Público

Vor nicht einmal 20 Jahren wurde die Tageszeitung Público in das mediale Brachland der Nachdiktatur hinein gegründet um modernen Print-Journalismus in Portugal zu praktizieren. Die Gründer orientierten sich an den Standards der großen europäischen Qualitätsblätter: Sie wollten kritischer, schneller und internationaler berichten, als die alteingesessenen portugiesischen Medien in Staats- und Kirchenbesitz. Finanziert von dem Großunternehmer Belmiro de Azevedo, wurde es das teuerste Zeitungsprojekt Portugals und der Anfang einer Konkurrenz, die die portugiesische Medienlandschaft revolutionierte.
Das relativ kleine Berliner Format, teils farbige Überschriften und die aufwändigen Fotografien lassen das Público-Layout dem eines Magazins ähneln. Auch wenn eine Auflage von 63.000 Exemplaren auf dem insgesamt kleinen portugiesischen Zeitungsmarkt für das hohe Ansehen des Blattes spricht, konnte Público dennoch nur für drei Jahre einen Gewinn erzielen. Der tägliche Balanceakt zwischen Qualitätserhalt und Kosteneinsparungen hat sich durch die Wirtschaftskrise noch verschärft.

Basisdaten

Hauptsitz:
Rua Viriato 13, 1069-315 Lissabon, Portugal  
Telefon:  +351 210111000
Telefax:  +351 210111008
Internet:  www.publico.pt (Zeitung)

Branche: überregionale Tageszeitung, Bücher, DVDs, CDs, Online-Angebote
Rechtsform: Aktiengesellschaft
Gründungsjahr: 1989
Beschäftigte: 251, davon 120 in der Redaktion (Stand Ende 2008)


Auflage und Reichweite
Sitz des Público ist die portugiesische Hauptstadt Lissabon. Die Zeitung erscheint an jedem Tag der Woche; derzeit mit einer durchschnittlichen Auflage von 63.000, die, nach Angaben von „Marktest“, von etwa 370.000 Menschen gelesen wird. An bezahlten Zeitungen werden nur die Boulevardzeitung „Correio da Manha“ und das alteingesessene „Jornal de Noticias“ mehr gelesen – abgesehen von einer portugiesischen Eigentümlichkeit: mit „A Bola“, „Record“ und „O Jogo“ gibt es täglich gleich drei Sportzeitungen, die sich vor allem dem Fußball widmen und zum Teil höhere Auflagen haben als die stärksten Titel der klassischen Tagespresse.

Ökonomische Basisdaten
Einen Gewinn konnte Público bisher nur drei Jahre lang einfahren. Sowohl die Wirtschafts- als auch die Zeitungskrise trafen auch dieses Blatt hart: 2008 konnte zwar der Umsatz aus dem Verkauf der Zeitung um 1,8% gesteigert werden (12,04 Mio. Euro). Allerdings war dies vor allem das Ergebnis einer Preiserhöhung. Die Werbeeinnahmen hingegen sanken um 5,7% im Vergleich zu 2007 (13,46 Mio. Euro). Auch der Umsatz anderer Artikel (Bücher, DVDs usw.) ging um 1,8% zurück (6,94 Mio. Euro), Insgesamt verzeichnete Público 2008 einen Verlust von 3,2 Mio. Euro, was immerhin um 1,5% weniger war als 2007.

Geschäftsführung:

  • Ângelo Gabriel Ribeirinho dos Santos Paupério, CEO Sonaecom
  • Bárbara Reis, Chefredakteurin Público
  • António Granado, Redaktionsleiter Público Online

 

 

