The New York Times

Die New York Times ist die politische einflussreichste Zeitung der USA und nicht zuletzt durch einige Hollywood-Filme, in denen sie eine Hauptrolle spielte, wohl die bekannteste Zeitung der Welt. Sie setzt werktags mit rund 900.000 verkauften Exemplaren deutlich mehr ab als die nationale Konkurrenz von der Washington Post, aber doch weniger als der große regionale Gegenspieler, das Wall Street Journal, das mit fast 2 Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste US-amerikanische Qualitätsblatt ist. An politischem und journalistischem Ansehen überragt die Times ihre Konkurrenz jedoch deutlich. Es gelang ihr, in den 160 Jahren ihres Bestehens eine besondere Nähe zur Regierung in Washington zu entwickeln, gleichzeitig aber einen Mythos als regierungsunabhängige Supermacht des Qualitätsjournalismus zu begründen und zu pflegen.

Die Zeitung ist die Schöpfung des Politikers Henry J. Raymond und bis zu seinem Tod 1869 blieb sie der Partei der Republikaner, deren Mitbegründer Raymond ebenfalls war, eng verbunden. Sein Partner George Jones diente vor allem als Berater in Finanzfragen. Nach Raymonds Tod geriet die Times in Schwierigkeiten, so dass der deutschstämmige Adolph Ochs sie 1896 zu günstigen Konditionen erwerben konnte. Nach der Übernahme verlor die Zeitung zwar ihre eindeutige politische Ausrichtung. Sie hat mit der Ausnahme von Richard Nixon die Präsidenten in Washington jedoch fast ausnahmslos unterstützt und die Verletzung journalistischer Standards dabei berechnend in Kauf genommen. Diese tendenziell regierungstreue und vor allem nationale Haltung der Times hat viel mit der sogenannten „jewish question“ der Zeitung zu tun. Die Besitzerfamilie Ochs-Sulzberger ist ein wichtiger Teil der jüdischen Oberschicht von New York, die als Leser und Werbekunden einen wesentlichen Anteil am Aufstieg und Erfolg der Zeitung haben. Um nicht explizit als jüdische Zeitung wahrgenommen zu werden, hat die Times manche politischen Ereignisse, etwa die Lage im nahen Osten oder die Entwicklung Deutschlands nach 1933 sehr zurückhaltend kommentiert, während sie vermeintlich patriotische Anliegen wie den „Krieg gegen Terror“ nach dem Anschlag am 11. September 2001 fast vorbehaltlos unterstützte.       

2009 setzte der Verlag knapp 2,9 Milliarden USD um. Die Times hat die Gewinne aus dem Zeitungsgeschäft genutzt, um den Verlag zu einem integrierten Medienkonzern auszubauen, der New York Times Company. Zeitweilig verfügte die Company über ein breites Geflecht aus Papierhandel, Druckereien, Fernseh- und Radiostationen und einer eigenen Nachrichtenagentur. Seit etwa zehn Jahren hat sie begonnen, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren und Anteile an Fernsehsendern, Buchverlagen und Zeitschriften verkauft. Die Broadcast Mediagroup ging 2007 für 575 Millionen USD an ein Private Equity Unternehmen. Die Familie Ochs-Sulzberger hält nur 19 Prozent des Stammkapitals, kontrolliert das Unternehmen aber über ein geteiltes Share-Holder-System, das die stimmberechtigten Aktien allein in der Hand der Familie belässt. Außerdem ist es immer ein Mitglied der weitverzweigten Familie, das offiziell als Herausgeber die Geschicke der Zeitung lenkt. Dem Herausgeber untersteht der Executive Editor (Chefredakteur) und der Managing Editor (stellvertretender Chefredakteur), dem wiederum die leitenden Redakteure verantwortlich sind. Die journalistische Freiheit der einzelnen Redakteure ist jedoch groß, wie der Fall des Redakteurs Jayson Blair im Jahr 2003 zeigte, der in der NYT mehr als 600 gefälschte, abgeschriebene oder erfundene Artikeln publizieren konnte, ohne dass es jemanden aufgefallen wäre. 

Wie fast alle großen Qualitätszeitungen ist auch die Times ihrem Selbstverständnis nach ein Weltblatt mit lokalen Wurzeln. Ihre Kommentare und Leitartikel verbreitet sie weltweit durch Ableger wie dem International Herald Tribune, als englischsprachige Beilagen in großen Tageszeitungen (in Deutschland etwa in der Süddeutschen Zeitung) und natürlich durch das Internet. Die Bedeutung der New York Times für die amerikanische Gesellschaft und ihre Rolle als Repräsentant der USA in der Welt ist von US amerikanischen Intellektuellen oft analysiert und kritisiert worden. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler bezweifelt jedoch, dass die Times ein wesentlicher Baustein des politischen Systems der USA ist und ihre Gesellschaft ohne die Zeitung eine andere wäre.

