Aufstieg der publizistischen Online-Marken

08.09.2016

Jonah Peretti (Buzzfeed), Shane Smith (Vice), Henry Blodget, Nate Silver (CC by 2.0: Max Morse, Brian Ach, FT Photos, Randy Stewart)

Sie sorgen für journalistische scoops, produzieren click bait, verbreiten Verschwörungstheorien, stellen hochwertige Auslandsreportagen her und sind führend im Bereich des investigativen Datenjournalismus. Allein die zehn größten US-Nachrichtenseiten und Blogs verzeichnen mit ihren breitgefächerten Angeboten in den USA monatlich schätzungsweise insgesamt 350 Millionen unique visitors. In Europa hingegen gibt es bis auf wenige Ausnahmen (etwa Mediapart) keine vergleichbares Angebot; in Deutschland hat sich immer noch keine publizistische Onlinelandschaft etabliert, die der Strahlkraft der US-Pendants ansatzweise nahe kommt.

Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf wurde erneut deutlich, über welche enorme Meinungsmacht vor allem die ideologisch gefärbten Blogs und Newsaggregatoren in den USA verfügen und wie eng sie mit dem politischen Establishment verbunden sind. Während sich die großen Medienkonzerne mit ihren Parteispenden eindeutig pro-Hillary positioniert haben, ist die US-Blogossphäre weiterhin enorm polarisiert. Mit Fakten nehmen es die Seiten häufig nicht so genau: Matt Drudge, der einst den Lewinsky-Skandal öffentlich machte und bereits als „Walter Cronkite“ der Internet-Ära gilt, verbreitet momentan im Verbund mit weiteren konservativen Onlinemedien das Gerücht, Hillary Clinton sei schwer krank und damit nicht in der Lage, das Land als Präsidentin zu regieren. Ein weiterer Anhänger dieser Theorie ist Stephen Bannon, der ehemalige Chef von Breitbart.com und jetziger Wahlkampfchef von Donald Trump. Gemeinsam mit relativ obskuren, jedoch reichweitenstarken Blogs wie dem Conservative Tribune oder Western Journalism wird Anti-Hillary Propaganda über diverse Social Media Kanäle verbreitet und gelangt so auch in die Mainstream-Medien. Hillary-Sprachrohe wie Slate oder The Daily Beast (wo Clinton-Tochter Chelsea im Aufsichtsrat von Mutterkonzern IAC sitzt) versuchen hingegen, Donald Trump, Wikileaks und die grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein als russische Agenten im Auftrag von Putin darzustellen (eine neue Form von McCarthyism wie Intercept-Journalist Glenn Greenwald jüngst feststellte).

Doch nicht alle Nachrichtenseiten bedienen die Nachfrage nach ideologischem Trash-Journalismus. Trotz zweifelhafter Geschäftspraktiken hat die inzwischen an den Telekommunikationskonzern Verizon verkaufte Huffington Post mit ihrem riesigen Netz an qualifizierten (jedoch unbezahlten) Bloggern unbestreitbar die publizistische Sphäre bereichert, ebenso wie die vom ehemaligen Twitter-Chef Evan Williams gegründete Publishing-Plattform Medium.Com. Vice.com hat wiederholt bewiesen, wie man mit hochwertigen, preisgekrönten Journalismus auch jüngere Generationen erreichen kann. Von Milliardären finanzierte Projekte wie The Intercept und ProPublica können sich hochwertige, investigative Recherche leisten, die vom wirtschaftlich schwer gebeutelten Printsektor seit Jahren vernachlässigt wird. Politico ist mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil der Politikberichterstattung in Washington D.C. geworden und hat dabei in Sachen Relevanz zeitweise die Washington Post überholt. Und mit seiner Website FiveThirtyEight hat Statistikgenie Nate Silver nicht nur präzise die (Wieder-)Wahl von Obama vorausgesagt, sondern auch gezeigt, wie man Datenjournalismus für eine große politik- und sportinteressierte Leserschaft aufbereiten kann. Selbst Brachial-Enthüllungen über Prominente, wie sie Gawker lange Jahre publizierte, wird mittlerweile nachgetrauert. Die vom PayPal-Gründer und Trump-Supporter Peter Thiel erzwungene Einstellung der Plattform wurde von Kommentatoren auch als konservativer Angriff auf eine neue Form von aggressiven Online-Muckraking interpretiert.

Soziale Netzwerke, insbesondere Facebook, spielen eine zentrale Rolle beim Aufstieg der Online-Marken. Inhalt, Struktur und Ausrichtung sowie Produktion und Vertrieb der Artikel sind wesentlich an der Facebook-Infrastruktur ausgerichtet. Die Abhängigkeit davon, prominent im Facebook-Ökosystem platziert zu werden, ist jedoch auch der größte Nachteil der Blog-Seiten. Die Gefahr besteht nämlich darin, dass die meisten User Facebook nicht mehr verlassen und der eigentliche Traffic auf den Homepages zurückgeht. Werbeeinahmen von Instant Articles müssen die Blogs sich dann mit Facebook teilen. Hinzu kommt eine wachsende Konkurrenz von einer gänzlichen neuen Generation von News- und Meme-Aggregatoren, die ausschließlich innerhalb von Facebook präsent sind. Wie die New York Times jüngst in einem Dossier vorrechnete, schaffen es dubiose Plattformen wie „The Angry Patriot“ oder „Occupy Democrats“ mittlerweile erhebliche Teile der rund 200 Millionen amerikanischen Facebook-User in ihren Bann zu ziehen. Trotz ihrer enormen Reichweite ist deshalb noch längst nicht abschließend geklärt, ob die etablierten Online-Newsseiten langfristig profitabel sind. Etablierte Medienkonzerne wie Axel Springer (Business Insider, Mic.com), Comcast (Buzzfeed, Vox.com), Disney, Time Warner und 21st Century Fox (Vice Media) haben hunderte von Millionen Dollar investiert, in der Hoffnung dass die immer stärker auf Video-Content setzende News-Seiten in Zukunft so wertvoll und profitabel werden, wie einst Kabelkanäle.

