen optisch auseinander hält“. In der ersten Woche unter Thomson mussten 41 Verlagsmitarbeiter gehen. In Edinburgh war er alles andere als beliebt. So soll er seinem Konkurrenten – dem Besitzer der Evening News - bei jeder Begegnung angedroht haben, das Blatt im wahrsten Sinne des Wortes von der Straße zu fegen. Letztlich erstand er die prosperierende Zeitung auf dem Verhandlungswege, nur um damit den eigenen dahinsiechenden Evening Dispatch 1963 zu ersetzen. Auch sonst passte der notorisch geizige Aufsteiger, der aus kleinen Verhältnissen stammte, nicht in die feine Gesellschaft der schottischen Hauptstadt. Die erlebte ihr Sakrileg, als Thomson 1955 einen neuen Chefredakteur – Alastair MacTavish Dunnett  –  einstellte, der eine Titelseite mit Nachrichten produzierte und so mit aller bisherigen Tradition brach. Allein zur Anfangszeit des Scotsman hatte es Nachrichten auf dem Titel gegeben. Prominente Schotten quittierten dies mit Abonnementskündigungen. Langfristig bescherte Dunnett dem Blatt traumhafte Erfolge. 1965 verkaufte der Scotsman rund 70.000 Exemplare – nur 10.000 weniger als der Konkurrent Glasgow Herald. Dazu kamen eine ganze Reihe britischer Design-Preise für das exquisite Layout.

Medienunternehmer Thomson beließ es nicht beim Scotsman. 1958 kaufte er die Kemsley Zeitungsgruppe, die damals größte in Großbritannien. Am Ende besaß Thomsons Medien-Konzern 200 Zeitungen in den USA, Kanada und in Großbritannien. Darunter die Times und die Sunday Times.  Eine Schlacht konnte Thomson aber nicht für sich entscheiden: die Übernahme des Erzkonkurrenten Glasgow Herald im Jahre 1964, obwohl er 8,3 Millionen Pfund geboten hatte. 1962 gab der Scotsman als erste britische Zeitung ein Wochenendmagazin heraus. Auf zwölf Seiten ging es um Kunst, Literatur, Wissenschaft und Veranstaltungstermine.

Nach dem Tod Thomsons 1976 ging der Scotsman zu Thomson Regional Newspapers über. Die Verlagsleitung wollte eine regionale Ausrichtung erzwingen. Es kam zu Spannungen mit dem Chefredakteur Eric Mackay, der die nationale Ausrichtung der Zeitung halten wollte. Als 1967 ein Mitglied der bisher unbedeutenden Scottish National Party (SNP) während einer Ergänzungswahl den Wahlkreis eines Labour-Abgeordneten in Hamilton kassierte, stand das Unabhängigkeitsthema wieder auf der Tagesordnung. Das Medieninteresse war enorm und der Scotsman nahm ausführlich Stellung in dieser Frage. Chefredakteur Eric Mackay holte den Politikprofessor und Labourabgeordneten John P. Mackintosh als Kolumnisten ins Blatt, der das Projekt „Devolution“ sozusagen herbeischrieb. Auch nach der gescheiterten Volksabstimmung 1979, als schon viele den Regionalisierungs-Prozess als gescheitert ansahen, vertrat das Blatt eine Pro-Devolution-Haltung.  

Unter der Thatcher-Regierung in den 80er Jahren war das Thema vom Tisch. Das Land erlebte die wohl größten wirtschaftlichen Umbrüche seit der Industriellen Revolution. Die einst dominierende Schwerindustrie verschwand fast komplett. Landwirtschaft und verarbeitende Industrie wurden zurückgedrängt. Unter schweren sozialen Opfern und massiven Streiks entstand eine Dienstleistungsgesellschaft. Für den Scotsman hingegen war es eine goldene Ära: Die Auflage erreichte die 100.000-Grenze. 1987 hielt das digitale Zeitalter beim Scotsman Einzug. Der Verlag erstand für vier Millionen Pfund ein „Norsk Data Computer System“. Ganze Produktionsteile und Arbeitsplätze verschwanden fast über Nacht. 1988 kam erstmals die Sonntagszeitung Scotland on Sunday heraus. 1990 wuchs für mehr als sechs Millionen Pfund in Newhaven eine neue Offset-Druckerei aus dem Boden, die von einer 48 Seiten-Zeitung in einer Stunde 75.000 Exemplare produzieren konnte. Im gleichen Jahr erhielt der Scotsman einen Relaunch und einen neuen Titel-Kopf. Die inzwischen drei Disteln bekamen ein modernes Design verordnet und wurden auf ein einzelnes Exemplar zurechtgestutzt. Jedoch beschwerte sich der eine oder andere Leser, dass es sich in Wahrheit aus botanischer Sicht um eine englische Distel und nicht um eine schottische handelte. 1995 erwarb Ellerman Investments, die den Milliardären David und Ferderick Barclay gehört, die Zeitung und ihre Geschwisterblätter für 85 Millionen Pfund. Damals war die Auflage zwar im Sinken, aber immer noch bei 66.000 Exemplaren.  Die renommierte schottische Designagentur Palmer Watson arbeitete Mitte der neunziger Jahre mit dem Scotsman zusammen und das Blatt gewann dreimal hintereinander den Titel für das weltbeste Design bei der Society for News Design.