Basisdaten

Auflage: 906.100 (Werktags), 1.356 (sonntags) (Stand Dezember 2010)

Umsatz und Gewinn: 2.949 Millionen Doller (2009)

Hauptsitz:
620 Eight Avenue, New York, NY 10018, USA
Telefon: 001-212-556-1234
Telefax: 001-212-557-7389
Internet: www.nytimes.com (Zeitung), www.nytco.com (Verlagsgruppe)

Branche: überregionale Tageszeitungen, Lokalzeitungen, Radiosender, Online-Angebote
Rechtsform: Aktiengesellschaft
Geschäftsjahr: 01.01.-31.12.
Gründungsjahr: 1851
Beschäftigte: 11.585 (2006)

Geschichte und Profil

Am 26. Mai 2004 erschien im hinteren Teil der New York Times ein ganzseitiger Artikel, den die Herausgeber der Zeitung gemeinsam unterzeichnet hatten. Die Redaktion habe, so die Autoren, im vorangegangenen Jahr kritisch und ausführlich über die Entscheidungen berichtet, die zum Ausbruch des Irakkrieges geführt hätten. Man habe dabei besonders die Leichtgläubigkeit und Unzuverlässigkeit der Geheimdienste beanstandet. Die Zeitung müsse jetzt jedoch einräumen, dass auch die eigene Rechercheleistung nicht „agressiv“ genug war und die Hoffnung auf einen „Scoop“ in manchen Fällen so groß, dass die Journalisten die gebotene Sorgfalt vergessen hätten.     
 
Die Herausgeber reagierten mit ihrer Kritik auf eine Stimmung, die sich vor allem innerhalb der Redaktion auszubreiten begann. Der zweifache Pulitzer-Preisträger und Times-Redakteur Anthony Lewis hatte im März des Jahres die Berichterstattung der US-Medien inklusive der eigenen Zeitung in der Folge des 11. September als vollkommen unzureichend bezeichnet und behauptet, die Journalisten seien demselben Trauma erlegen wie der Rest der Bevölkerung. Im Gegensatz zu der Publikation der Pentagon Papers 1971 und dem progressive case 1979 habe es die Regierung nach dem 11. September nicht einmal nötig gehabt, direkt in die Arbeit der Presse einzugreifen. Vielmehr sei es hinreichend gewesen, auf die Nationale Sicherheit zu verweisen und mit dem „War on Terror“ einen Terminus einzuführen, der ausreichte, fundamentale Verfassungsrechte zu hintergehen, ohne dass die US-Medien dagegen protestierten. Eine Person, die als „enemy combat“ gilt, werde heute ohne rechtmäßige Verhandlung für zwei Jahre inhaftiert.

Diese handfeste Kritik aus dem eigenen Haus und die zustimmende Reaktion der Herausgeber waren bemerkenswert. Denn die Times nimmt im US-amerikanischen Mediensystems eine Sonderrolle ein und hat sich selten zu einer zu regierungskritischen Haltung durchgerungen. Für die wenigen meinungsführenden Qualitätsblätter der USA gibt es kein hinreichendes Korrelat und wenn diese, meist angeführt von der New York Times, einmal eine Perspektive eingenommen haben, kommt es bei schneller Nachrichtenproduktion wie nach dem 11. September zu einem systemischen Versagen, das sich in diesem Fall auch darin ausdrückt, dass die Zeitung für die Berichterstattung, die sie selbst im Nachhinein für unzureichend hielt, rekordverdächtige sieben Pulitzerpreise erhalten hatte. Die Leitartikel der Times werden in den USA tausendfach von Partner- und Lokalzeitungen nachgedruckt, sie bestimmen das Tagesprogramm von Politikern, Fernseh- und Rundfunknachrichten. Dass die Kritik aus den eigenen Reihen zu nachdenklichen Tönen führte, spricht deshalb für die Zeitung und spiegelt das Bewusstsein für die eigene Rolle. Gleichzeitig zeigt gerade die öffentlich vorgetragene Kritik auch einen Bewusstseinswandel in den Chefetagen der Zeitung. Denn Kritik von dieser Tragweite öffentlich vorzutragen, war bei der Times nicht immer erwünscht. Die Redaktion muss ihre Glaubwürdigkeit heute, anders als in den 1970er und 1980er Jahren, als die Times schon einmal eine journalistische Krise durchlief, jedoch gegen Millionen von Bloggern und Internetangeboten verteidigen. Gay Talese, einer der führende Times Journalisten der 1960er Jahre, sieht darin einen Gewinn. Die Times, so Talese, sei heute besser als jemals zuvor.    

Als der deutschstämmige Adoph Ochs aus Tennessee die New York Times 1896 für 75.000 USD kaufte, besaß sie keinen einheitlichen journalistischen Stil. Ihr Gründer James Raymond hatte die Zeitung als publizistische Unterstützung seiner Politik genutzt. Die neuen Eigentümer hatten nach 1869 versucht, Elemente des Journalismus von Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst zu übernehmen, die mit ihren yellow-press Blättern den Ton in der Metropole bestimmten und den journalistischen Standard setzten. Erfolg brachte die Anpassung jedoch nicht. Die Times dümpelte mit 9.000 verkauften Exemplaren weit abgeschlagen auf dem letzten Platz der 12 Tageszeitungen New Yorks und geriet in große Schwierigkeiten, weil ein neues Verlagsgebäude den Haushalt überproportional belastete. Hearst hatte im Jahr zuvor das New York Morning Journal gekauft und eines der größten Familienvermögen der USA in der Hinterhand. Ochs war schnell klar, dass er auf dem Massenmarkt mit Pulitzer und Hearst nicht konkurrieren konnte. Er ging in die entgegengesetzte Richtung, beseitigte alle Zugeständnisse an den Sensationsjournalismus und setzte stattdessen auf eine seriöse Darstellung und einen Tonfall, der dem Konversationsstil der gehobenen New Yorker Schicht entsprach. Er erweiterte die Redaktion, installierte ein vielgliedriges Netz an Korrespondenten, kaufte neue Druckmaschinen und bezog 1904 ein neues Hauptquartier am Longacre Square. Zu diesem Zeitpunkt war er schon mächtig genug, um beim Bürgermeister durchzusetzen, den Platz in Times Square umzubenennen. Als Ochs 1935 starb, verkaufte die Times fast eine halbe Millionen Exemplare. Er hatte mit dem neuen Stil einen Zeitgeist getroffen und ein Medium geschaffen, dessen Lektüre zum Statussymbol wurde. Der Verleger zielte nicht auf den Massenmarkt, sondern richtete all sein Bemühen auf die kapitalkräftige Leserschicht, bediente beispielsweise als erster die Nachfrage nach einer kontinuierlichen Übersicht zum Finanz- und Immobilienmarkt. Mit den Einnahmen baute er die Redaktion weiter aus und gewann so nach und nach an journalistischer Qualität.

