Corriere della Sera

Der „Corriere della Sera“ („Abendkurier“) aus Mailand erscheint trotz seines Namens am Morgen und ist die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung in Italien. Gleichzeitig ist das 1876 gegründete Blatt die älteste bestehende Zeitung des Landes.

Adresse: Corriere della Sera, Via Solferino 12, I-20121 Mailand
Auflage (1. Halbjahr 2009): 584.000 Exemplare
Chefredakteur: Ferruccio de Bortoli
Besitz: RCS Media Group, Mailand

Überblick

Dem Ministerpräsidenten passte einmal mehr die Berichterstattung der Tageszeitungen nicht: Berlusconi empfahl den Journalisten, „ihr Handwerk zu wechseln“. Hintergrund war ein kritischer Bericht über eine Steuererhöhung für den italienischen Bezahlfernsehkanal „Sky“. Der „Corriere“ vermutete einen Interessenkonflikt des Premiers, da Sky mit den Privatsendern aus dessen Mediaset-Konzern konkurriert. Chefredakteur Paolo Mieli antwortete auf Berlusconis Empfehlung hin in einem Artikel auf Seite 1: „Das Handwerk unserer Zeitung war es, zu informieren und den gegensätzlichen Auffassungen in dieser Sache Raum zu geben, dabei aber jedes Mal auf transparente Art und Weise die Position der Zeitung zu verdeutlichen.“ Er fügte hinzu: „Die Zeitung wird diese Aufgabe auch weiterhin erfüllen, wie sie es im Lauf dieser Jahre immer getan hat. Auch wenn es vorkam – und es wird uns wieder passieren – dass dies dem amtierenden Ministerpräsidenten nicht passt.“

Der Schlagabtausch war die vorerst letzte Episode in einer langen Reihe von Auseinandersetzungen des "Corriere della sera" mit Silvio Berlusconi. Das liberal-konservative Blatt und der Medienmagnat und Ministerpräsident sind sich trotz gleicher Heimatstadt Mailand in inniger Abneigung verbunden. Die Zeitung aus der Via Solferino stellte sich regelmäßig gegen Entscheidungen des Premiers. 2006 gab sie sogar eine Wahlempfehlung für seinen Herausforderer Romano Prodi ab. Diese in Italien unübliche Entscheidung zeigt auch, dass der „Corriere“ sich immer wieder angelsächsische Zeitungen zum Vorbild nimmt. Fünf Jahre zuvor hatte die Zeitung die (erneute) Wahl Berlusconis zum Ministerpräsidenten noch goutiert, dann aber immer kritischere Kommentare zu dessen vielfältigen Interessenkonflikten und Gerichtsverfahren gedruckt. Berlusconi schmerzte dies nicht so sehr aus enttäuschter Zuneigung, sondern weil die Leserschaft des „Corriere“ eine wichtige Wählerklientel für ihn darstellt: das wohlhabende norditalienische Bürgertum. Die Regierung erhöhte den Druck: In der Redaktion gingen einschüchternde Schreiben ein, es wurde mit Klagen gedroht. Zeitungen, die dem Berlusconi-Konzern nahe stehen, verleumdeten den Chefredakteur Ferruccio de Bortoli. Dieser antwortete mit klaren Kommentaren und warnte vor der Beschädigung der Unabhängigkeit der Justiz durch Berlusconis maßgeschneiderte Gesetze. Darauf hin verklagten ihn Berlusconis Anwälte. Im Mai 2003 gab de Bortoli entnervt auf. Zwar führte er „persönliche Gründe“ an, verstanden wurde der Rückzug jedoch als Protest gegen die Regierung. Die Redaktion streikte mehrere Tage für eine unabhängige Presse und sprach von Einschüchterungen aus Regierungskreisen. Weitere Redaktionen und die italienische nationale Presseagentur zeigten sich solidarisch.