Geschichte und Profil

Geschichte
Die erste Ausgabe von Público kam zu spät. Technische Probleme, hieß es, hätten in der Nacht zum 2. Januar 1990 dazu geführt, dass nicht gedruckt werden konnte. Eine der Maschinen im Norden Portugals war über die Weihnachtstage nicht rechtzeitig aufgebaut worden und eine Überschwemmung hatte die Geräte für die Farbdrucke zerstört. Bis spät in die Nacht versuchte die Redaktion eine andere Druckerei zu finden, aber die Zeit reichte nicht. „Wir wollen nicht, dass die Zeitung mit ihrer ersten Ausgabe stirbt, weil sie ihre versprochene Qualität nicht halten kann“, sagte der damalige Chefredakteur Vicente Jorge Silva, als das in einer aufwendigen Werbekampagne wochenlang angekündigte Blatt am nächsten Tag nicht an den Kioskregalen lag. Ein neues Erscheinungsdatum nannte er nicht. Es sollte noch zwei Monate dauern, in denen andere Zeitungen Karikaturen von Público-Redakteuren druckten, die sich gegenseitig fragten, ob ihre Zeitung schon erschienen sei und Kommentare veröffentlichten, die den Betroffenen viel Glück wünschten. Sogar eine gefälschte Ausgabe kam heraus, im Público-Layout aber unter anderem Namen, auf deren Deckblatt stand: „Wir erwarten euch sehnlichst.“

Diese große Spannung war darin begründet, dass es Anfang 1990 keine einzige private Qualitätstagesszeitung in Portugal gab. Täglich erschien in Privatbesitz nur „Correio da Manhã“, vergleichbar etwa mit der deutschen „Bild“- Zeitung – alle anderen Tageszeitungen gehörten Kirche oder Staat.

Nach 48 Jahren Diktatur hatten sich seit der „Nelkenrevolution“ 1974 alte Strukturen nur schleppend verändert. Zwar sah das neue Pressegesetz vor, dass Zeitungen, Fernseh- und Radioprogramme frei von Zensur sein sollen. Auf Grund der Besitzverhältnisse und der mangelnden Tradition in kritischer Berichterstattung blieben sie jedoch – bis auf wenige Ausnahmen – lange weiterhin politische Sprachrohre. Erst mit Portugals Beitritt zur EU 1986 und einer damit verbundenen Politik der Privatisierung und Marktöffnung entstand eine Werbewirtschaft, die Anzeigen schaltete und es möglich machte, Sendungen und Zeitungen privat zu finanzieren. Nachrichten wurden zur Ware.

Unter diesen neuen Voraussetzungen beschlossen sechs Redakteure aus der Führungsebene des Wochenmagazins „Expresso“, eine Tageszeitung zu entwickeln. „Expresso“ war eines der wenigen kritischen Nischenprodukte, gegründet kurz vor der Revolution, das als intellektuell galt, mangels Konkurrenz aber auch als etwas träge.
Die Gruppe junger Journalisten um Vicente Jorge Silva, dem damaligen stellvertretenden Chefredakteur bei „Expresso“, sehnte sich danach, auf Ereignisse schneller reagieren zu können und internationales Geschehen, wie die zu der Zeit aktuellen Umwälzungen in Europa, stärker zu berücksichtigen als es in den portugiesischen Medien Praxis war. Einige waren vor der Revolution im Exil oder Untergrund gewesen, jetzt wollten sie öffentlich den „Informationsrhythmus Portugals ändern“, international sein und „ohne Komplexe anfangen, den verstaubten Medien im Land die Stirn zu bieten“, sagte Silva damals. Ihre Vorbilder waren europäische Qualitätsblätter wie „La Stampa“, „El País“ und „Libération“.

Belmiro de Azevedo, ein Unternehmer aus dem Norden, investierte in das Projekt. Der einzige Portugiese, der es jemals auf die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt schaffte, hatte eigentlich – wohl aus sentimentalen Gründen – die Zeitung seiner Kindheitserinnerungen kaufen wollen. Doch er ließ sich von der Idee einer Neugründung begeistern. Ende 1989 verließen Vicente Jorge Silva, Jorge Wemans, Nuno Pacheco, Vítor Malheiros, José Manuel Fernandes und Joaquim Fidalgo geschlossen das Wochenblatt „Expresso“ um Público zu gründen.