Die privilegierte Schicht New Yorks bestand zur Jahrhundertwende zu einem großen Teil aus deutsch-jüdischen Einwanderern, die sich selbst als „Our Crowd“ bezeichneten. In diesen Kreisen galt die Times rasch als unverzichtbar, denn sie besaß quasi ein Monopol für Familienanzeigen und Informationen, die für gesellschaftliche Teilhabe nötig waren. Die zweite Einwanderungswelle Ende des Jahrhunderts brachte jedoch große Gruppen russischer und ost-europäischer Juden nach New York, die aus der Lower East Side ein Armutsquartier machten und die etablierte Einwohnerschaft, besonders natürlich die jüdischen Gemeinden, vor ein Assimilierungsproblem stellten. Das Ansehen der jüdischen Einwohner New Yorks veränderte sich fundamental. Antisemitische Stimmungen nahmen fühlbar zu und Ochs sah sich in seinem Glauben bestärkt, dass das Problem nur über eine starke Identität aller Einwohner als Amerikaner zu lösen sei. Die Zeitung sollte das ihre dazu beitragen und wurde bewusst zu einer Agentur des US amerikanischen Nationalbewusstseins ausgebaut. Jüdisch klingende Namen von Redakteuren wurden amerikanisiert und während des israelischen Unabhängigkeitskrieges oder während der Suez-Krise verhängte der Verleger sogar ein Einstellungsstopp für Juden. Im Zweifelsfall vermied die Redaktion einen eindeutig pro-israelischen Standpunkt, um bei den nicht-jüdischen Lesern nicht an Glaubwürdigkeit einzubüßen.

Der amerikanische Patriotismus war auch die Grundlage, die zu einer engen Zusammenarbeit zwischen der Times und dem Weißen Haus führte. Der ausgeprägte Antikommunismus nach dem Ersten Weltkrieg, der für ein Wirtschaftsblatt wie die Times selbstverständlich war, hat die Zusammenarbeit zwischen politischer und journalistischer Klasse dabei außerordentlich begünstigt. Die Korrespondenten waren seit Adolph Ochs angewiesen, einen möglichst engen Kontakt zu Regierungsmitgliedern im Weißen Haus aufzubauen, was auch deshalb leicht fiel, weil die New York Times ihre Redakteure aus dem gleichen akademischen Umfeld rekrutierte wie der Regierungsapparat. Journalisten und Politiker kamen aus derselben sozialen Schicht und kannten sich oft persönlich aus dem Studium. Bis Mitte der 1960er Jahre hatten Redakteure und Politiker das Gefühl, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten und die Atmosphäre war geprägt von gegenseitigem Vertrauen. Redakteure des Washingtoner Büros nahmen aktiv an entscheidenden Sitzungen der Regierung teil und erhielten freien Zugang zu Dokumenten, die als top-secret klassifiziert waren. Ein Journalist der Times war beim Abwurf der Atombombe auf Nagasaki an Bord des Flugzeugs. 

Die Times druckte lange Reden und Vorträge aus dem Senat und dem Weißen Haus ab und galt deshalb völlig zu Recht als paper of record. Nicht von ungefähr kamen einige hochrangige Mitarbeiter der Times aus der Administration in Washington, nicht wenige hohe Beamten hatten vorher für die Times gearbeitet. Cyrus Vance beispielsweise, war stellvertretender Verteidigungsminister und Generalstabschef der Armee, bevor er in den Aufsichtsrat der Times Company ging. Unter Carter wurde er Außenminister, um nach dem Ende seiner Amtszeit zur Times zurück zu kehren. Geradezu legendär war das Verhältnis, das der Büroleiter James Reston zwischen 1945 und 1963 zu Regierungsmitgliedern aufbauen konnte. Er besaß das Vertrauen von John F. Kennedy, entwickelte später aber ein noch engeres Verhältnis zum Sicherheitsberater und Secretary of State Henry Kissinger, der nach der Wahl Richard Nixons 1968 zu einem der einflussreichsten Politiker Washingtons wurde. Es war aber auch Reston, der nach seiner Ablösung in Washington eine junge Mannschaft von Journalisten hinterließ, die gegen den oppositionellen Zeitgeist der 1960er Jahre nicht immun war und die gerade wegen der Entfernung zu New York den Nährboden für ein neues Verhältnis zwischen der Times und der Regierung in Washington bilden konnten.

