WikiLeaks: Finanzierung, Struktur und Verhältnis zu Medienkonzernen

22.12.2010

[UPDATE am 14.01.2011]
Im Kalenderjahr 2010 wurde die internationale Medienlandschaft durch die Enthüllungen von Wikileaks revolutioniert. Den Anfang machte ein im April 2010 veröffentlichtes Video  aus dem Cockpit eines Kampfhubschraubers (
Collateral Murder), das US-Soldaten im Irak zeigt, die 14 Zivilisten töteten. Darauf folgten die Veröffentlichungen von Protokollen des Afghanistan– und Irakkrieges, die ein verheerendes Bild bezüglich des Fortschritts der Koalitionstruppen zeigten. Im November schließlich veröffentlichte die Organisation von Julian Assange 1000 von 250.000 geheimen Diplomaten-Protokollen („Cablegate“), die zu einer internationalen Krise der Diplomatie führten.

Die TIME-Journalistin Tracy Schmidt bezeichnete Wikileaks als wichtigstes journalistisches Werkzeug seit dem 1966 erlassenen Freedom of Information Act, der staatliche Institutionen dazu zwingt, der Öffentlichkeit umfassende Informationen über deren Tätigkeit zu geben. Doch trotz Wikileaks' erklärter Mission, weltweite Informationen transparent und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist wenig über die Finanzierung und Geldgeber der Organisation bekannt. Die mediadb-Redaktion hat sich dieser Frage angenommen und die wichtigsten Informationen bezüglich Wikileaks Finanzierung und Organisationsstruktur sowie des Verhältnisses zu Medien- und Onlinekonzernen zusammengetragen und analysiert.


Was lässt sich über Finanzierung und Rechtsform von Wikileaks sagen?

Zum Großteil finanziert sich Wikileaks über Spenden anonymer Geldgeber. Diese überweisen ihre Beiträge nicht direkt an die Organisation, sondern an die in Guxhagen ansässige Wau Holland Stiftung, die nach dem gleichnamigen Hacker und Mitbegründer des Chaos Computer Clubs benannt wurde, der 2001 starb. Wikileaks hat die Stiftung als Spendenarm ausgewählt, da es nach deutschem Recht verboten ist, die Namen der Spender von Stiftungen zu veröffentlichen. Die Gemeinnützigkeit und der Stiftungscharakter der Wau Holland Stiftung wird vom Finanzamt Kassel bzw. Regierungspräsidium in Kassel kontrolliert. Laut Aussage von Julian Assange ist Wikileaks darüber hinaus unter anderen Namen in Frankreich (ebenfalls als Stiftung), Australien (als Bibliothek) und in Schweden (als Zeitung) gemeldet und registriert. In den USA betreibt Wikileaks zudem zwei sogenannte "501C3"-Organisationen, die aufgrund ihrer karitativen Ausrichtung steuerbefreit sind. Seit der Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher im August 2010 können Internetnutzer zur finanziellen Unterstützung von Wikileaks auch den Micropayment-Dienst Flattr benutzen, der in Deutschland bereits von den Zeitungen "taz" und "Der Freitag" benutzt wird.

Über die Individuen, die Geld an Wikileaks gespendet haben, ist nichts bekannt. Assange hat jedoch in Interviews erklärt, neben einfachen Internetnutzern, die kleine Beträge gespendet haben, gäbe es eine Reihe von Millionären, die jeweils bis zu 50.000 Euro an Wikileaks bezahlt haben. Um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten, benötigt die Organisation 200.000 Euro pro Jahr, wobei ein Großteil davon für Serverwartung, Hardware und Reisekosten benötigt wird. Der Betrieb der Wikileaks-Homepage soll zwischen 15.000 und 20.000 Euro im Monat kosten. Die fünf Mitarbeiter von Wikileaks arbeiteten bis zum Sommer 2010 ehrenamtlich, wobei die Einführung von Gehältern diskutiert wurde. Sollten mittlerweile Gehälter an die Wikileaks-Mitarbeiter gezahlt werden, so würde der benötigte Etat pro Jahr 600.000 Euro betragen. Ehemalige Mitarbeiter haben die Organisation inzwischen aus Protest über die intransparente finanzielle Struktur verlassen. Neben dem deutschen Mitbegründer Daniel Domscheit-Berg hat sich in diesem Zusammenhang der US-Amerikaner John Young hervorgetan, der ebenfalls zur Anfangszeit zum Wikileaks-Team gehörte. Young, der mittlerweile sein eigenes Whistleblower-Portal Crytome.org betreibt, hat mehrfach geäußert, Assanges Ziel sei von Anfang an gewesen, möglichst viel Geld einzunehmen. Auf Kritiker, die darauf hinwiesesen haben, dass Wikileaks sich nicht  um seinen wichtigste Informanten, den US-Soldaten Bradley Manning, kümmere, reagierte die Organisation indem sie am 13. Januar 15.100 US-Dollar für seine juristische Verteidigung bereitstellte. Manning gilt als Quelle der Enthüllungen über das US-Militär und ist gegenwärtig unter menschenunwürdigen Bedingungen in Isolationshaft in einem Militärgefängnis untergebracht.

