WaPo-Kauf: Spekulationen über Bezos Motive

12.08.2013

Nach der spektakulären Übernahme der "Washington Post" durch Jeff Bezos kursieren derzeit diverse Spekulationen darüber, was genau den Amazon-Gründer zum 250 Millionen US-Dollar teueren Kauf bewegt haben mag. Experten und Beobachter unterstellen Bezos abwechseld noble oder eigennützige Motive für den Deal: Während manche Kommentatoren in Bezos einen Visionär sehen, der die Antwort auf die Frage finden wird, wie man mit Journalismus im digitalen Zeitalter Geld verdienen kann, ist Bezos für andere Beobachter ein knallharter Opportunist, der die "Post" nur gekauft hat, um noch mehr Einfluss auf die politischen Rahmenbedingungen für Amazon in Washington nehmen zu können. Die Redaktion von mediadb.eu hat die verschiedenen Einschätzungen zu Bezos Motiven gesammelt und zusammengefasst:

1. Bezos als Retter der Zeitungsbranche
Eine Mehrzahl der Beobachter sehen in Bezos einen Visionär, der im Gegensatz zu Familiendynastien wie den Grahams (Washington Post), Sulzbergers ("New York Times") oder Murdochs ("Wall Street Journal") das technische Know-How mitbringt, um die Zeitungsindustrie aus der Krise zu führen. Zwar glaubt Bezos selbst nicht mehr an die Zukunft von Print-Titeln; durch die Popularität von Amazons E-Reader Kindle und die marktbeherrschende Stellung auf dem E-Book-Sektor könnte Bezos jedoch profitable Modelle für die digitale Distribution von Medieninhalten entwickeln, die künftig unter dem Label "Washington Post" firmieren (inwieweit die formal weiterhin eigenständige "Post" in Bezos Unternehmen Amazon integriert wird, bleibt abzusehen). Schon jetzt tritt Amazon als Produzent von Medieninhalten auf - etwa bei der jüngsten Serienoffensive des Streaming-Dienst Amazon Video. Insider Michael Wolff geht davon aus, dass die "Post" unter Bezos noch stärker über sehr spezifische wirtschaftliche und vor allem politische Entwicklungen in Washington berichten wird, die insbesondere für die tausenden im Politik- und Lobbyingsektor angestellten Leser interessant sind. Die "Post" wird sich - so die These Wolffs - von einer General Interest- zu einer Fachzeitung entwickeln und damit versuchen, den erfolgreichen Digitalabo-Strategien der Wirtschaftszeitungen "Wall Street Journal" und "Financial Times" nachzueifern.

2. Bezos als Zeitungs-Philantrop
Die zweite Kategorie der Einordnungen des "Post"-Verkaufs sieht in Bezos in erster Linie einen Philantropen, der das Traditionsblatt übernommen hat, um als Multimilliardär der Öffentlichkeit etwas zurückzugeben - und nicht etwa um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln oder in absehbarer Zeit Profite mit der Zeitung zu generieren. Bezos, so manche Kommentatoren, halte Zeitungen wie die "Post" zu wichtigen Stützpfeilern der "vierten Gewalt", die notwendig für die Demokratie der Vereinigten Staaten sei. Er folge damit ähnlichen karikativen Maßnahmen im Stile von Craigslist-Gründer Craig Newmark oder Google-Chef Eric Schmidt, die in der Vergangenheit Stipendien für Journalisten oder Spenden an Journalismus-Lehrstühle gezahlt haben Darüber hinaus sei Bezos ein Fan von Zeitungen und Büchern und leiste sich die "Post" als eine Art nobles Hobby.

3. Bezos als Lobbyist
Eine dritte, pessimistische Lesart liefern hingegen Robert McChesney und Jeff Cohen von den größten US-Medien-Think Tanks Free Press und FAIR. Ihnen zufolge hat auch Bezos verstanden, dass sich mit Journalismus im digitalen Zeitalter wenig bis gar kein Geld mehr verdienen lässt. Stattdessen hätte Bezos die "Post" gekauft, um in Zukunft noch mehr Einfluss in der US-Haupstadt ausüben zu können. Wie wichtig Einfluss und Lobbying in Washington sind, wurde für Amazon erst jüngst wieder deutlich, als das Unternehmen einen eminent wichtigen juristischen Etappensieg gegen Konkurrent Apple sowie sämtliche Großverlage in Bezug auf die Preisgestaltung von E-Books gewann. Weitere eminent wichtige politische Faktoren für die Zukunft von Amazon sind Besteuerungssätze für E-Commerce-Unternehmen sowie die Behandlung und Bezahlung tausender im Niedriglohn-Sektor beschäftigten Lagerarbeiter.
Kritiker warnen vor den bereits bestehenden, engen Verbindungen zwischen der US-Regierung und Amazon, bzw. der "Washington Post", die zwar nach wie vor ein Symbol für Qualitätsjournalismus ist, jedoch spätestens seit der kritiklosen Befürwortung des Irak-Kriegs nicht mehr das regierungskritische Format der Watergate-Jahre hat. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Amazon ein millionenschwereres Abkommen mit dem Geheimdienst CIA geschlossen hat. Ein solches Unternehmen, das darüber hinaus 2011 in die Kritik geriet, weil es Wikileaks-Enthüllungen von seinen Servern entfernte, sei nicht dazu geeignet, kritisch über die US-Regierung zu berichten. Peter Preston warnte in seiner Einschätzung im "Guardian" sogar von Verhältnissen wie in der Türkei, wenn wohlhabende Firmen-Bosse wie Bezos in den Medienmarkt einsteigen.