In New York begann 1968 die Zeit von A. M. Rosenthal als Managing und Executive Editor und dieser hatte nicht die Absicht, die Times für das sozialistische Gedankengut der Studentenbewegung zu öffnen. Der glühende Antikommunist war 1958 als Korrespondent in Polen gewesen, hatte sich in dem sozialistischen Land alles andere als wohl gefühlt und dies seine Umgebung bei jeder Gelegenheit spüren lassen. Nach nur einem Jahr verwies die polnische Regierung ihn des Landes. Zurück in New York arbeitete er sich über verschiedene Stationen bis zum stellvertretenden Chefredakteur hoch und begann, eine Personalpolitik zu entwickeln, die er als Chefredakteur dann skrupellos durchsetzte. Das Vertrauen des jungen Verlegers Arthur Ochs Sulzberger, der seit 1963 Chef der Times war, erarbeitete er sich, weil er ein glänzender Manager war und die Gewinne der Zeitung um ein vielfaches vermehrte. Der journalistische Preis, den die Zeitung dafür zahlte, war allerdings hoch. Rosenthal redigierte ohne Absprache in die Artikel der Redakteure hinein und verhinderte kritische Artikel, wenn er der Ansicht war, mit ihnen Anzeigenkunden zu irritieren. Er führte eine werbefreundliche, positive Berichterstattung ein und erweiterte die Printausgabe der Times um eine ganze Reihe von Supplements und Zeitschriften, die vor allem Lifestyleprodukte waren. Am Ende seiner Amtszeit erreichte die Sonntagsausgabe eine Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren und der Stapel Zeitungen und Zeitschriften, die man für den Preis einer Tageszeitung erhielt, wog 4,5 Kilogramm.

Rosenthal verantwortete aber eben auch die Publikation der Pentagon-Papers, die der Verteidigungsminister McNamarra in Auftrag gegeben hatte, weil er auf einer gesicherten Grundlage operieren wollte und dazu wissen musste, welche Motive und Entscheidungen seine Vorgänger im Vietnamkrieg geleitet hatten. Das Ergebnis waren niederschmetternde 47 Bände, die das Versagen, die Skrupellosigkeit und menschenverachtende Denkweise amerikanischer Spitzenpolitiker und ihrer Berater dokumentierte. Daniel Ellsberg, Mitverfasser der Studie, nutzte eine Gelegenheit, um die Bände zu fotokopieren und übergab sie Neil Sheehan, einem Reporter der Times im Hauptstadtbüro, den er aus einem gemeinsamen Pflichtwehreinsatz in Vietnam kannte. Über Sheehan kamen die Papiere nach New York, wo Rosenthal darüber entscheiden musste, ob und in welcher Weise die Times die Bände öffentlich machen könnte. Dass er sich letztlich dazu entschloss, war nach Ansicht von Zeitzeugen vor allem der Pressepolitik der Nixon-Regierung geschuldet, die kritische Stimmen gegen den Vietnamkrieg durch politischen Druck unterbinden wollten und besonders den führenden Zeitungen an der Ostküste mangelnden Patriotismus vorwarfen. Die Regierung schreckte auch vor gerichtlicher Verfolgung nicht zurück und zwang Journalisten, Quellen aufzudecken. Die Presse fühlte sich in ihrem Selbstverständnis angegriffen und auch die führenden Männer der Times kamen zu dem Ergebnis, dass die Regierung in ihre Schranken zu verweisen war. Die Publikation der Pentagon-Papers war geeignet, den Zugriff der Regierung auf das Mediensystem zu unterbinden und die Unabhängigkeit der Presse zu demonstrieren. 

Für die Times war die Veröffentlichung gleichwohl ein schwieriger Balanceakt, denn er bedeutete das Ende der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Redakteuren und Politikern. Die journalistische und die politische Sphäre rückten deutlich von einander ab. Als die Times 1961 in den Besitz von Informationen über die geplante militärische Invasion von Kuba durch die USA gelangt war, hatte sie sich noch gegen die Publikation geheimer Regierungsaktionen entschieden. Kennedy hatte von einem geplanten Artikel erfahren, den Verleger angerufen und ihn an seine Verpflichtung gegenüber der amerikanischen Nation erinnert. Mit einem einzigen Anruf verhinderte der Präsident, dass die Times ihr Wissen publizierte. Genauso verhielt die Zeitung sich in der Cuban Missile Crises im folgenden Jahr und auch im Vietnamkrieg hatte sie im Wesentlichen die Interpretation der Regierung übernommen und abgedruckt. Es gab zwar kritische Berichterstatter wie David Halberstam, aber gerade dessen Artikel waren Rosenthal ein Dorn im Auge. Ihm war klar, dass er den Gegnern des Vietnamkrieges und damit der verhassten Studentenbewegung mit der Veröffentlichung der Pentagon Papers einen außerordentlichen Dienst erwies. Ihm war aber genauso klar, dass er diese Dokumente keinesfalls zurück halten konnte.

Die Regierung lernte ihre Lektion und versuchte, das gestörte Verhältnis zu den Journalisten zu reparieren. Als die Times nur ein Jahr nach der Publikation der Pentagon Papers Material erhielt, das Nixon der Bespitzelung und Denunziation politischer Gegner überführte, besprachen Führungskräfte der Times die Folgen einer Publikation zunächst mit Henry Kissinger, der sie davon überzeugen konnte, das Material zurück zu halten. Der Informant hatte das Material jedoch auch an die Redaktion der Washington Post weiter gegeben und als diese begann, Auszüge der Dokumente zu veröffentlichen, war das für die New Yorker ein journalistisches Fiasko. Die Watergate Affaire war der journalistische Coup des 20. Jahrhunderts, Nixon der einzige Präsident der Vereinigten Staaten, der von einer Zeitung gestürzt wurde. Dass die Times diesen Coup wegen einer geheimen Absprache mit der Regierung der Washington Post überließ, wird immer ein dunkler Fleck in der Geschichte der Zeitung bleiben. In der Öffentlichen Wahrnehmung hat ihr die Rolle als Juniorpartner der Washington Post hingegen weniger geschadet. Die Absprache mit Kissinger war damals selbstverständlich noch nicht bekannt und die Zeitung erlebte die erfolgreichsten Jahre ihrer Geschichte. Der Ausbau zum integrierten Medien- und Lifestylekonzern begann.   