Gegen Ende 2009 stellte Wikileaks kurzzeitig den Betrieb ein, da zu dieser Zeit monatlich nur etwa 2000 Euro an Spenden eingingen. Es war das im April 2010 veröffentlichte Collateral Murder-Video, das zu einer Vermehrung der Spendengelder führte. Im ersten Halbjahr 2010 nahm Wikileaks 640.000 Euro an über den Zahldienst PayPal getätigten Spendengeldern ein. Dies bestätigte Hendrik Fulda, Vizepräsident der Wau Holland Stiftung im Juli 2010. Assange bezifferte den Anteil an Spenden von Januar bis August 2010 auf insgesamt eine Million Euro. Von Oktober bis Dezember 2010 gingen zusätzliche 900.000 Euro an Spendengeldern ein, von denen jedoch nur 370.000 Euro an Wikileaks ausgezahlt wurden. Nach der vorübergehenden Inhaftierung Assanges wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, der von Kritikern als politisch motiviert angesehen wird, könnte der Fluss an Spendengeldern noch gestiegen sein. Zu den Unterstützern, die einen Teil seiner Kaution bezahlt haben, sollen unter anderem prominente Künstler und Aktivisten wie Ken Loach, Tariq Ali und Michael Moore zählen.

Wie sieht die Kooperation zwischen Wikileaks und den traditionellen Medienkonzernen aus?

Das Verhältnis von Wikileaks zu anderen Medienhäusern und Onlinekonzernen ist sowohl durch Kooperation als auch durch Konkurrenz gekennzeichnet. Der SPIEGEL, der britische "Guardian" und die "New York Times" erhielten die Enthüllungen über Amerikas Kriege im Nahen Osten und die Diplomaten-Depeschen frühzeitig und konnten diese für ihre Leser strukturieren, aufbereiten und in einen größeren Kontext stellen. Laut Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson hat Wikileaks kein Geld dieser Medienhäuser für den vorzeitigen Zugriff auf die Informationen erhalten. Dies wurde von den Verantwortlichen der Zeitungen allerdings nur im Fall der im Juli veröffentlichten Afghanistan-Tagebücher bestätigt. Für den vorzeitigen Zugang zu den darauffolgenden Enthüllungen bezüglich des Irakkrieges und der Diplomaten-Protokolle sollen allerdings laut Iain Overton, Redakteur des Bureau of Investigative Journalism, Geldsummen an Wikileaks geflossen sein. Wie hoch diese waren, ist unbekannt. Von offizieller Seite heißt es, die Summen seien gezahlt worden, um Wikileaks' Produktionskosten zu begleichen. Neben finanzieller Unterstützung haben sich einige internationale Medienhäuser mit Wikileaks solidarisiert und leisten ideelle Hilfestellungen. So hat die französische Zeitung "Libération" ebenso wie das norwegische Blatt "Dagsvisen" einen Internet-Spiegel des gesamten Wikileaks-Archives ins Leben zu rufen, um im Ernstfall die Unterdrückung der Wikileaks-Website zu verhindern. In Deutschland haben sieben Tages- und Wochenzeitungen einen Appell gegen die Kriminalisierung von Wikileaks verfasst und abgedruckt.

Aufgrund von politischem Druck der Obama-Administration bzw. vorauseilendem Gehorsam wird Wikileaks von Onlinekonzernen boykottiert bzw. boykottiert selbst Medienhäuser. Ein Großteil der führenden Onlineunternehmen der USA hat sich in den vergangenen Wochen dazu entschlossen, ihre Web-Infrastruktur nicht mehr für die Verbreitung von Wikileaks-Dokumenten und das Sammeln von Spenden zur Verfügung zu stellen. Den Anfang machte der Bezahldienst PayPal. Das Tochterunternehmen von eBay sperrte das Spendenkonto der Wau Holland-Stiftung wegen angeblicher Verletzung der Benutzungsbedingungen und fror die Spenden ein. Ähnlich argumentierte Amazon, das sich dafür entschied, die Enthüllungswebseite von seinen Servern zu entfernen. Hier war es wohl laut Presseberichten politischer Druck in Person von Senator Joe Lieberman, der das Amazon-Management zum Umdenken brachte. Aus Protest rief Daniel Ellsberg - der in den 1970er Jahren unter großem Risiko die Pentagon Papers an die Öffentlichkeit lancierte - in einem offenen Brief zu einem Boykott von Amazon auf. Apple hat derweil eine Wikileaks-App für iPhone und iPad kommentarlos aus seinem App Store entfernt. Aktivisten, die ihre Facebook- und Twitter-Accounts für Denial-of-Service-Attacken gegen oben genannte Firmen benutzten, wurden von Facebook und Twitter von der Nutzung ausgeschlossen. Inzwischen wurde bekannt, dass das US-Justizministerium die Betreiber von Twitter bereits am 14. Dezember unter Androhung von Strafe aufgefordert hat, persönliche Daten und Korrespondenzen von fünf Wikileaks-Aktivisten, darunter auch Assange und Manning, weiterzugeben.