Unter der Labour-Regierung von Tony Blair wurde das britische Devolution-Projekt nun ernsthaft in die Hand genommen. 1997 brachte eine Volksabstimmung den Durchbruch. Der Weg zu einem schottischen Parlament war frei, zwei Jahre später fand die erste Sitzung statt. Der Scotsman rückte nun auch örtlich an das Parlament heran. Scotsman, Scotland on Sunday und die Edinburgh Evening News verließen ihr legendäres, aber auch labyrinthartiges Hauptquartier an der North Bridge und zogen in einen lichten Glas- und Betonbau in die Nähe des hypermodernen Parlamentsgebäudes. Doch der Neubau des Parlaments war inzwischen ein wahrer Zankapfel geworden, da der Bau sich um drei Jahre verzögerte und die Kosten von geschätzten zehn bis 40 Millionen auf stolze 414 Millionen Pfund anwuchsen. Plötzlich waren ausgerechnet die Befürworter des Parlaments in den Redaktionen dessen schärfste Kritiker. Ein Phänomen, das Medienbeobachter bis heute feststellen.

Mit der Jahrtausendwende verschärfte sich die Lage im schottischen Tageszeitungsgeschäft massiv. Privatsender und Privatradios (seit den frühen 70er Jahren) machten es den Zeitungen immer schwerer, Anzeigenkunden zu akquirieren. Das Internet brachte neue, noch größere Herausforderungen: Leser wanderten ab und Online-Anzeigen wurden ein gefährlicher Wettbewerber. Die schottischen Zeitungen reagierten mit eigenen Websites und Preiserhöhungen. Seit den 70er Jahren sind die Auflagen der Tageszeitungen um 19 Prozent zurückgegangen, während die Sonntagszeitungen um 35 Prozent an Auflage gewannen. Außerdem wandten sich immer mehr Leser von den originär schottischen Zeitungen ab. Viele englische Blätter druckten plötzlich Ausgaben mit einem „Kilt“, also einem schottischen Regionalteil.

Mitte der 70er Jahre waren noch rund zwei Drittel aller Tages- und Sonntagszeitungen in schottischer Hand. 2006 machten britische Zeitungen wie etwa die Sunday Times Scotland einen wesentlich größeren Teil aus und bestritten inzwischen rund 55 Prozent der Tagesverkäufe und 44 Prozent der Sonntagsverkäufe.

Auf diese Probleme reagierte die Verlagsleitung des Scotsman in zweierlei Hinsicht: Einerseits mit der Neugestaltung des Zeitungslayouts und andererseits mit Umstrukturierungen im eigenen Haus, beides mit immer schnellerer Schlagzahl. Seit 1994 gab es zehn verschiedene Chefredakteure, die den Scotsman leiteten. Zur Jahrtausendwende erhielt die Zeitung ein Re-Design. Vier Jahre später entstand eine Kompaktversion des Scotsman, die anfangs nur samstags erschien. Wenige Monate später kam die Zeitung täglich im kompakten Tabloid-Format heraus, dem wiederum ein Re-Design der Titelseite folgte, die von nun an Teaser beinhaltete. 2006 übernahm die Johnston Press Group die Scotsman Publications Limited für 160 Millionen Pfund. Chefredakteur John McLellan ist seit Februar 2009 in seinem Amt. Vorher war er bei Scotland on Sunday und Edinburgh Evening News von Scotsman Publications als Chef tätig.

Verlagsüberblick/Management /Geschäftsmodelle

Johnston Press gilt nach Auflage als  zweitgrößter Verlag Großbritanniens. Das Unternehmen besitzt 318 lokale und regionale Zeitungen in Großbritannien und Irland. Dazu gehören 18 Tageszeitungen wie etwa die Yorkshire Post, 156 Wochenzeitungen, 97 kostenlose Wochenzeitungen und zwei Sonntagszeitungen. Hinzu kommen über 300 Webseiten, darunter zahlreiche nutzwertige Seiten für Jobsuche oder Immobilienkauf. Johnston Press wurde 1767 im schottischen Falkirk gegründet. Mit dem Kauf des Scotsman erweiterte der Verlag 2006 sein bislang auf Regionalpresse beschränktes Portfolio um einen überregionalen Titel. Seit 1988 ist das Unternehmen an der Londoner Börse gelistet. 1.830 Journalisten arbeiten für den Verlag, der insgesamt 6.000 Menschen beschäftigt. Zahlreiche Akquisitionen haben bei Johnston Press hohe Schulden aufkommen lassen, die in der Wirtschaftskrise noch schwerer wiegen. Massive Werbeeinbrüche ließen den Umsatz von 607,5 Millionen Pfund im Jahre 2007 auf 531,9 Millionen Pfund 2008 fallen, was 12,4 Prozentpunkten Umsatzrückgang entspricht. Das Unternehmen sprach vom „größten Umsatzeinbruch in seiner Geschichte”. Ende 2008 fiel die Aktie aus dem FTSE 250 Aktienindex. Während die Aktie 2005 noch einen Wert von etwa fünf Pfund erreichte, notiert sie heute gerade bei elf Pence. 2010 kündigte der Verlag an – angespornt durch Gewinne aus dem digitalen Bereich - seit 2007 erstmals wieder zu wachsen. Gleichzeitig seien Jobkürzungen geplant. Das Management will rund 15 Millionen Pfund einsparen. 2008 hatte der Verlag seine Belegschaft um über 1.130 Mitarbeiter, 2009 um 768 Personen reduziert. Während damals fünf Zeitungen eingestellt wurden, sind diesmal offiziell keine weiteren Schließungen von Redaktionen geplant.