Es war eine Luxusgründung mit höchstem Anspruch – und wurde das teuerste Zeitungsprojekt, das es bis zu diesem Zeitpunkt in Portugal gegeben hatte. Etwa ein Jahr lang entwickelten und organisierten sie, formten das Profil und warben Journalisten von anderen Medien ab. Sie entwarfen das Stilbuch Público, welches Schreibweisen, Redaktionsstatut und die ethischen Richtlinien beinhaltet, denen sich die Redaktion verpflichtet. Zur Wahrung der strengen Kriterien und zur Achtung von Kritik und Leserbelangen entwickelten die Gründer die Rolle des „Provedor do Leitor“, einem Ombudsmann, dem sonntags eine ganze Seite zur Verfügung steht. Außerdem führten sie die Rubrik „O Público errou“ („Público irrte“) ein, in der gemachte Fehler aufgeführt und berichtigt werden können – eine Transparenz, die zuvor in Portugal undenkbar war.
 
Am 31. Oktober 1989 wurde das Unternehmen Público Comunicação Social S.A., als Tochterunternehmen von Sonae gegründet. 80 Journalisten bezogen die Redaktionsräume in Lissabon, 30 in Porto, und etwa 20 standen als Korrespondenten weltweit bereit. Außerdem wurden mehr als 20 Talente ausgewählt, um in der Redaktion ausgebildet zu werden. Das Durchschnittsalter in der Quinta do Lambert, dem ersten Redaktionssitz in Lissabon, betrug 30 Jahre, unter den Journalisten waren einige der besten Portugals, wie Adelino Gomes, Fernando Dacosta und Teresa de Sousa und sie begannen sofort zu arbeiten: Interviews führen, Termine wahrnehmen, Kontakte herstellen, Ausgaben produzieren; die hochkarätige Redaktion war bereits eingespielt und 10 Millionen Euro in das Projekt Público geflossen, als die Technik versagte.

Am Montag, den 5. März 1990 erschien schließlich die erste Ausgabe.
120.000 Exemplare wurden gedruckt und auch wenn Público die Auflagenhöhe nicht halten konnte, war sie – abgesehen von den Fußballzeitungen, die in Portugal traditionell die höchsten Auflagen einfahren – von Anfang an eine der drei größten portugiesischen Tageszeitungen.

Profil
In ihrer kurzen Geschichte gab es keine grundlegenden Änderungen im Profil der Zeitung. Einzelne Beilagen kamen dazu oder wurden eingestellt, am Layout wurde gefeilt und war die Zeitung anfangs in einen allgemeinen und einen Lokalteil untergliedert, ist sie seit einem Relaunch 2007 aktuell wie folgt aufgeteilt:

P1
Im ersten Heft, „P1“ oder einfach „Público“, finden sich die aktuellen Themen aus Politik (international, national und lokal), Sport und Wirtschaft, sowie ein gesondertes Tagesthema („Destaque“). Das kann aus allen Bereichen kommen – es kann eine Analyse des Desinteresses an den Europawahlen sein oder ein Bericht über den Transfer des Fußballspielers Cristiano Ronaldo zu Real Madrid. Außerdem werden in „P1“ die Anzeigen gedruckt sowie die Meinungsseiten mit Leserbriefen, Editorial, Kolumnen und Kommentaren.

P2
Seit Februar 2007 liegt der Zeitung täglich das „P2“ bei. In diesem zweiten Heft stehen die Themen aus Gesellschaft, Kunst und Kultur. Längere Interviews werden hier gedruckt, Reportagen zu Themen die nicht direkt auf der tagesaktuellen Agenda stehen, Comics wie der schon legendäre „Bartoon“ von dem Portugiesen Luís Afonso und die amerikanische Serie Calvin & Hobbes von Bill Watterson, Spiele wie Sudoku und Kreuzworträtsel, ein Veranstaltungskalender und das Fernsehprogramm. 
Schon während der ersten Monate des Bestehens, als der Golfkrieg ausbrach, konnte „Público“ seinen hohen Anspruch an die eigene internationale Berichterstattung unter Beweis stellen: Im Gegensatz zur gängigen Praxis portugiesischer Medien schafften es Themen wie die Freilassung Nelson Mandelas oder das Ende der Apartheid auf die Titelseite und während der „Operation Wüstensturm“ hatte die Zeitung zwei Korrespondenten vor Ort – mehr als jede andere portugiesische Tageszeitung. 1991 schloss sich „Público“ dem World Media Network an, einem Netzwerk von Qualitätszeitungen, wie der „Süddeutschen Zeitung“, „El País“ und „Libération“, das gemeinsam Veröffentlichungen produziert.