Im italienischen Mediensystem, das seit langem durch eine hohe wirtschaftliche Konzentration im Rundfunksektor und politische Einflussnahme auf die staatlichen Fernsehsender der RAI (Radiotelevisione Italiana) gekennzeichnet ist, wird der „Corriere della sera“ als Qualitätsmedium wahrgenommen. Allerdings gilt er nicht als uneingeschränkt unabhängig, da er durch ein Konsortium von Großunternehmen kontrolliert wird. (siehe Verlagsüberblick) Kritiker sehen hier einen Ansatzpunkt für Einflussnahme durch die Regierung, so Beispielsweise der Berlusconi-Biograf Alexander Stille, Sohn des ehemaligen „Corriere“-Chefredakteurs Ugo Stille. 
Die italienische Bevölkerung liest im europäischen Vergleich wenig Zeitung. Auf tausend Erwachsene kommen lediglich 112,4 Exemplare einer überregionalen Tageszeitung. In Deutschland sind dies 290,5, in Norwegen 580,3. Wie in fast allen Industrieländern ist auch in Italien die Gesamtauflage der Tageszeitungen in den letzten Jahren gesunken. 2008 lag sie nach Schätzungen des italienischen Zeitungsverlegerverbands im Durchschnitt bei 7,65 Mio. Exemplaren. Das entspricht einem Rückgang um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr und von fast 10 Prozent seit dem Jahr 2000. Parallel dazu ging auch die verkaufte Auflage zurück: Seit dem Jahr 2000 büßten die italienischen Tageszeitungen hier sogar 12,9 Prozent ein. Während der Zeitungsverlegerverband angesichts dieser Entwicklung Subventionen fordern und auf das Beispiel Frankreichs verweist, wo die Regierung den Zeitungssektor bis 2011 mit 600 Millionen Euro stützt, gibt man sich bei der Verlagsgruppe des „Corriere della sera“ gelassen: Gaetano Marchetti, der Präsident der RCS Media Group, erklärte öffentlich: „Wir wollen kein Unternehmen in einem Sektor sein, der von staatlichen Subventionen lebt, denn dies würde nicht nur die Renditefähigkeit gefährden, die eine Aktiengesellschaft anstreben muss, sondern auch ihre Unabhängigkeit aufs Spiel setzten.“ 

Der „Corriere“ ist die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung in Italien. 2007 lag die mittlere Auflage bei ca. 825 000 Exemplaren, die verkaufte Auflage betrug ca. 600 000. Von den 2,9 Mio. Lesern war im ersten Halbjahr 2008 knapp die Hälfte älter als 45 Jahre. Die Leserschaft verdient ordentlich und ist überdurchschnittlich gut ausgebildet. 21 Prozent können einen Universitätsabschluss vorweisen. Überproportional vertreten sind Selbstständige, Angestellte, Journalisten und Lehrer Fast zwei Drittel der Leser leben in Norditalien, allein in der Heimatregion Lombardei wohnen 42 Prozent. Weitere Schwerpunkte bei der geografischen Verteilung der Leserschaft sind die Regionen Latium (Rom) und Kampanien (Neapel). Leser in den Regionen weiter südlich sind stark unterrepräsentiert. Der „Corriere“ blickt auf eine über 130-jährige Geschichte zurück.

Geschichte und Profil

Das Gründungsjahr des „Corriere“ 1876 war von nicht zu unterschätzender Bedeutung für diese Epoche der italienischen Geschichte. Es brachte dem jungen Nationalstaat das Ende der Vorherrschaft der „Historischen Rechten“, jener politischen Gruppierung, die Italiens Politik in den ersten 15 Jahren seit der Einigung geprägt hatte. Das Kabinett um Marco Minghetti verlor den Rückhalt im Parlament, weil es die Eisenbahn verstaatlichen wollte und damit auf den Widerstand der Honoratioren stieß.
Italiens älteste existierende Zeitung wurde am 5. März durch den Journalisten Eugenio Torelli-Viollier und den Verleger Riccardo Pavesi in Mailand gegründet. Torelli, geboren in Neapel, hatte sich während der italienischen Einigungskriege den Truppen Garibaldis angeschlossen und sich in den 1860er Jahren als Journalist betätigt. 1875 war er von Pavesi nach Mailand geholt worden, um Leiter der Zeitung „La Lombardia“ zu werden. Bereits im folgenden Jahr wagten die beiden Männer die Gründung des „Corriere della Sera“. Wie alle italienischen Zeitungen dieser Epoche bestand auch der „Corriere“ aus vier eng bedruckten Seiten, wobei die letzte Seite für Anzeigen reserviert war. Das Blatt füllten hauptsächlich übersetzte und nachgedruckte Artikel der führenden nordeuropäischen Zeitungen. Torelli plante, die Aufmachung nach dem Vorbild des angelsächsischen Journalismusmodells zu modernisieren, wie es der größte Konkurrent in Mailand, die linke Zeitung „Il Secolo“, praktizierte: objektiv und mit strikter Trennung von Nachricht und Meinung. Die Linie sollte dabei bürgerlich-konservativ sein. Es kam zum Konflikt mit Pavesi, der im Blatt eine Parteizeitung zur Unterstützung seiner eigenen politischen Karriere sah. Im September 1876 verkaufte Pavesi seine Anteile. Der Weg für einen unabhängigen „Corriere“ war geebnet. Publizistisch konnte das Blatt an Profil gewinnen, als 1878 König Viktor Emanuel II aus dem Haus Savoyen starb. Torelli protestierte gegen die geplante Beisetzung des ersten Regenten des jungen italienischen Nationalstaats im Pantheon in Rom und forderte Turin als letzte Ruhestätte, wie es bisher im Haus Savoyen üblich war. Zudem war die Zeitung gegen den Plan des Nachfolgers Umberto, sich Umberto I zu nennen. Laut Tradition wäre die Ordinalzahl IV angebracht gewesen. Zwar wurde auf den „Corriere“ in keinem der beiden Fälle gehört, die Verkaufszahlen stiegen jedoch merklich.

