Aufstieg der publizistischen Online-Marken
08.09.2016
Sie sorgen für journalistische scoops, produzieren click bait, verbreiten Verschwörungstheorien, stellen hochwertige Auslandsreportagen her und sind führend im Bereich des investigativen Datenjournalismus. Allein die zehn größten US-Nachrichtenseiten und Blogs verzeichnen mit ihren breitgefächerten Angeboten in den USA monatlich schätzungsweise insgesamt 350 Millionen unique visitors. In Europa hingegen gibt es bis auf wenige Ausnahmen (etwa Mediapart) keine vergleichbares Angebot; in Deutschland hat sich immer noch keine publizistische Onlinelandschaft etabliert, die der Strahlkraft der US-Pendants ansatzweise nahe kommt.
Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf wurde erneut deutlich, über welche enorme Meinungsmacht vor allem die ideologisch gefärbten Blogs und Newsaggregatoren in den USA verfügen und wie eng sie mit dem politischen Establishment verbunden sind. Während sich die großen Medienkonzerne mit ihren Parteispenden eindeutig pro-Hillary positioniert haben, ist die US-Blogossphäre weiterhin enorm polarisiert. Mit Fakten nehmen es die Seiten häufig nicht so genau: Matt Drudge, der einst den Lewinsky-Skandal öffentlich machte und bereits als „Walter Cronkite“ der Internet-Ära gilt, verbreitet momentan im Verbund mit weiteren konservativen Onlinemedien das Gerücht, Hillary Clinton sei schwer krank und damit nicht in der Lage, das Land als Präsidentin zu regieren. Ein weiterer Anhänger dieser Theorie ist Stephen Bannon, der ehemalige Chef von Breitbart.com und jetziger Wahlkampfchef von Donald Trump. Gemeinsam mit relativ obskuren, jedoch reichweitenstarken Blogs wie dem Conservative Tribune oder Western Journalism wird Anti-Hillary Propaganda über diverse Social Media Kanäle verbreitet und gelangt so auch in die Mainstream-Medien. Hillary-Sprachrohe wie Slate oder The Daily Beast (wo Clinton-Tochter Chelsea im Aufsichtsrat von Mutterkonzern IAC sitzt) versuchen hingegen, Donald Trump, Wikileaks und die grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein als russische Agenten im Auftrag von Putin darzustellen (eine neue Form von McCarthyism wie Intercept-Journalist Glenn Greenwald jüngst feststellte).
Doch nicht alle Nachrichtenseiten bedienen die Nachfrage nach ideologischem Trash-Journalismus. Trotz zweifelhafter Geschäftspraktiken hat die inzwischen an den Telekommunikationskonzern Verizon verkaufte Huffington Post mit ihrem riesigen Netz an qualifizierten (jedoch unbezahlten) Bloggern unbestreitbar die publizistische Sphäre bereichert, ebenso wie die vom ehemaligen Twitter-Chef Evan Williams gegründete Publishing-Plattform Medium.Com. Vice.com hat wiederholt bewiesen, wie man mit hochwertigen, preisgekrönten Journalismus auch jüngere Generationen erreichen kann. Von Milliardären finanzierte Projekte wie The Intercept und ProPublica können sich hochwertige, investigative Recherche leisten, die vom wirtschaftlich schwer gebeutelten Printsektor seit Jahren vernachlässigt wird. Politico ist mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil der Politikberichterstattung in Washington D.C. geworden und hat dabei in Sachen Relevanz zeitweise die Washington Post überholt. Und mit seiner Website FiveThirtyEight hat Statistikgenie Nate Silver nicht nur präzise die (Wieder-)Wahl von Obama vorausgesagt, sondern auch gezeigt, wie man Datenjournalismus für eine große politik- und sportinteressierte Leserschaft aufbereiten kann. Selbst Brachial-Enthüllungen über Prominente, wie sie Gawker lange Jahre publizierte, wird mittlerweile nachgetrauert. Die vom PayPal-Gründer und Trump-Supporter Peter Thiel erzwungene Einstellung der Plattform wurde von Kommentatoren auch als konservativer Angriff auf eine neue Form von aggressiven Online-Muckraking interpretiert.
Soziale Netzwerke, insbesondere Facebook, spielen eine zentrale Rolle beim Aufstieg der Online-Marken. Inhalt, Struktur und Ausrichtung sowie Produktion und Vertrieb der Artikel sind wesentlich an der Facebook-Infrastruktur ausgerichtet. Die Abhängigkeit davon, prominent im Facebook-Ökosystem platziert zu werden, ist jedoch auch der größte Nachteil der Blog-Seiten. Die Gefahr besteht nämlich darin, dass die meisten User Facebook nicht mehr verlassen und der eigentliche Traffic auf den Homepages zurückgeht. Werbeeinahmen von Instant Articles müssen die Blogs sich dann mit Facebook teilen. Hinzu kommt eine wachsende Konkurrenz von einer gänzlichen neuen Generation von News- und Meme-Aggregatoren, die ausschließlich innerhalb von Facebook präsent sind. Wie die New York Times jüngst in einem Dossier vorrechnete, schaffen es dubiose Plattformen wie „The Angry Patriot“ oder „Occupy Democrats“ mittlerweile erhebliche Teile der rund 200 Millionen amerikanischen Facebook-User in ihren Bann zu ziehen. Trotz ihrer enormen Reichweite ist deshalb noch längst nicht abschließend geklärt, ob die etablierten Online-Newsseiten langfristig profitabel sind. Etablierte Medienkonzerne wie Axel Springer (Business Insider, Mic.com), Comcast (Buzzfeed, Vox.com), Disney, Time Warner und 21st Century Fox (Vice Media) haben hunderte von Millionen Dollar investiert, in der Hoffnung dass die immer stärker auf Video-Content setzende News-Seiten in Zukunft so wertvoll und profitabel werden, wie einst Kabelkanäle.