Mit seiner Berichterstattung und Einordnung der Weltpolitik setzte „Público“ neue Maßstäbe, die die Konkurrenz zum Teil kopierte. Doch die besondere Stärke der Zeitung in der Auslandsberichterstattung ist noch immer anerkannt – dafür sprechen überdurchschnittlich hohe Verkaufszahlen bei Ereignissen wie der Einführung des Euro oder der Unabhängigkeit Osttimors.

Auch bei der Inlandsberichterstattung steht Público für kritischen, unabhängigen Journalismus. Nuno Pacheco, Mitgründer und derzeit stellvertretender Chefredakteur sagt stolz: „Alle Regierungen haben sich bisher über Público beschwert.“ Das gilt besonders für die sozialistische Regierung des derzeitigen Premierministers José Sócrates – sie ging sogar gegen einzelne Journalisten juristisch vor, meist jedoch ohne Erfolg. Regierungspolitiker aber auch Leser wittern eine Kampagne gegen den skandalumwobenen sozialistischen Premier, da Público dem Sonae-Konzern des konservativen Unternehmers Belmiro de Azevedo angehört. Nuno Pacheco nennt dies „blanken Unsinn“ und spricht von „Paranoia bei einigen politischen Akteuren“. Público lasse schlicht unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen. Was Pacheco nicht sagt: einige der „Meinungen“ basierten auf vermeintlichen Fakten, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten. Dennoch funktionierte die Fehde mit dem Regierungschef als Werbung für die Zeitung, die sich damit als kritisch und investigativ positionierte. Die Rubrik „O Público errou“ sowie die Arbeit des Ombudsmannes haben sich über die Jahre als sehr bereichernd erwiesen: heftige Kritik der Instanz sorgte bereits für manch öffentlich ausgetragenen Streit mit der Redaktion oder dem Herausgeber, seit ein paar Jahren auch online: Rund um die Uhr wird die Qualitätsdiskussion mit reger Anteilnahme der Leserschaft im Blog des Ombudsmanns und hochangesehenen Journalisten Joaquim Vieira, geführt. Viele andere Zeitungen haben diesen offenen Umgang mit Kritik von Público übernommen. 

Führung / Chefredakteure
Vicente Jorge Silva war Ideengeber, Gründer und erster Chefredakteur von Público. Geboren 1946 auf Madeira war er zuvor stellvertretender Chefredakteur des Wochenmagazins Expresso und zeitweise Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei Partida Socialista, PS. 2000 verließ er die Zeitung, weil er die von den Aktieninhabern angeordneten Sparmaßnahmen nicht mittragen wollte und Belmiro de Azevedo ihm vorwarf, das Blatt zu missbrauchen, um die eigenen politischen Ansichten zu verbreiten. Heute arbeitet Silva unter anderem für das Wochenmagazin Sol und als Kino-Regisseur.
Die beiden folgenden Chefredakteure hielten sich nur kurz, dann übernahm José Manuel Fernandes, ebenfalls aus der alten Gründerriege, das Amt.
Fernandes, 1957 in Lissabon geboren, gründete 1975/76 das erste Secretariado da União de Estudantes Comunistas, eine maoistisch geprägte Studentenorganisation, mit Verbindungen zur marxistisch-leninistischen Partei UDP („União Democrática Popular“). Er studierte vier Jahre Biologie bevor er begann, für verschiedene Zeitungen zu schreiben, alle verbunden mit der UDP, wie beispielsweise „A Voz do Povo“, einer Zeitung der radikalen Linken, aus deren Redaktion viele später sehr einflussreiche Journalisten hervorgingen.