In den 1880er Jahren erlebte Mailand einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Die dabei neu entstehende Schicht von Geschäftsleuten und Industriellen unterschied sich in ihrer vorherrschenden politischen Einstellung vom alteingesessenen liberalen Handelsbürgertum. Dem „Corriere“ gelang es mit seiner „konservativ-moderaten“ Linie (in dieser Reihenfolge), das neue Leserpotenzial an sich zu binden. Trotz steigender Auflage und moderner Drucktechnik geriet das Blatt wiederholt in finanzielle Engpässe, sodass sich Torelli auf die Suche nach einem Mitgesellschafter begeben musste. 1885 stieg der Textilmagnat Benigno Crespi ein. Die Verbindung von Torellis moderner Auffassung von Publizistik und Crespis unternehmerischem Geschick begründete den weiteren Erfolg der Zeitung. Ende 1885 fand man kaum noch Artikel im „Corriere“, die aus anderen Zeitungen übernommen waren. Die Berichte aus Italien und wichtigen europäischen Zentren wurden eigens für das Blatt von Korrespondenten vor Ort verfasst und nach Mailand telegrafiert. Zudem investierte man in Redaktion und Technik. In den 1890er Jahren war die Zeitung fest etabliert und nach Auflage die Nummer zwei in der Lombardei. Obwohl konservativ-bürgerlich und durchaus feindlich gegenüber sozialistischen Parteien eingestellt, verschloss die Redaktion dennoch nicht die Augen vor der Sozialen Frage am Ende des Jahrhunderts. Als es auf Sizilien zu sozialen Unruhen kam, begrüßte man zwar das harte Durchgreifen der Ordnungsmacht, prangerte aber auch Machtmissbrauch bei den örtlichen Landbesitzern und in der Verwaltung an. Man bezeichnete – wenn auch nicht ohne Chauvinismus – die „miserablen Lebensbedingungen dieser Insulaner“ als Ursache für die Aufstände und forderte den Staat auf, bei der Modernisierung der Region seine Hausaufgaben zu machen. Auch bei sozialen Unruhen in Mailand 1898 äußerte Torelli Verständnis für die Proteste, woraufhin er von der Regierung in Rom unter Druck gesetzt wurde, mit der Folge, dass er die Zeitung schließlich verließ. Ihm folgte als Direktor Domenico Oliva nach, der sich für eine harte Gangart gegen die Aufständischen stark gemacht hatte. Torelli starb im April 1900.