Internetpräsenz und Online-Performance

1999 erstand die erste Website des Scotsman. Ein Jahr später erschien Scotsman.com als flächendeckendes Portal für Schottland, das von der Tochtergesellschaft Scotsman Publications Limited betrieben wird. Scotsman.com glänzte zwar anfangs mit Innovationen und war etwa die erste britische Seite, die ein Video-Podcast veröffentlichte.  Mit der Übernahme durch Johnston Press mussten jedoch 15 der 20 Online-Journalisten gehen. Nach einem Relaunch fiel die Anzahl der individuellen Benutzer (unique users) von 3,8 Millionen im Januar 2007 auf 1.92 Millionen Nutzer.  Heute sind es etwa 1.5 Millionen unique users. Zurzeit arbeiten drei Personen an der Website. Die Redaktion ist verschmolzen mit dem Newsroom der Zeitung. Ende 2009 startete der Verlag bei den Internetauftritten der schottischen Zeitungen  Southern Reporter und der Carrick Gazette einen Versuch für Bezahlschranken (Paywalls) für Web-Inhalten, gab diesen aber wieder im Frühjahr 2010 auf. Die iPhone-App des Scotsman fand nach Verlagsangaben zum Start im April vergangenen Jahres mehr als 1000 Nutzer innerhalb einer Woche. Im Jahr 2011 – so Chefredakteur John MacLellan – soll ein neues Design der Website online gehen. Eine Applikation für das iPad sowie eine E-Paper Ausgabe für das elektronische Kindle-Lesegerät seien ebenfalls geplant.

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Die Stimmung in den schottischen Medien ist desolat. Seit 2008 hält die Wirtschaftskrise Schottland im Griff und potenziert die Strukturkrise der klassischen Medien. Die überregionale Presse scheint sich im permanenten Sinkflug zu befinden. Johnston Press hat 2009 angekündigt, die Newsrooms von Scotsman und Scotland on Sunday zusammenzulegen. Die Auflage des Scotsman lag im Dezember 2010 bei etwa 43.000 Exemplaren. Beilagen wie „In our time - 70 years of Scottish life“ oder „Autumn Hillwalks” sollen zusätzliche Käufer locken. Zugleich kultiviert der Verlag Merchandisingprodukte wie Kalender, Schals mit eigenem Tartan sowie Reisen als Einnahmequellen. Was inhaltlich auffällt, ist das dünne Themenspektrum: Politisches wird allein durch die schottische Brille betrachtet. Und für deutsche Leser etwas befremdlich bietet die Zeitung bisweilen eine Mischung aus politischer Alltagskost, detailreichen Artikeln über Mordfälle, Gewalt und Klatsch. Europa, dem Schottland viel zu verdanken hat, spielt kaum eine Rolle. Es gibt höchstens den üblichen Blick nach Westminster, aber kaum einen frischen, hintergründigen Ausblick jenseits der Britischen Inseln.

Was ist also der Mehrwert eines Scotsman im Gegensatz zum kostenlosen Klick im Internet? Hintergründe liefern, die Welt erklären: Das schaffen in Schottland allein Sonntagszeitungen, wie etwa der Sunday Herald, der gerade den Preis als European Newspaper of the Year erhielt. Die Website Scotsman.com kann dieses Manko wohl kaum aufheben, da sie im Vergleich etwa mit Guardian.co.uk technisch veraltet ist. Wenn es keine explizit schottischen Inhalte gäbe, sähe es dunkel aus für den Scotsman. Bleibt zu hoffen, dass Johnston Press seine Stärken im Lokalen mit journalistischer Qualität und technischen Innovationen ergänzt. Chefredakteur John McLellan über sein Rezept für die Zukunft: „Wir werden einen Fokus auf das setzen, was wir am besten können und andere nicht: tiefgründige Berichterstattung über schottische Angelegenheiten mit einer breiten Autorenschaft jenseits unseres Newsrooms. Technisch sind wir gut ausgestattet, um die Vorteile neuer Entwicklungen zu nutzen.“

Referenzen/ Literatur

  • Smith, Maurice: Paper Lions. The Scottish Press and National Identity, Edinburgh 1994.
  • Magnusson, Magnus et al.: The Glorious Privilege. History of the Scotsman, 1967.
  • Blain, Neil / Hutchison, David: The Media in Scotland, Edinburgh 2008.
  • Reid, Harry, Deadline: The Story of the Scottish Press. Edinburgh 2006.