Ab 1980 arbeitete er bis zur Público-Gründung für das Wochenmagazin „Expresso“.
Neben seiner Tätigkeit als Chefredakteur kommentierte er regelmäßig in Fernsehsendungen und wirkte in verschiedenen Gremien zur Qualitätsüberwachung des Journalismus mit. Seine politische Haltung änderte sich über die Jahre: In den Texten, die er in Folge des 11. Septembers schrieb, rechtfertigte er den Einmarsch in den Irak. Sie wurden 2003 unter dem Titel „Keiner ist neutral“ als Buch veröffentlicht. Auch war er 2006 einer der Hauptverantwortlichen für die Umstrukturierungen bei Público, denen viele Arbeitsplätze zum Opfer fielen.

Ende Oktober 2009 gab Fernandes sein Amt an Bárbara Reis ab. Offiziell heißt es, er sei „müde“ und wolle die Führung Jüngeren überlassen. Doch ein Zusammenhang mit den heftigen Angriffen auf die Regierung und der diesbezüglichen öffentlichen Kritik ist kaum zu übersehen.

Bárbara Reis ist die erste Frau an der Spitze des Público und die einzige, die in Portugal eine Tageszeitung führt. Sie war zuvor Kulturredakteurin und Fernandes Stellvertreterin. Eine ihrer ersten Neuerung als Chefin war es, die „editoriais“, die Leitartikel, nicht mehr namentlich zu kennzeichnen.

Layout / Fotografie
Von Anfang an sollten die in Público gedruckten Fotografien mehr sein als bloße Illustration und Beiwerk zum Text. Entgegen dem unter Journalisten verbreiteten Denken, gute Texte bräuchten keine Bilder und der Tradition großer Qualitätszeitungen wie der „Neuen Zürcher Zeitung“, „Le Monde“ oder der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, so gut wie gar keine Fotos zu zeigen, sollten sie bei Público „eine eigenständige Dimension und Balance“ haben und durch ihre Ästhetik die Marke Público prägen. Die Arbeit der Fotografen und Fotojournalisten wurde –  auch das ist nicht selbstverständlich –  wertgeschätzt. Ihre Namen wurden stets mit abgedruckt, Bilder nicht ohne Absprache und Einverständnis bearbeitet und auch eigene Themenideen und Umsetzungsvorschläge respektiert. Die Fotos in Público dokumentieren daher nicht nur die großen Ereignisse oder dramatischen Momente, sondern auch das Alltagsleben, die Routinen, die kleinen Freuden und Nichtmomente. Sie bieten – und sollen dies auch – eine eigene, zusätzliche Perspektive. Mit der Zeit entwickelte sich trotz der unterschiedlichen Fotografenpersönlichkeiten des Hauses und die der Gastfotografen aus dem Ausland ein typischer „Público“-Stil: gehaltvoll, aber diskret und schlicht. Dies war und ist ein wichtiger Beitrag zur Ästhetik und Ethik des gesamten portugiesischen Fotojournalismus.

Seit 2007 erscheint Público in seinem aktuellen Layout. Der Designer Mark Porter hatte zuvor das mit Auszeichnungen gefeierte Erscheinungsbild des britischen „The Guardian“ gestaltet. Er änderte das Público-Logo zu einem großen roten „P“, in dessen Innerem in Weiß „Público“ steht. Das aktuelle Layout der relativ kleinen Seiten (Berliner Format) erinnert mit großen Fotos, farbigen Überschriften und verhältnismäßig viel Weißfläche an das eines Magazins.