Für die Berichterstattung der NYT ist es also entscheidend, ob sie die nationale Sicherheit ebenso beurteilt wie die Regierung. In der Geschichte der Zeitung war das vor allem in internationalen Fragen fast immer der Fall. Aus einem gemeinsamen Interesse heraus und weil Arthur Hays Sulzberger ein enger Freund von CIA-Chef Allen Dulles war, hat die Times lange Jahre eng mit dem Geheimdienst kooperiert und Personal ausgetauscht. Zur finanziellen Unterstützung der Contras in Nicaragua fand Noam Chomsky in der Times keinen einzigen kritischen Artikel. Zu einer oppositionellen Haltung neigt sie vor allem dann, wenn ihre eigene Rolle im politischen System der USA gefährdet ist. Das Geheimnis der Zeitung liegt deshalb eher darin, wie es ihr seit Jahrzehnten gelingt, als Sinnbild für Seriosität und Glaubwürdigkeit zu gelten, obwohl vor allem die Auslandsberichterstattung keineswegs objektiven Kriterien folgt. Untersuchungen haben ergeben, dass die Times in mehr als tausend Fällen Aussagen aus dem Regierungsapparat einfach kommentarlos übernahm. Dazu gehörten wirkungsvolle Bilder wie das vom internationalen Terrorismus, das Ronald Reagan seit 1981 immer wieder benutzte (damals freilich noch als sowjetische Variante). Weil nicht zuletzt die Times das Bild zwanzig Jahre lang in verschiedenen Varianten in die Berichterstattung integrierte, konnte die Regierungen nach den Anschlägen am 11. September 2011 auf diese Bilder zurück greifen. Unter Reagan und dem Director of White House Communications, David Gergens, der unter Nixon das Research und Writing Team des Weißen Hauses geleitet hatte, erreichte die Zusammenarbeit zwischen Regierung und der NYT ein Niveau, das es seit Nixon nicht mehr gegeben hatte. Erst das Internet stellt das Verhältnis auf die Probe und hat die New York Times wie den gesamten amerikanischen Zeitungsmarkt erheblich verändert. 

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Am 26. Mai 2004 erschien im hinteren Teil der New York Times ein ganzseitiger Artikel, den die Herausgeber der Zeitung gemeinsam unterzeichnet hatten. Die Redaktion habe, so die Autoren, im vorangegangenen Jahr kritisch und ausführlich über die Entscheidungen berichtet, die zum Ausbruch des Irakkrieges geführt hätten. Man habe dabei besonders die Leichtgläubigkeit und Unzuverlässigkeit der Geheimdienste beanstandet. Die Zeitung müsse jetzt jedoch einräumen, dass auch die eigene Rechercheleistung nicht „agressiv“ genug war und die Hoffnung auf einen „Scoop“ in manchen Fällen so groß, dass die Journalisten die gebotene Sorgfalt vergessen hätten.     
 
Die Herausgeber reagierten mit ihrer Kritik auf eine Stimmung, die sich vor allem innerhalb der Redaktion auszubreiten begann. Der zweifache Pulitzer-Preisträger und Times-Redakteur Anthony Lewis hatte im März des Jahres die Berichterstattung der US-Medien inklusive der eigenen Zeitung in der Folge des 11. September als vollkommen unzureichend bezeichnet und behauptet, die Journalisten seien demselben Trauma erlegen wie der Rest der Bevölkerung. Im Gegensatz zu der Publikation der Pentagon Papers 1971 und dem progressive case 1979 habe es die Regierung nach dem 11. September nicht einmal nötig gehabt, direkt in die Arbeit der Presse einzugreifen. Vielmehr sei es hinreichend gewesen, auf die Nationale Sicherheit zu verweisen und mit dem „War on Terror“ einen Terminus einzuführen, der ausreichte, fundamentale Verfassungsrechte zu hintergehen, ohne dass die US-Medien dagegen protestierten. Eine Person, die als „enemy combat“ gilt, werde heute ohne rechtmäßige Verhandlung für zwei Jahre inhaftiert.

Diese handfeste Kritik aus dem eigenen Haus und die zustimmende Reaktion der Herausgeber waren bemerkenswert. Denn die Times nimmt im US-amerikanischen Mediensystems eine Sonderrolle ein und hat sich selten zu einer zu regierungskritischen Haltung durchgerungen. Für die wenigen meinungsführenden Qualitätsblätter der USA gibt es kein hinreichendes Korrelat und wenn diese, meist angeführt von der New York Times, einmal eine Perspektive eingenommen haben, kommt es bei schneller Nachrichtenproduktion wie nach dem 11. September zu einem systemischen Versagen, das sich in diesem Fall auch darin ausdrückt, dass die Zeitung für die Berichterstattung, die sie selbst im Nachhinein für unzureichend hielt, rekordverdächtige sieben Pulitzerpreise erhalten hatte. Die Leitartikel der Times werden in den USA tausendfach von Partner- und Lokalzeitungen nachgedruckt, sie bestimmen das Tagesprogramm von Politikern, Fernseh- und Rundfunknachrichten. Dass die Kritik aus den eigenen Reihen zu nachdenklichen Tönen führte, spricht deshalb für die Zeitung und spiegelt das Bewusstsein für die eigene Rolle. Gleichzeitig zeigt gerade die öffentlich vorgetragene Kritik auch einen Bewusstseinswandel in den Chefetagen der Zeitung. Denn Kritik von dieser Tragweite öffentlich vorzutragen, war bei der Times nicht immer erwünscht. Die Redaktion muss ihre Glaubwürdigkeit heute, anders als in den 1970er und 1980er Jahren, als die Times schon einmal eine journalistische Krise durchlief, jedoch gegen Millionen von Bloggern und Internetangeboten verteidigen. Gay Talese, einer der führende Times Journalisten der 1960er Jahre, sieht darin einen Gewinn. Die Times, so Talese, sei heute besser als jemals zuvor.    

