"Occupy Wall Street": ignoriert von den Mainstream-Medien?

04.10.2011

Seit mehr als zwei Wochen campen Demonstranten im New Yorker Zucotti Park, um - inspiriert vom arabischen Frühling - gegen wachsende soziale Ungleichheit und die Folgen der von Banken ausgelösten Finanzkrise zu protestieren. Ein Vorwurf, der von Teilnehmern und Organisatoren von "Occupy Wall Street" immer wieder zu hören ist, lautet, die Proteste würden vom sog. US-"corporate media multiplex" ignoriert oder nur negativ dargestellt werden. Gemäß einer politisch-ökonomischen Interpretation von Massenmedien wird behauptet, börsennotierte US-Medienkonzerne würden bewusst nicht über die Demonstrationen berichten, da sie selber Teil der Wall Street seien. Die Redaktion von mediadb.eu hat die US-Berichterstattung über "Occupy Wall Street" zusammengefasst und analysiert:

1. Werden die Proteste von den Mainstream-Medien systematisch ignoriert?
In den ersten Tagen der Proteste gab es in der Tat nur wenige lokale Zeitungen und TV-Sender aus dem Großraum New York, die über die Demonstrationen berichteten. Dies änderte sich, als ein Polizist zwei harmlose Demonstranten mit Pfefferspray attackierte sowie als am vergangenen Wochenende 700 Demonstranten von der New Yorker Polizei verhaftet wurden. In den ersten elf Tagen gab es laut einer Auswertung der Datenbank Lexis Nexis insgesamt 428 Berichte über "Occupy Wall Street", wobei die Mehrheit davon unabhängige Blogeinträge waren. Die Nachrichtenagentur Associated Press veröffentlichte in diesem Zeitraum 30 Fotos, sechs Artikel und einen Video-Report. CNN (Time Warner) verfolgte die Proteste von Beginn an und berichtete im Rahmen seiner Sendungen und Talkshows über sie ("The Situation Room", "Newsroom", "Pierce Morgan Tonight"). Während also ein signifikanter Teil der US-Medien über "Occupy Wall Street" berichtete, schaffte es die Berichterstattung jedoch nie auf Titelseiten oder in Prime-Time Informationsprogramme. Einer Studie des PEW Project of for Excellence in Journalism zufolge dominierten in den letzten Wochen stattdesen Naturkatastrophen oder die Wahl des republikanischen Präsidentschaftskandidaten die Schlagzeilen. Ein Grund dafür liegt in der noch relativ kleinen Anzahl von Demonstranten. So äußerte der Nachrichtenchef der öffentlich-rechtlichen Radiokette NPR, dass 1000 Teilnehmer und eine diffuse Ausrichtung nicht genug sein, um nationale Aufmerksamkeit zu erregen.
Ein erheblicher Teil der vorhandenen Presseberichterstattung war der Bewegung gegenüber äußerst negativ eingestellt. Die New York Times berichtete am 23. September erstmals über die Protestbewegung und diffamierte dabei die Teilnehmer und zog ihre Motivation in Zweifel. Ein Interview, das ein Fox-News-Reporter mit einem Demonstranten führte, wurde nicht ausgestrahlt, offenbar weil der Reporter auf einen Gesprächspartner traf, dessen Aussagen sich kritisch mit der Rolle des Senders im öffentlichen Diskurs auseinandersetzte. Die konservative Kommentatorin Ann Coulter verglich die Demonstranten in einem Interview bei Fox Business mit NazisYahoo zensierte zeitweise Yahoo-Mails, die den Begriff "Occupy Wall Street" enthielten. Bei Twitter wurde der Benutzeraccount #occupywallstreet daran gehindert, in den "Trending Topics" aufzutauchen.

2. Welche Medienstrategie verfolgt "Occupy Wall Street"?
Ein Teil der mangelnden Berichterstattung durch Mainstream-Medien lässt sich durch eine fehlende, einheitliche Medienstrategie der Organisatoren erklären. So gibt es erst seit wenigen Tagen eine Handvoll von Freiwilligen mit Medien- und PR-Erfahrung, die für die Kommunikation der Proteste verantwortlich sind. Zuvor wurden weder Nachrichtenagenturen oder einzelne Journalisten von Aktionen in Kenntnis gesetzt, noch gab es entsprechende Email-Listen oder Rahmenkalender. Fehlende Aufmerksamkeit seitens der Mainstream-Medien soll durch die Produktion eigener Medien ausgeglichen werden. Mittlerweile gibt es eine eigene Zeitung ("The Occupied Wall Street Journal"), einen 24-Stunden Livestream sowie diverse Webseiten.

3. Welche Aufmerksamkeit haben in den letzten Jahren andere Proteste von den US-Medien bekommen?
Die weltweiten Proteste gegen den Irak-Krieg in den Jahren 2003 und 2005 wurden von den Mainstream-Medien systematisch ignoriert. Als etwa im September 2005 bis zu 300.000 Menschen in Washington gegen den Krieg protestierten, bekamen Fernsehzuschauer den Eindruck vermittelt, es gäbe keine massive Opposition gegen den Krieg. Über die von US-Konzernen gesponsorte Tea-Party-Bewegung wird im Gegenzug geradezu exzessiv berichtet (insbesondere von Fox News), wobei die Teilnehmerzahlen solcher Veranstaltungen häufig deutlich unter denen von "Occupy Wall Street" liegen.

Mehr dazu:

Democracy Now: Occupy Wall Street-Themenseite