Obwohl Facebook zuletzt öffentlich das Gegenteil behauptete, agiert der Konzern längst wie ein klassischer Medienkonzern und wird als unentbehrlicher Bestandteil des Internetökosystem signifikant an den Werbeumsätzen der populärsten Webseiten partizipieren: Schon heute teilen sich Facebook und Google 85 Prozent des Online-Werbemarktes. Das wirtschaftlich vielversprechendste jedoch auch kontroverseste Modell verfolgt wohl Verizon. Der Mobilfunkanbieter und Internet Service Provider kaufte im vergangenen Jahr Aol und Yahoo, um seine Millionen an persönlichen Nutzerdaten mit den Reichweiten der hunderten von kleinteiligen Yahoo und Aol-Seiten zwecks Schaltung von effektiver Mobilwerbung zu kombinieren.

Die größten US-Onlinemarken*

News Site

Traffic

Ranking

gegründet

Chefredakteur/

Herausgeber

Mutterkonzern

(Anteilseigner)

1. Huffington Post

34

2005

Liz Heron

(Arianna Huffington)

Verizon

2. Buzzfeed

50

2006

Jonah Peretti

Buzzfeed Inc.

(Hearst, Comcast)

3. Conservative Tribune

69

NN 

George Upper

Liftable Media Inc.

4. Vice.com

98

2011

Shane Smith

Suroosh Ali

Vice Media

(Walt Disney, Fox)

5. Business Insider

101

2009

Henry Blodget

Axel Springer

(Jeff Bezos)

6. Drudge Report

119

1995

Matt Drudge

Charles Hurt

 NN

7. Western Journalism

144

2008

Floyd Brown

Liftable Media Inc.

8. Politico

148

2007

Robert L. Albritton

Capitol News Company

(Axel Springer)

9. FiveThirtyEight

173

2008

Nate Silver

Walt Disney (ESPN)

10. Slate.com

180

1996

Michael Kinsley

 Julia Turner

Graham Holdings

11. Medium.com

221

2012

Evan Williams

A Medium Corporation

12. TMZ.com

227

2005

 Harvey Levin

Time Warner Inc.

13. Breitbart.com

228

2007

Alexander Marlow

Breitbart News Network

14. The Verge

242

2011

Joshu Topolsky

Vox Media Inc.

15. The Daily Beast

258

2008

John Avlon

IAC

16. Mashable

269

2005

Pete Cashmore

Mashable, Inc.

17. Daily Kos

313

2002

Markos Moulitzas

Kos Media, LLC

18. Vox.com

362

2014

Ezra Klein

Melissa Bell

Matt Yglesias

Vox Media Inc.

(Comcast)

19. Jezebel

372

2007

Anna Holmes

Univision

20. US News

378

2010

Mortimer Zuckerman

 Brian Kelley

U.S. News and

World Report, Inc.

21. WND

398

1997

Joseph Farah

WorldNetDaily.com Inc.

22. Daily Caller

511

2010

Tucker Carlson

Neil Patel

The Daily Caller, Inc.

23. The Blaze

536

2012

Glenn Beck

Steward Padveen

Mercury Radio Arts

24. Salon

608

1995

Jordan Hoffner

Salon Media Group

25. Newsmax

680

1998

Christopher Ruddy

Newsmax Media

26. Mic.com

751

2011

Chris Altcheck

Jake Horovitz

Mic Network Inc.

(Axel Springer)

27. Infowars.com

752

NN

Alex Jones

Free Speech Systems, LLC

28. Think Progress

1180

1995

Jonathan Garthwaite

Stuart Epperson

Salem Media Group Inc.

29. Townhall.com

1187

1998

Don Hazen

Independent Media

Institute

30. AlterNet

1626

2005

Judd Legum

American Progress

Action Fund

31. The Intercept

2554

2014

Glenn Greenwald

Laura Poitras

Jeremy Scahill

First Look Media

(Pierre Omidyar)

32. Democracy Now!

3875

1996

Amy Goodman

Juan Gonzalez

 NN

33. Truthout

6488

2000

Maya Shenwar

Joe Macaré

 NN

34. ProPublica

6681

2007

Paul Steiger

 NN

35. Truthdig

7814

2005

Robert Scheer

Zuade Kaufman

Truthdig, LLC

 *basierend auf dem Alexa.com-Page Rank vom 08.09.2016. Nicht inkludiert sind Special interest-Websites (Games, Food, Beauty etc.) sowie Onlineableger von Print-Publikationen.