Verlagsüberblick / Neue Geschäftsmodelle / Beteiligungen

Am 31. Oktober 1989 gründete Belmiro de Azevedo die Aktiengesellschaft Público, Comunicação Social S.A. als Tochterunternehmen seiner Firma Sonae, mit einem Gesellschaftskapital von 50.000 Euro. 10 Prozent der Aktien bekamen die Redakteure. Die Firma wird geleitet von einem Verwaltungsrat und einer Direktion, bestehend aus jeweils zwei Geschäftsführern und dem Chefredakteur. José Manuel Fernandes, Vorgänger der jetzigen Chefredakteurin, war zeitweise auch Mitglied des Verwaltungsrates. Die inhaltliche Unabhängigkeit der Redaktion ließ sich diese bei der Gründung vertraglich garantieren.

1994 wurde Sonaecom SGPS, (Sociedade Gestora de Participações Sociais), S.A. gegründet, eine neue Beteiligungsgesellschaft der Sonae-Gruppe, die all deren Tochterunternehmen im Bereich Kommunikation in sich vereinte. Dazu gehören – neben Público – die Telefonanbieter Optimus und Clix sowie die Softwarefirmen WeDo, Bizdirect, Mainroad und Saphety.

Der Mutterkonzern Sonae ist das größte Unternehmen Portugals - das Jahr 2006 schloss es mit einem Umsatz von 4,3 Milliarde Euro und mit einem Gewinn von 600 Millionen Euro ab. Zu den verschiedenen Tochterfirmen von Sonae gehören – neben Público und den anderen Kommunikationsunternehmen – bekannte Marken, wie die Supermarktketten Modelo und Continente, die Elektronikfachmarktkette Worten, Holzfirmen, Reise- und Finanzdienstleister.

Belmiro de Azevedo, Chef von Sonae, wurde 1938 als Sohn eines Schreiners in einem kleinen Dorf im Norden Portugals geboren und ist heute mit einem Vermögen von 2,3 Milliarden Euro der reichste Mann Portugals. Azevedo hatte sein – mit Stipendien gefördertes – Chemiestudium mit Auszeichnung abgeschlossen und nebenher das erste Geld als Textilunternehmer verdient. Bei Sonae, das seinen Sitz in Maia, bei Porto hat, begann er als einfacher Angestellter und arbeitete sich in die Führungsriege hoch. 1982 bot ihm Sonae-Gründer Afonso Pinto Magalhães 16 Prozent der Firma an. Als der Patriarch 1984 starb, übernahm Azevedo nach einem heftigen Rechtsstreit mit der Gründerfamilie die Mehrheit am Unternehmen und baute es zu dem Riesen-Konzern auf, der er heute ist. 2007 übernahm Azevedos Sohn offiziell die Geschäftsführung.

Auch wenn in den Tagen der euphorischen Público-Gründung niemand Gewinne der Zeitung ausschloss, dachte Belmiro de Azevedo dabei weniger ans Geldverdienen, als an ein Prestigeobjekt, das im besten Fall auf die anderen Produkte seiner Sonae-Gruppe abfärben sollte. Doch dass es ihn so teuer kommen würde, hatte er nicht erwartet. Schon 1991, kurz nach der Gründung, schrieb das Wirtschaftsblatt „Semanário Económico“: „Público bereitet Belmiro de Azevedo die größten Kopfschmerzen.“ Zu diesem Zeitpunkt steckten etwa 17,5 Millionen Euro in der Zeitung, die weit davon entfernt war, Gewinn zu machen. Die Aktionäre machten Druck und so suchte Belmiro noch im selben Jahr nach neuen Investoren im Ausland. Sie sollten neben Geld auch Erfahrung im Journalismus mitbringen, die dem Unternehmer selbst fehlte. Für kurze Zeit beteiligten sich darauf hin die Herausgeber von „El País“ in Spanien und „La Repubblica“ in Italien an der Zeitung.