„Corriere“-Gründer Torelli hatte jedoch einen Nachfolger in Stellung gebracht, der die Redaktion kurz darauf übernahm und die Zeitung in den folgenden Jahrzehnten prägen sollte: Luigi Albertini. Unter seiner Führung eroberte das Blatt erstmals eine landesweite Leserschaft. Bis 1920 konnte die Auflage von 100.000 auf 400.000 Exemplare gesteigert werden. Der Geldgeber Crespi erwies sich als idealer Mäzen, indem er die wirtschaftliche Unabhängigkeit des „Corriere“ sicherte. Auf Einflussnahme auf die redaktionelle Linie verzichtete er dabei – vermutlich aus liberaler Überzeugung. Das Blatt vergrößerte sein Prestige mit Reportagen, Beilagen und einer wachsenden Liste großer Schriftsteller und Dichter in seinen Reihen, etwa der spätere Literaturnobelpreisträger Luigi Pirandello. Der Durchbruch zur international wahrgenommenen italienischen Prestigezeitung erfolgte jedoch erst während des ersten Weltkriegs. Albertini hatte hervorragende Kanäle zur italienischen Regierung und flankierte den Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente publizistisch. Albertini blieb bis 1925 beim „Corriere“. Nach mehreren Jahren der Einschüchterung durch das 1922 an die Macht gekommene faschistische Regime Mussolinis wurde er zum Rücktritt als Chefredakteur und zum Verkauf seiner Anteile gezwungen. In der politisch instabilen Nachkriegszeit hatte Albertini noch seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass Mussolini zu öffentlicher Ordnung und Disziplin beitragen würde und der Faschismus sich in die parlamentarische Ordnung einbinden ließe. Auf Mussolinis „Marsch auf Rom“ reagierte der „Corriere“ dann jedoch mit Ablehnung und erteilte im Folgenden auch einer Zusammenarbeit mit den Faschisten eine Absage. Als 1924 der sozialistische Abgeordnete Giacomo Matteotti von faschistischen Schlägern ermordet wurde, stellte sich Luigi Albertini endgültig gegen die Machthaber. Kurz darauf wurden er und sein Bruder Alberto gezwungen, ihre Anteile an die Erben Benigno Crespis zu verkaufen. Den Behörden diente als Vorwand ein Formfehler im Gesellschaftervertrag des „Corriere“, der nicht ordnungsgemäß registriert war. Auf Albertini folgten zwei Chefredakteure, die kaum noch kritisch zu berichten wagten. Schließlich wurde Maffio Mafii installiert, der zuvor Pressechef Mussolinis war. Nach einer Phase des publizistischen Widerstands 1922 bis 1925 war das Blatt nun, 1927, „faschistisiert“. Kritisches fand man lediglich zwischen den Zeilen; am ehesten noch im Feuilleton auf der dritten Seite. Die schwierige Aufgabe, den „Corriere“ trotz starker Repression der Machthaber zu führen, oblag von 1929 bis 1943 Aldo Borelli. Ihm wird bescheinigt, sich schützend vor die letzten verbliebenen Antifaschisten in der Redaktion gestellt zu haben. Zudem wird ihm zugute gehalten, das Blatt modernisiert, erweitert und an internationale Standards angepasst zu haben. Wobei Letzteres freilich nicht für die freie Berichterstattung galt, insbesondere gegenüber den Machthabern. Hier blieb der „Corriere“ eine folgsame Stimme des Regimes. Borelli gab die Direktion Ende Juli 1943 ab, kurz bevor die italienische Militärregierung einen einseitigen Waffenstillstand mit den Alliierten schloss. Für den „Corriere“ folgte eine noch schwierigere Phase. Während der Wirren in der „Republik von Saló“ 1943 bis 1945 flohen etliche Mitarbeiter, andere wurden deportiert. Die regimetreuen Redakteure indes schrieben Durchhalteparolen. Nach der Befreiung Mailands von der deutschen Besatzung war der „Corriere“ gezwungen, das erscheinen für 25 Tage einzustellen. Als man am 22. Mai 1945 – mittlerweile unter dem Namen „Corriere d’Informazione“ – wieder eine Zeitung herausbrachte, fiel die Bilanz der Jahre seit 1925 verheerend aus: Die Auflage war um die Hälfte auf 300.000 Exemplare gefallen, darüber hinaus hatte das Blatt seine Reputation verloren.

Nach der Volksabstimmung über die künftige italienische Verfassung und den ersten Parlamentswahlen im Jahr 1946 kehrte die Zeitung zu ihrem alten Namen zurück. Bis 1959 allerdings ergänzt um das Attribut „neu“, um den Bruch mit der faschistischen Vergangenheit zu betonen. „Il Nuovo Corriere della sera“ positionierte sich in der politischen Kultur Italiens der 50er Jahre. Die Zeit des italienischen „Wirtschaftswunders“ war einerseits geprägt durch die christlich-konservative „Democrazia Cristania“ (DC), die durchweg die Regierung stellte, und andererseits durch die größte kommunistische Partei Westeuropas, die allerdings für die übrigen Parteien nicht unter dem „Bogen der Verfassung“ angesiedelt war. In dieser Situation schaffte die Zeitung es nicht, sich auf ihre alten liberalen Werte des bürgerlichen Unternehmergeistes zu besinnen. Sie etablierte unter Chefredakteur Manuel Missiroli eine an die DC angepasste, offiziöse und rückwärtsgewandte Linie. Der „Corriere“ geriet Anfang der sechziger Jahre durch Konkurrenzblätter unter Druck, die moderner und spritziger berichteten, namentlich durch „Oggi quotidiano“ aus dem Rizzoli-Verlag und durch „Il Giornale“. Die Gebrüder Crespi, denen das Blatt nach wie vor gehört, entschieden sich daraufhin für eine Modernisierungsstrategie und ernannten 1961 Alfio Russo zum Chefredakteur. Russo war zuvor Korrespondent in Paris und Leiter der Florentiner Zeitung „La Nazione“ gewesen. Im Februar 1962 äußerte er sich skeptisch gegenüber der ersten Regierungsbeteiligung der italienischen Sozialdemokraten, denen er wegen ihrer vermeintlichen Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei die demokratische Reife absprach. Unter Russo wurde zum ersten Mal eine Leserbriefspalte eingeführt. 1968 löste ihn Giovanni Spadolini ab.