Obwohl Facebook zuletzt öffentlich das Gegenteil behauptete, agiert der Konzern längst wie ein klassischer Medienkonzern und wird als unentbehrlicher Bestandteil des Internetökosystem signifikant an den Werbeumsätzen der populärsten Webseiten partizipieren: Schon heute teilen sich Facebook und Google 85 Prozent des Online-Werbemarktes. Das wirtschaftlich vielversprechendste jedoch auch kontroverseste Modell verfolgt wohl Verizon. Der Mobilfunkanbieter und Internet Service Provider kaufte im vergangenen Jahr Aol und Yahoo, um seine Millionen an persönlichen Nutzerdaten mit den Reichweiten der hunderten von kleinteiligen Yahoo und Aol-Seiten zwecks Schaltung von effektiver Mobilwerbung zu kombinieren.
News Site | Traffic Ranking | gegründet | Chefredakteur/ Herausgeber | Mutterkonzern (Anteilseigner) |
34 | 2005 | Liz Heron (Arianna Huffington) | Verizon | |
2. Buzzfeed | 50 | 2006 | Jonah Peretti | Buzzfeed Inc. |
69 | NN | George Upper | Liftable Media Inc. | |
4. Vice.com | 98 | 2011 | Shane Smith Suroosh Ali | Vice Media (Walt Disney, Fox) |
101 | 2009 | Henry Blodget | (Jeff Bezos) | |
119 | 1995 | Matt Drudge Charles Hurt | NN | |
144 | 2008 | Floyd Brown | Liftable Media Inc. | |
8. Politico | 148 | 2007 | Robert L. Albritton | Capitol News Company |
173 | 2008 | Nate Silver | Walt Disney (ESPN) | |
10. Slate.com | 180 | 1996 | Michael Kinsley Julia Turner | Graham Holdings |
11. Medium.com | 221 | 2012 | Evan Williams | A Medium Corporation |
12. TMZ.com | 227 | 2005 | Harvey Levin | Time Warner Inc. |
13. Breitbart.com | 228 | 2007 | Alexander Marlow | Breitbart News Network |
14. The Verge | 242 | 2011 | Joshu Topolsky | Vox Media Inc. |
15. The Daily Beast | 258 | 2008 | John Avlon | IAC |
16. Mashable | 269 | 2005 | Pete Cashmore | Mashable, Inc. |
17. Daily Kos | 313 | 2002 | Markos Moulitzas | Kos Media, LLC |
18. Vox.com | 362 | 2014 | Ezra Klein Melissa Bell Matt Yglesias | Vox Media Inc. (Comcast) |
19. Jezebel | 372 | 2007 | Anna Holmes | Univision |
20. US News | 378 | 2010 | Mortimer Zuckerman Brian Kelley | U.S. News and World Report, Inc. |
21. WND | 398 | 1997 | Joseph Farah | WorldNetDaily.com Inc. |
22. Daily Caller | 511 | 2010 | Tucker Carlson Neil Patel | The Daily Caller, Inc. |
23. The Blaze | 536 | 2012 | Glenn Beck Steward Padveen | Mercury Radio Arts |
24. Salon | 608 | 1995 | Jordan Hoffner | Salon Media Group |
25. Newsmax | 680 | 1998 | Christopher Ruddy | Newsmax Media |
26. Mic.com | 751 | 2011 | Chris Altcheck Jake Horovitz | Mic Network Inc. |
27. Infowars.com | 752 | NN | Alex Jones | Free Speech Systems, LLC |
28. Think Progress | 1180 | 1995 | Jonathan Garthwaite Stuart Epperson | Salem Media Group Inc. |
29. Townhall.com | 1187 | 1998 | Don Hazen | Independent Media Institute |
30. AlterNet | 1626 | 2005 | Judd Legum | American Progress Action Fund |
31. The Intercept | 2554 | 2014 | Glenn Greenwald Laura Poitras Jeremy Scahill | First Look Media (Pierre Omidyar) |
32. Democracy Now! | 3875 | 1996 | Amy Goodman Juan Gonzalez | NN |
33. Truthout | 6488 | 2000 | Maya Shenwar Joe Macaré | NN |
34. ProPublica | 6681 | 2007 | Paul Steiger | NN |
35. Truthdig | 7814 | 2005 | Robert Scheer Zuade Kaufman | Truthdig, LLC |
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