Manipulation der Auflagenzahlen in der Zeitungsindustrie

14.10.2011

Jüngst wurde Rupert Murdochs Medienkonzern News Corp. von einem weiteren Skandal heimgesucht: Laut übereinstimmender Presseberichterstattung sollen Verantwortliche des europäischen Ablegers des "Wall Street Journal" die Ausgabe der Zeitung künstlich in die Höhe getrieben haben. So wurden jeden Tag tausende Exemplare des Wall Street Journal Europe zu einem Bruchteil des ursprünglichen Verkaufspreises über eine Drittfirma an das Consulting-Unternehmen Executive Learning Partnership veräußert. Auf diese Weise wurde die Auflage um 41 Prozent künstlich erhöht. Im Gegenzug setze der inzwischen zurückgetretene Verleger Andrew Langhoff seine Redaktion mehrfach unter Druck, Executive Learning Partnership positiv in Artikeln zu erwähnen. Die Redaktion von mediadb.eu hat die Meldung zum Anlass genommen, die weitverbreite Manipulation von Auflagenzahlen in den USA und Deutschland näher zu beleuchten:

USA:
Auf dem US-amerikanischen Zeitungsmarkt ist die künstliche Aufblähung der Auflagenzahlen bei manchen Zeitungshäusern weitverbreitete Praxis. Von den rund zwei Millionen Exemplaren, die das US-amerikanische Wall Street Journal als tägliche Auflage angibt, werden 107 000 Exemplare in Hotels und weitere 45 000 an Angestellte großer Firmen verteilt. Zwischen 2002 und 2004 waren die Zeitungen "Chicago Sun-Times" (Sun-Times Media Group), "Dallas Morning News" (A.H. Belo Corporation), "Hoy" (Tribune Co.) und "Newsday" (Cablevision) allesamt in den wohl größten Auflagenskandal der jüngsten Geschichte verwickelt: Die Zeitungen mussten infolge des Skandals zugeben, 250 000 Exemplare weniger verkauft zu haben, als zuvor angegeben. Die USA Today (Gannett) gilt als Paradebeispiel für Zeitungen, die ihre Auflagenzahlen durch Bilanztricks in die Höhe treiben. Das Blatt, das sich dank einer angeblichen Auflage von fast zwei Millionen verkauften Exemplaren jahrelang als "größte Zeitung der USA" bezeichnete, verdankte diesen Slogan vor allem dem exzessiven Großverkauf an Hotelketten. So bestanden im ersten Quartal 2011 53 Prozent (oder knapp eine Million Exemplare) der offiziellen Auflage aus Zeitungen, die in Hotellobbys oder vor Hotelzimmern ausgelegt wurden. Die Hotelketten bezahlen dabei häufig nicht mehr als einen Cent pro Ausgabe. Im Sommer 2010 verabschiedete die zuständige Behörde zur Messung der Auflagenzahlen ABC (Audited Bureau of Circulation) eine Reform ihrer Messstandards. Seitdem können Zeitungen, deren Webseite nur über eine Bezahlschranke oder Registrierungsformular zu erreichen ist, jede dort mindestens einmal in sechs Monaten eingeloggte Person in ihrer Auflagenstatistik als "Abonnent" aufführen. Kritiker bemängeln, auf diese Weise könnten Zeitungen ihre Auflage um 400 Prozent steigern, ohne jedoch tatsächlich einen einzigen Leser gewonnen zu haben.

Deutschland:
Sorgen in den USA Hotelexemplare für eine Verzerrung der tatsächlich verkauften Auflage, so sind es in Deutschland vor allem Werbeaktionen und Bordexemplare. So beauftragen deutsche Zeitungshäuser Promotion-Agenturen mit der kostenlosen Verteilung von Probe-Exemplaren, verzeichnen diese jedoch in ihrer Geschäftsbilanz als verkaufte Exemplare. Auch Fluggesellschaften kaufen jeden Tag zehntausende Zeitungen zu einem extrem niedrigen Einkaufspreis, und hübschen damit die Auflagenbilanzen einiger Titel extrem auf. An erster Stelle stehen hierbei "Welt" (Axel Springer AG) und die "Financial Times Deutschland" (Bertelsmann), die mehr als 40 Prozent ihrer Auflage an Flugreisende verteilen.

Mehr dazu:

Poynter.org: Like WSJ Europe, some US papers rely on deeply-discounted circulation (14.10.2011)

taz: Die Auflagenlüge (21.01.2010)