Als im Dezember 1969 ein Sprengsatz in einem Bankgebäude an der Piazza Fontana in Mailand explodierte und 17 Menschen tötete, begann sowohl für die italienische Öffentlichkeit als auch für den „Corriere della sera“ ein unruhiges Jahrzehnt. Die Mailänder Polizei ging nach den Anschlägen gegen anarchistische Kreise vor und präsentierte schließlich Pietro Valpreda als Täter. Der „Corriere“ ging – wie viele andere italienische Tageszeitungen – fälschlicherweise von einer Beteiligung Valpredas an der Tat aus. (Valpedra wurde 1986 endgültig freigesprochen.) Im Zuge der Razzien war weiterhin unter nicht zu rekonstruierenden Umständen der Eisenbahnarbeiter Giuseppe Pinelli getötet worden. Der Polizeioffizier, der Pinelli verhört hatte, Luigi Calabresi, wurde zwei Jahre später vor seiner Haustür erschossen. Der „Corriere“ kommentierte: „Die angemaßte ‚Gerechtigkeit’, deren Opfer [Calabresi] geworden ist, hat ihn lediglich zu einem Beamten gemacht, der bei der Ausübung seines Dienstes gefallen ist. Es gehört sich für alle, ihm Ehrerbietung zu erweisen.“ Trotz dieser staatstragenden Linie geriet die Zeitung kurz darauf ins Visier der Behörden: Im Mai 1972 durchsuchten 30 Polizeibeamte die Redaktionsräume der Zeitung. Es war der erste derartige Übergriff gegen die Presse seit dem Ende des Faschismus. Auslöser war ein Bericht über den Ermittlungsstand im Mordfall Calabresi. Die Zeitung wurde angeklagt, geheime Informationen veröffentlicht zu haben; ein Tatbestand, der noch aus den Gesetzten Mussolinis stammte. Das Vorgehen der Behörden führte zu scharfen internationalen Protesten.
Bereits im März 1972 war Chefredakteur Spadolini von den Eigentümern durch Piero Ottone ersetzt worden. Die nicht erfolgte Einbeziehung der Redaktion in die Entscheidung hatte einen eintägigen Streik provoziert. Kurz darauf wurden bei einer Demonstration linker außerparlamentarischer Gruppierungen Molotowcocktails gegen das Redaktionsgebäude geworfen. Ottone schrieb daraufhin von „einer Gesellschaft in der Krise“. Acht Jahre später traf der italienische Linksterrorismus der „Roten Brigaden“ den „Corriere“: Der Redakteur Walter Tobagi wurde ermordet. Fünf Wochen zuvor war ein Artikel von ihm erschienen, in dem er die Terroristen als gescheitert und als in der Arbeiterklasse isoliert beschrieben hatte.

Zu den spannungsgeladenen Zeiten kam eine allgemeine Strukturkrise des Pressesektors. In den Jahren 1973 bis 1974 verkauften die Crespis ihre Anteile des „Corriere“. Käufer waren zunächst FIAT-Boss Agnelli und der Öl-Industrielle Moratti. Wenig später gelang es dann der Verlegerfamilie Rizzoli, nach und nach alle Anteile zu übernehmen. Unterdessen hatte eine Reihe namhafter Journalisten den „Corriere“ verlassen und eine neue Zeitung gegründet, allen voran der Schriftsteller Indro Montanelli. Dem Rizzoli-Verlag gelang es in der Folge nicht, das Blatt dauerhaft zu sanieren. Die Politik verhinderte per Gesetz Preisanpassungen und die staatlichen Banken weigerten sich, Kredite zu gewähren – wohl auch, um dem kritischen Ottone zu schaden. Dieser trat 1977 zurück und überließ seinen Posten Franco Di Bella, was erneut eine Reihe Redakteure veranlasste, das Blatt zu verlassen. Der mittlerweile selbst in Schieflage geratene Rizzoli-Verlag fand schließlich in der Ambrosiano-Bank eine Geldgeberin. Der Zusammenbruch dieses Bankhauses 1981 bedeutete für Rizzoli dann faktisch die Pleite. Darüber hinaus kamen in diesem Zusammenhang die Aktivitäten der Geheimloge „P2“ ans Licht, der auch Chefredakteur Di Bella angehörte. Der Prestigeverlust des „Corriere“ war enorm. Die Auflage fiel um 100.000 Exemplare. Für Di Bella übernahm Alberto Cavallari die Leitung. Er trat an, um der Zeitung Unabhängigkeit und Selbstvertrauen wiederzugeben, was ihm in den drei Jahren seiner Leitung durchaus gelang. Ihm folgte Piero Ostellino. 1984 übernahm die FIAT-Finanzgesellschaft „Gemina“ den insolventen Rizzoli-Verlag, was auch die unternehmerische Situation des „Corriere“ stabilisierte. Zu dieser Zeit konnte sich auch der italienische Pressesektor im Allgemeinen konsolidieren. Ein Grund dafür war das Verlagsgesetz von 1981, das dominante Marktpositionen untersagte und öffentliche Beihilfen für technologische Investitionen vorsah.