Als der deutschstämmige Adoph Ochs aus Tennessee die New York Times 1896 für 75.000 USD kaufte, besaß sie keinen einheitlichen journalistischen Stil. Ihr Gründer James Raymond hatte die Zeitung als publizistische Unterstützung seiner Politik genutzt. Die neuen Eigentümer hatten nach 1869 versucht, Elemente des Journalismus von Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst zu übernehmen, die mit ihren yellow-press Blättern den Ton in der Metropole bestimmten und den journalistischen Standard setzten. Erfolg brachte die Anpassung jedoch nicht. Die Times dümpelte mit 9.000 verkauften Exemplaren weit abgeschlagen auf dem letzten Platz der 12 Tageszeitungen New Yorks und geriet in große Schwierigkeiten, weil ein neues Verlagsgebäude den Haushalt überproportional belastete. Hearst hatte im Jahr zuvor das New York Morning Journal gekauft und eines der größten Familienvermögen der USA in der Hinterhand. Ochs war schnell klar, dass er auf dem Massenmarkt mit Pulitzer und Hearst nicht konkurrieren konnte. Er ging in die entgegengesetzte Richtung, beseitigte alle Zugeständnisse an den Sensationsjournalismus und setzte stattdessen auf eine seriöse Darstellung und einen Tonfall, der dem Konversationsstil der gehobenen New Yorker Schicht entsprach. Er erweiterte die Redaktion, installierte ein vielgliedriges Netz an Korrespondenten, kaufte neue Druckmaschinen und bezog 1904 ein neues Hauptquartier am Longacre Square. Zu diesem Zeitpunkt war er schon mächtig genug, um beim Bürgermeister durchzusetzen, den Platz in Times Square umzubenennen. Als Ochs 1935 starb, verkaufte die Times fast eine halbe Millionen Exemplare. Er hatte mit dem neuen Stil einen Zeitgeist getroffen und ein Medium geschaffen, dessen Lektüre zum Statussymbol wurde. Der Verleger zielte nicht auf den Massenmarkt, sondern richtete all sein Bemühen auf die kapitalkräftige Leserschicht, bediente beispielsweise als erster die Nachfrage nach einer kontinuierlichen Übersicht zum Finanz- und Immobilienmarkt. Mit den Einnahmen baute er die Redaktion weiter aus und gewann so nach und nach an journalistischer Qualität.

Die privilegierte Schicht New Yorks bestand zur Jahrhundertwende zu einem großen Teil aus deutsch-jüdischen Einwanderern, die sich selbst als „Our Crowd“ bezeichneten. In diesen Kreisen galt die Times rasch als unverzichtbar, denn sie besaß quasi ein Monopol für Familienanzeigen und Informationen, die für gesellschaftliche Teilhabe nötig waren. Die zweite Einwanderungswelle Ende des Jahrhunderts brachte jedoch große Gruppen russischer und ost-europäischer Juden nach New York, die aus der Lower East Side ein Armutsquartier machten und die etablierte Einwohnerschaft, besonders natürlich die jüdischen Gemeinden, vor ein Assimilierungsproblem stellten. Das Ansehen der jüdischen Einwohner New Yorks veränderte sich fundamental. Antisemitische Stimmungen nahmen fühlbar zu und Ochs sah sich in seinem Glauben bestärkt, dass das Problem nur über eine starke Identität aller Einwohner als Amerikaner zu lösen sei. Die Zeitung sollte das ihre dazu beitragen und wurde bewusst zu einer Agentur des US amerikanischen Nationalbewusstseins ausgebaut. Jüdisch klingende Namen von Redakteuren wurden amerikanisiert und während des israelischen Unabhängigkeitskrieges oder während der Suez-Krise verhängte der Verleger sogar ein Einstellungsstopp für Juden. Im Zweifelsfall vermied die Redaktion einen eindeutig pro-israelischen Standpunkt, um bei den nicht-jüdischen Lesern nicht an Glaubwürdigkeit einzubüßen.

Der amerikanische Patriotismus war auch die Grundlage, die zu einer engen Zusammenarbeit zwischen der Times und dem Weißen Haus führte. Der ausgeprägte Antikommunismus nach dem Ersten Weltkrieg, der für ein Wirtschaftsblatt wie die Times selbstverständlich war, hat die Zusammenarbeit zwischen politischer und journalistischer Klasse dabei außerordentlich begünstigt. Die Korrespondenten waren seit Adolph Ochs angewiesen, einen möglichst engen Kontakt zu Regierungsmitgliedern im Weißen Haus aufzubauen, was auch deshalb leicht fiel, weil die New York Times ihre Redakteure aus dem gleichen akademischen Umfeld rekrutierte wie der Regierungsapparat. Journalisten und Politiker kamen aus derselben sozialen Schicht und kannten sich oft persönlich aus dem Studium. Bis Mitte der 1960er Jahre hatten Redakteure und Politiker das Gefühl, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten und die Atmosphäre war geprägt von gegenseitigem Vertrauen. Redakteure des Washingtoner Büros nahmen aktiv an entscheidenden Sitzungen der Regierung teil und erhielten freien Zugang zu Dokumenten, die als top-secret klassifiziert waren. Ein Journalist der Times war beim Abwurf der Atombombe auf Nagasaki an Bord des Flugzeugs. 