Die US-amerikanischen Mainstream-Medien haben - mit Ausnahme der "New York Times" - die Wikileaks-Enthüllungen erst mit der Veröffentlichung der Diplomaten-Protokolle aufgegriffen. Die ersten drei Enthüllungen aus dem Jahr 2010 wurden insbesondere von den großen Fernseh-Networks ignoriert. So entschied sich die Mehrheit der Fernsehsender dazu, das Collateral Murder-Video nicht oder nur in gekürzter Fassung auszustrahlen. Für die Mehrheit der Fernsehstationen war am Tage der Veröffentlichung des Videos das angekündigte Comeback des Golfers Tiger Woods das beherrschende Thema. Die einzige nennenswerte Auseinandersetzung mit dem Video leistete der Kabelsender MSNBC, der eine Gesprächsrunde zum Thema initiierte. Was den Zuschauern dabei vorenthalten wurde: Der T700-Motor des Apache-Kampfhubschraubers, aus dem die 14 Zivilisten tödlich beschossen wurden, wurde vom NBC-Mutterkonzern General Electric hergestellt. Doch auch die US-Berichterstattung über die Diplomaten-Protokolle war laut einer Studie des Medien-Watchdog FAIR äußerst selektiv und tendierte dazu, die Aktivitäten der US-Diplomaten in einem positiven Licht dazustehen. Vorher nicht bekannte und von der Obama-Administration stets bestrittene Informationen - wie z.B. dass US-Streitkräfte im Jemen regelmäßig Luftangriffe fliegen oder dass Spezialeinheiten der Armee seit geraumer Zeit regelmäßig militärische Operationen in Pakistan durchführen - wurden von den Mainstream-Medien nicht aufgegriffen. Aus diesem Grund entschied sich Julian Assange bereits frühzeitig, nicht mit der "Washington Post" zu kooperieren. Die Zeitung hatte in der Vergangenheit vor der Veröffentlichung von Enthüllungen stets die Regierung konsultiert und Informationen zurückgehalten.

Siehe auch:

Mediadb.eu: Wikileaks-Gründer Assange: Enthüllungen über Murdoch (14.11.2011)

Mehr dazu:

- Bill Keller (New York Times): Dealing with Assange and the WikiLeaks Secrets (26.01.2011)
- Sarah Ellison (Vanity Fair): The Man Who Spilled the Secrets (Ausgabe 02/2011)
- bradleymanning.org: WikiLeaks fulfills pledge to support accused whistle-blower Bradley Manning (13.01.2011)
- Democracy Now!: Icelandic Parliamentarian Calls U.S. Subpoena of Her Twitter Account over WikiLeaks Involvment "Disturbing" (12.01.10)
- Wall Street Journal: How Wikileaks Keeps It Funding Secret (23.08.2010)
- Georgia Business News: Corporations Are Drawn Into WikiLeaks Controversy (13.12.2010)
- ABC News: Former Friends Ask WikiLeaks Founder: Where’s The Money? (15.12.2010)
- Techcrunch: WikiLeaks will fund itself via Flattr, Pirate Bay founder’s startup (02.08.2010)
- der Freitag: Wir zahlen den Wikileaks-Leuten kein Gehalt (13.07.2010)
- Wired: WikiLeaks Cash Flows In, Drips Out (13.07.2010)
- Fairness And Accuracy in Reporting: What We Learn From WikiLeaks. Media paint flattering picture of U.S. diplomacy (16.12.2010)
- Techcrunch: Apple Removes WikiLeaks App from App Store (20.12.2010)
- Der Standart: Zeitung “Libération” unterstützt Wikileaks (12.12.2010)
- The First Post: WikiLeaks working with media on biggest leak yet (10.09.2010)
 - The New Yorker: No Secrets. Julian Assange’s mission for total transparency (07.06.2010)
- The Telegraph: WikiLeaks: celebrities offer to pay Julian Assange's bail (15.12.2010)
 - Antiwar.blog: Daniel Ellsberg says boycott Amazon (02.12.2010)
- TIME: A Wiki for Whistle-Blowers (22.01.2007)