Von den Verwicklungen des „Corriere“ in den P2-Skandal profitierte die 1976 in Rom gegründete linksliberale Konkurrenzzeitung „La Repubblica“ enorm. Neben einer Steigerung der Auflage gelang es ihr auch, namhafte Redakteure abzuwerben. In den 1980er Jahren konkurrierten die beiden Zeitungen durch hohe journalistische Qualität und immer aufwändigere Beilagen um Leser.

1992 deckte die Mailänder Staatsanwaltschaft ein gigantisches Korruptionssystem auf, von dem alle etablierten Parteien betroffen waren. Allen voran die DC des mehrfachen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti. Mailand bekam in der Folge den Spitznamen „Tangentopoli“ verpasst – „Metropole der Schmiergelder“. Der „Corriere“ kommentierte die Vorgänge, die schließlich zum Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems führten, verhalten und wies auf die Unschuldsvermutung gegenüber den Politikern in Untersuchungshaft hin. Antonio di Pietro, damals als Staatsanwalt maßgeblich an den Ermittlungen beteiligt, kritisiert die Berichterstattung während des Skandals: „Die Zeitungen gehören in ihrer Mehrheit wirtschaftlichen Gruppen, die vielfältige Interessen haben. Entweder sind diese Gruppen an der Kontrolle der Justiz direkt interessiert oder sie sind verbandelt mit der Politik. Das trifft auch auf den ‚Corriere della Sera’ […] zu.“

1997 strukturierte Gemina, die alleinige Besitzerin des Rizzoli-Verlags, ihre Beteiligungen in der Holdinggesellschaft HdP neu. Sechs Jahre später konzentrierte diese sich dann allein auf den Mediensektor, indem sie branchenfremde Anteile verkaufte. Ausdruck dieser Neuausrichtung war die Umbenennung der Holding in RCS Media Group.
In den letzten 20 Jahren wurde der „Corriere“ maßgeblich von zwei Chefredakteuren geprägt: Paolo Mieli und Ferruccio de Bortoli. Die erste Amtszeit von Paolo Mieli als Chefredakteur begann 1992. Unter seiner Leitung kehrte 1995 der Publizist und Schriftsteller Indro Montanelli nach 22 Jahren zum „Corriere“ zurück. 1997 löste Ferruccio de Bortoli als Leiter Paolo Mieli ab. Dieser personelle Wechsel sollte sich 12 Jahre später, im März 2009, wiederholen. De Bortoli, Jahrgang, 1953, hatte Jura in Mailand studiert und zunächst als Journalist für verschiedene Publikationen gearbeitet, darunter der „Corriere della sera“ und „L’Europeo“. 1987 wurde er Leiter im Wirtschaftsressort des „Corriere“, dann Vizedirektor und 1997 schließlich Chefredakteur. Nach der eingangs beschriebenen Kontroverse mit Ministerpräsident Berlusconi und seinem Rücktritt 2003 trat er für kurze Zeit einen Posten bei der RCS Media Group an und ging dann als Chefredakteur zum Wirtschaftsblatt „Il Sole 24 Ore“ . 2009 übernahm er erneut den Chefredakteursposten beim „Corriere“ vom zuvor ebenfalls zurückgekehrten Paolo Mieli. Ein Angebot, Intendant des staatlichen Fernsehsehens RAI zu werden, schlug de Bortoli damit aus.