Die Times druckte lange Reden und Vorträge aus dem Senat und dem Weißen Haus ab und galt deshalb völlig zu Recht als paper of record. Nicht von ungefähr kamen einige hochrangige Mitarbeiter der Times aus der Administration in Washington, nicht wenige hohe Beamten hatten vorher für die Times gearbeitet. Cyrus Vance beispielsweise, war stellvertretender Verteidigungsminister und Generalstabschef der Armee, bevor er in den Aufsichtsrat der Times Company ging. Unter Carter wurde er Außenminister, um nach dem Ende seiner Amtszeit zur Times zurück zu kehren. Geradezu legendär war das Verhältnis, das der Büroleiter James Reston zwischen 1945 und 1963 zu Regierungsmitgliedern aufbauen konnte. Er besaß das Vertrauen von John F. Kennedy, entwickelte später aber ein noch engeres Verhältnis zum Sicherheitsberater und Secretary of State Henry Kissinger, der nach der Wahl Richard Nixons 1968 zu einem der einflussreichsten Politiker Washingtons wurde. Es war aber auch Reston, der nach seiner Ablösung in Washington eine junge Mannschaft von Journalisten hinterließ, die gegen den oppositionellen Zeitgeist der 1960er Jahre nicht immun war und die gerade wegen der Entfernung zu New York den Nährboden für ein neues Verhältnis zwischen der Times und der Regierung in Washington bilden konnten.

In New York begann 1968 die Zeit von A. M. Rosenthal als Managing und Executive Editor und dieser hatte nicht die Absicht, die Times für das sozialistische Gedankengut der Studentenbewegung zu öffnen. Der glühende Antikommunist war 1958 als Korrespondent in Polen gewesen, hatte sich in dem sozialistischen Land alles andere als wohl gefühlt und dies seine Umgebung bei jeder Gelegenheit spüren lassen. Nach nur einem Jahr verwies die polnische Regierung ihn des Landes. Zurück in New York arbeitete er sich über verschiedene Stationen bis zum stellvertretenden Chefredakteur hoch und begann, eine Personalpolitik zu entwickeln, die er als Chefredakteur dann skrupellos durchsetzte. Das Vertrauen des jungen Verlegers Arthur Ochs Sulzberger, der seit 1963 Chef der Times war, erarbeitete er sich, weil er ein glänzender Manager war und die Gewinne der Zeitung um ein vielfaches vermehrte. Der journalistische Preis, den die Zeitung dafür zahlte, war allerdings hoch. Rosenthal redigierte ohne Absprache in die Artikel der Redakteure hinein und verhinderte kritische Artikel, wenn er der Ansicht war, mit ihnen Anzeigenkunden zu irritieren. Er führte eine werbefreundliche, positive Berichterstattung ein und erweiterte die Printausgabe der Times um eine ganze Reihe von Supplements und Zeitschriften, die vor allem Lifestyleprodukte waren. Am Ende seiner Amtszeit erreichte die Sonntagsausgabe eine Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren und der Stapel Zeitungen und Zeitschriften, die man für den Preis einer Tageszeitung erhielt, wog 4,5 Kilogramm.

Rosenthal verantwortete aber eben auch die Publikation der Pentagon-Papers, die der Verteidigungsminister McNamarra in Auftrag gegeben hatte, weil er auf einer gesicherten Grundlage operieren wollte und dazu wissen musste, welche Motive und Entscheidungen seine Vorgänger im Vietnamkrieg geleitet hatten. Das Ergebnis waren niederschmetternde 47 Bände, die das Versagen, die Skrupellosigkeit und menschenverachtende Denkweise amerikanischer Spitzenpolitiker und ihrer Berater dokumentierte. Daniel Ellsberg, Mitverfasser der Studie, nutzte eine Gelegenheit, um die Bände zu fotokopieren und übergab sie Neil Sheehan, einem Reporter der Times im Hauptstadtbüro, den er aus einem gemeinsamen Pflichtwehreinsatz in Vietnam kannte. Über Sheehan kamen die Papiere nach New York, wo Rosenthal darüber entscheiden musste, ob und in welcher Weise die Times die Bände öffentlich machen könnte. Dass er sich letztlich dazu entschloss, war nach Ansicht von Zeitzeugen vor allem der Pressepolitik der Nixon-Regierung geschuldet, die kritische Stimmen gegen den Vietnamkrieg durch politischen Druck unterbinden wollten und besonders den führenden Zeitungen an der Ostküste mangelnden Patriotismus vorwarfen. Die Regierung schreckte auch vor gerichtlicher Verfolgung nicht zurück und zwang Journalisten, Quellen aufzudecken. Die Presse fühlte sich in ihrem Selbstverständnis angegriffen und auch die führenden Männer der Times kamen zu dem Ergebnis, dass die Regierung in ihre Schranken zu verweisen war. Die Publikation der Pentagon-Papers war geeignet, den Zugriff der Regierung auf das Mediensystem zu unterbinden und die Unabhängigkeit der Presse zu demonstrieren. 