Verlag

Der „Corriere della sera“ gehört zum größten Verlagshaus Italiens, der RCS Media Group mit Sitz in Mailand. In dessen Besitz befinden sich weiterhin die Sportzeitung „La Gazetta dello sport“, die mit einer Auflage von ca. 375.000 Exemplaren die drittgrößte Tageszeitung des Landes ist. Die Zeitungen gehören zur Tochtergesellschaft RCS Quotidiani. Diese kontrolliert ebenfalls 96,48 Prozent des spanischen Verlages Unidad Editorial. Dieser gibt unter anderem die Tageszeitung „El Mundo“ und die führende Sportzeitung des Landes, „Marca“, heraus. Im Heimatland Italien besitzt man weitere Medienunternehmen über die Tochtergesellschaften RCS Libri (Bücher), RCS Periodici (Zeitschriften) und RCS Pubblicitá (Werbung). Darüber hinaus hält die Gruppe Anteile an Unternehmen in den Bereichen Vertrieb, Hörfunk, Mobiltelefon- und Internetdienstleistungen.

Ungefähr zwei Drittel der RCS-Aktien werden vom so genannten Syndikatspakt kontrolliert, der jeweils für drei Jahre erneuert wird, zuletzt 2008. Zu seinen Mitgliedern zählen in erster Linie mächtige italienische Großunternehmen wie FIAT, Pirelli und Mediobanca. Aber auch große Teile der restlichen Aktien befinden sich im Besitz gewichtiger Konzerne wie Benetton. Der Syndikatspakt bestimmt zusammen mit den Verwaltungsräten der RCS-Gruppe und von RCS-Quotidiani den Chefredakteur des "Corriere". Dabei besteht unter den Mitgliedern des Syndikatspakt eine inoffizielle Absprache, ein „gentleman’s agreement“, die redaktionelle Unabhängigkeit der Zeitung zu gewährleisten, berichtet die britische Zeitung „Guardian“.
Aufgrund dieser Konstruktion ist der "Corriere" quasi "übernahmesicher". Dennoch sorgte der sukzessive Zukauf von Anteilen durch den Immobilienhändler Stefano Ricucci in den Jahren 2004 und 2005 für Unruhe. Es wurde vermutet, dass Ricucci als Strohmann Berlusconis eine feindliche Übernahme der Verlagsgruppe anstrebte, um das für den Premier unbequeme Blatt zu zähmen. Ricucci scheiterte schließlich mit seinen Plänen und verkaufte seinen 21-Prozent-Anteil an den Syndikatspakt – mit 200 Millionen Euro Verlust.

Anlässlich des 125-jährigen Bestehens des Blattes ist die Stiftung „Fondazione Corriere della sera“ im Jahr 2001 gegründet worden. Sie unterstützt kulturelle Projekte und hat sich dem Erhalt des "Corriere"-Archivs verpflichtet. In ihrem Verwaltungsrat sitzen unter anderem RCS-Chef Marchetti und Ex-Chefredakteur Paolo Mieli.

Neue Geschäftsmodelle und aktuelle Entwicklungen

Die Planungen für den neuen Redaktionssitz des „Corriere“ in der Via Solferino begannen 1903 unter dem Architekten Luca Beltrami. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Komplex sukzessive erweitert, nicht zuletzt um Raum für Innovationen bei der Drucktechnik zu schaffen. Auch die Zeitung wurde des Öfteren aus- und umgebaut. Mitte der 90er Jahre begann man, Inhalte online abrufbar zu machen. 1998 startete www.corriere.it als aktuelles Nachrichtenportal mit neuer Aufmachung und neuen Rubriken, wie etwa „Italians“. Dabei handelt es sich um eine Kolumne des Journalisten Beppe Severgnini. Heute ist „Italians“ eine Diskussions-Community, deren Besucher zu rund der Hälfte aus dem Ausland stammen. Im April 2009 hatten knapp 60 Prozent der Italiener Zugang zum Internet. Täglich klickten 1,1 Millionen einzelne Besucher auf www.corriere.it. Die Seite kam im ganzen Monat auf 55 Millionen Page Impressions.

Es ist die Überzeugung von Chefredakteur de Bortoli, dass das Internet in Zukunft die primäre Informationsquelle sein wird. Momentan konstatiert er eine große Übereinstimmung der Funktionen von Web und Papierzeitung. Das Verhältnis werde sich jedoch ausdifferenzieren. Es sei wahrscheinlich, dass allgemeine Nachrichten dann lediglich über das Web verteilt werden und die Zeitung dagegen ernsthafter und eingehender sein wird.
Die Startseite bietet derzeit eine aktuelle Nachrichtenübersicht, teilweise werden Artikel aus der Printausgabe online veröffentlicht. Ende 2008 wagte man den überfälligen Schritt, einen Großteil der Artikel für Leserkommentare zu öffnen. Ziel war es, die Qualität der Nachrichten durch Diskussionen, Anregungen und Korrekturen der User zu verbessern. Unter "CorriereTV" kann man aktuelle Kurzberichte mit Videomaterial der Nachrichtenagentur AGR abrufen, die zur RCS-Gruppe gehört. Außerdem werden kurze Ratgeberbeiträge und auch längere Studiosendungen mit Diskussionsgästen für das Internet produziert. In einer Reihe von Meinungsblogs kommentieren bekannte Journalisten das aktuelle Geschehen. Weiterhin finden sich Sektionen für die Lokalausgaben des "Corriere" und eine englische Version mit übersetzten Artikeln.

Auf die Frage, ob sich die Onlinepräsenz finanziell rentiert, antwortete man bei der RCS-Gruppe nicht. Auf jeden Fall verdient man nicht nur mit den Merchandisingartikeln Geld, wie beispielsweise mit den historischen Titelblättern, die im "Corriere"-Shop bestellt werden können. Auf corriere.it werden auch personalisierte, kostenpflichtige Dienstleistungen angeboten. 2007 bezahlten 276.000 Abonnenten für Mehrwertdienste der Gruppe. Hier sieht Chefredakteur de Bortoli die größten Chancen, zukünftig Gewinne zu erzielen. Insbesondere bei den mobilen Mehrwertdienstleistungen versucht die RCS Media Group, Geschäftsstrategien zu entwickeln.

Das Jahr 2009 verlief turbulent für die Gruppe: Präsident Piergaetano Marchetti, der im April 2009 von den Aktionären für weitere drei Jahre im Amt bestätigt wurde musste kurz darauf für die ersten vier Monate des Jahres einen Nettoverlust von 40,7 Millionen Euro bekannt geben. Kurz nachdem er sich gegen staatliche Beihilfen für Medienunternehmen ausgesprochen hatte, offenbarte er Pläne für ein umfangreiches Sparprogramm, von dem auch der „Corriere“ betroffen ist. 90 Redakteure stehen Schätzungen zufolge vor der Entlassung. Der Verwaltungsrat des "Corriere" warf daraufhin der RCS Media Group vor, der Dividende den Vorzug vor Investitionen gegeben zu haben. Ein sechstägiger Streik wurde angekündigt, "um die Beschäftigten, die Professionalität, die Qualität und das Ansehen des Blattes zu verteidigen."  Wenig später musste die Zeitungssparte RCS Quotidiani für das erste Halbjahr 2009 einen Auflagenrückgang des „Corriere“ um 9,7 Prozent bekannt geben.
Unternehmensführung, Gewerkschaften und Redaktion gingen schließlich aufeinander zu und führten Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan für die kommenden Jahre, der laut Konzerspitze gegriffen hat.  Mit Einsparungen in Höhe von 159 Millionen Euro konnte das avisierte Ziel von 130 Millionen übertroffen werden. Auch der Aktienkurs der Gruppe stieg zuletzt. Allerdings fiel der konsolidierte Gewinn 2009 um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Referenzen / Literatur

  • „Berlusconi glaubt seine Lügen selbst.“, Interview mit Alexander Stille; in: „Der Tagesspiegel“, 5. Juli 2009.
  • Assembla Rcs, eletto il nuovo cda; in: Corriere della sera, 28. April 2009.
  • SCHOENEBERGER, Michael: “Aber krank ist das Land noch immer“, Interview mit Antonio di Pietro, in: Zürichsee-Zeitung, 3. Dezember 2005.
  • BIANCHIN, Roberto: “Ferruccio, il direttore bipartisan che disse no al Cavaliere”, in: La Repubblica, 9. März 2009, S. 2.
  • “Who’s buying out Corriere della Sera?”, in: Guardian.co.uk, 3. Juni 2005(abgerufen am 30. März 2010).
  • Il Giornale: "'Corsera', la rivolta di De Bortoli 'Quei tagli? Sono inaccettabili", 26. Mai 2009, S. 15.
  • Corriere della sera: „Rcs Media Group: ricavi in calo del 17% Ma il piano anticrisi va oltre le attese“, 10. Februar 2009, (abgerufen am 30. 3. 2010).
  • FONDAZIONE CORRIERE DELLA SERA: „Come si scrive il Corriere della sera“, Mailand 2003.
  • MORONI, Andrea: “Alle Origini del Corriere della sera”, Mailand 2005.
  • LICATA, Glauco: “Storia del Corriere della Sera”, Mailand 1976.
  • WORLD ASSOCIATION OF NEWSPAPERS: World Press Trends 2008, Paris 2008.
  • Daten zur Auflage: www.adsnotizie.it
  • Daten zur Leserschaft: www.audipress.it
  • RCS Media Group