Für die Times war die Veröffentlichung gleichwohl ein schwieriger Balanceakt, denn er bedeutete das Ende der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Redakteuren und Politikern. Die journalistische und die politische Sphäre rückten deutlich von einander ab. Als die Times 1961 in den Besitz von Informationen über die geplante militärische Invasion von Kuba durch die USA gelangt war, hatte sie sich noch gegen die Publikation geheimer Regierungsaktionen entschieden. Kennedy hatte von einem geplanten Artikel erfahren, den Verleger angerufen und ihn an seine Verpflichtung gegenüber der amerikanischen Nation erinnert. Mit einem einzigen Anruf verhinderte der Präsident, dass die Times ihr Wissen publizierte. Genauso verhielt die Zeitung sich in der Cuban Missile Crises im folgenden Jahr und auch im Vietnamkrieg hatte sie im Wesentlichen die Interpretation der Regierung übernommen und abgedruckt. Es gab zwar kritische Berichterstatter wie David Halberstam, aber gerade dessen Artikel waren Rosenthal ein Dorn im Auge. Ihm war klar, dass er den Gegnern des Vietnamkrieges und damit der verhassten Studentenbewegung mit der Veröffentlichung der Pentagon Papers einen außerordentlichen Dienst erwies. Ihm war aber genauso klar, dass er diese Dokumente keinesfalls zurück halten konnte.

Die Regierung lernte ihre Lektion und versuchte, das gestörte Verhältnis zu den Journalisten zu reparieren. Als die Times nur ein Jahr nach der Publikation der Pentagon Papers Material erhielt, das Nixon der Bespitzelung und Denunziation politischer Gegner überführte, besprachen Führungskräfte der Times die Folgen einer Publikation zunächst mit Henry Kissinger, der sie davon überzeugen konnte, das Material zurück zu halten. Der Informant hatte das Material jedoch auch an die Redaktion der Washington Post weiter gegeben und als diese begann, Auszüge der Dokumente zu veröffentlichen, war das für die New Yorker ein journalistisches Fiasko. Die Watergate Affaire war der journalistische Coup des 20. Jahrhunderts, Nixon der einzige Präsident der Vereinigten Staaten, der von einer Zeitung gestürzt wurde. Dass die Times diesen Coup wegen einer geheimen Absprache mit der Regierung der Washington Post überließ, wird immer ein dunkler Fleck in der Geschichte der Zeitung bleiben. In der Öffentlichen Wahrnehmung hat ihr die Rolle als Juniorpartner der Washington Post hingegen weniger geschadet. Die Absprache mit Kissinger war damals selbstverständlich noch nicht bekannt und die Zeitung erlebte die erfolgreichsten Jahre ihrer Geschichte. Der Ausbau zum integrierten Medien- und Lifestylekonzern begann.   

Für die Berichterstattung der NYT ist es also entscheidend, ob sie die nationale Sicherheit ebenso beurteilt wie die Regierung. In der Geschichte der Zeitung war das vor allem in internationalen Fragen fast immer der Fall. Aus einem gemeinsamen Interesse heraus und weil Arthur Hays Sulzberger ein enger Freund von CIA-Chef Allen Dulles war, hat die Times lange Jahre eng mit dem Geheimdienst kooperiert und Personal ausgetauscht. Zur finanziellen Unterstützung der Contras in Nicaragua fand Noam Chomsky in der Times keinen einzigen kritischen Artikel. Zu einer oppositionellen Haltung neigt sie vor allem dann, wenn ihre eigene Rolle im politischen System der USA gefährdet ist. Das Geheimnis der Zeitung liegt deshalb eher darin, wie es ihr seit Jahrzehnten gelingt, als Sinnbild für Seriosität und Glaubwürdigkeit zu gelten, obwohl vor allem die Auslandsberichterstattung keineswegs objektiven Kriterien folgt. Untersuchungen haben ergeben, dass die Times in mehr als tausend Fällen Aussagen aus dem Regierungsapparat einfach kommentarlos übernahm. Dazu gehörten wirkungsvolle Bilder wie das vom internationalen Terrorismus, das Ronald Reagan seit 1981 immer wieder benutzte (damals freilich noch als sowjetische Variante). Weil nicht zuletzt die Times das Bild zwanzig Jahre lang in verschiedenen Varianten in die Berichterstattung integrierte, konnte die Regierungen nach den Anschlägen am 11. September 2011 auf diese Bilder zurück greifen. Unter Reagan und dem Director of White House Communications, David Gergens, der unter Nixon das Research und Writing Team des Weißen Hauses geleitet hatte, erreichte die Zusammenarbeit zwischen Regierung und der NYT ein Niveau, das es seit Nixon nicht mehr gegeben hatte. Erst das Internet stellt das Verhältnis auf die Probe und hat die New York Times wie den gesamten amerikanischen Zeitungsmarkt erheblich verändert. 

Referenzen/Literatur

  • Seht C. Lewis und Stephen D. Reese: What is the war on Terror? Framing through the eyes of journalists, J& MC Quaterly 1 (2009), S. 85-102.
  • Elfenbein, Stefan W. (1996): The New York Times: Macht und Mythos eines Mediums. Frankfurt am Main: Fischer.
  • From the Editors: The Times and Iraq, NYT vom 26 Mai 2004.
  • Michael Wolff: „the war on the times“, Vanity Fair May 2008: S. 84-90.
  • Edwin Diamond, Behind the Times: Inside the New New York Times (University of Chicago Press, 1995).
  • Elmer Davis: History of The New York Times 1851-1921, New York 1921.
  • Seth Mnookin: Hard News: Twenty-one Brutal Months at The New York Times and How They Changed the American Media. New York 2004.
  • Gay Talese: The Kingdom and the Power: Behind the Scenes at The New York Times: The Institution That Influences the World, New York 2007.
  • Susan E. Tifft und Alex S. Jones: The Trust. The Private and Powerful Family Behind The New York Times. Boston [u.a.] 1999.