1992 begann Público als erste portugiesische Zeitung, Sammeleditionen herauszugeben. Bücherreihen, Lexika, CDs, CD-ROMs (seit 1999) und DVDs (seit 2003) können seit dem für einen Aufpreis zur Zeitung direkt am Kiosk oder im Público-Laden (online und im Radaktionshaus in Lissabon) erworben werden. Dieses Geschäftsmodell ist neben den Anzeigen in der Printausgabe die Haupteinnahmequelle der Zeitung und so erfolgreich, dass es sofort Nachahmer bei der Konkurrenz fand. Die Auswahl stärkt nicht nur die Bilanz, sondern auch die Marke „Público“: angeboten werden Literaturklassiker, Geschichtslexika, Comics, Fotobände, Fado- und Jazzmusik, die Bildung und Kulturbewusstsein verkörpern. In Zusammenarbeit mit der Universidade Autónoma de Lisboa (UAL) veröffentlicht die Zeitung seit 1997 außerdem „Janus“, ein Jahrbuch der Außenbeziehungen.

Internetpräsenz und Online-Performance

Am 22. September 1995 ging publico.pt, geleitet von António Granado, als zweite portugiesische Zeitung online. Dafür wurde die Gesellschaft „Público.pt Serviços Digitais Multimedia SA.“ gegründet. Seit Mai 1999 aktualisiert eine eigene Nachrichtenredaktion die Seite mehrmals am Tag.

Público.pt bietet außer Nachrichten auch Videos, Fotostrecken, Infografiken, Veranstaltungskalender, Bar- und Restaurantführer, Fernseh- und Kinoprogramm, Wetter, den Público-Internetshop und verschiedene Blogs – beispielsweise von Praktikanten, die vom Redaktionsalltag berichten, von Fotografen, die auf der Welt unterwegs sind und dem „provedor do leitor“, dem Leserbeauftragten, der auf Beschwerden und Anregungen antwortet.

Print-Abonnenten haben online zusätzlich Zugriff auf Meinungsartikel, die Beilagen und das Archiv, sowie seit 2001 auf eine pdf-Ausgabe des gedruckten Público.
Publico.pt hat nach „abola.pt“ - der Internetseite einer portugiesischen Fußballzeitung -, einer Fotoplattform („olhares.com“) und einer weiteren Fußballseite („record.de“) die meist genutzte Webdomain in Portugal. Mit 6 Millionen Visits und 28,5 Millionen Klicks (Marktest Netscope, Juni 2009) wird público.de so viel gelesen wie keine andere Internetplattformen für Qualitätsjournalismus. Der Online-Auftritt des Konkurrenzblatts „Diário de Notícias“ kommt gerade auf die Hälfte der Visits. Viele der Leser greifen jedoch nur auf die kostenlosen Inhalte zurück, Geld wird daher mit dem Angebot noch nicht verdient. Nuno Pacheco sagt: „Würden alle unsere Internetnutzer die gedruckte Zeitung kaufen, dann wären wir Millionäre!“

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Die Lesegewohnheit im zehn Millionen Einwohner-Staat Portugal ist eher schwach ausgeprägt. Als nach der Revolution die Pressefreiheit eingeführt wurde, wandten sich die meisten Portugiesen direkt den elektronischen Medien zu – ohne sich erst an Zeitungen zu gewöhnen. In keinem anderen europäischen Land ist die Auflagenzahl (tägliche Gesamtauflage, Zeitungsdichte) in Relation zu den Einwohnern so gering wie in Portugal - und sie geht, wie überall, beständig zurück. Der portugiesische Zeitungsmarkt ist daher klein und anfällig.

Zwei Gratisblätter („Destaque“ und „Metro“) gelten mittlerweile als meist gelesene Zeitungen in Portugal. 2006 überstieg deren Auflage zum ersten Mal die Gesamtauflage aller Tageszeitungen zusammen (um acht Prozent). Im ersten Drittel des darauf folgenden Jahres verbuchten sie 21,7 Prozent der Werbeinvestitionen in Tageszeitungen für sich.

Bereits 2005 verzichteten einige Redakteure bei „Público“ auf Teile ihres Gehalts, um Entlassungen zu vermeiden. Im Zuge des großen „Relaunchs“ 2007 wurden dennoch Stellen abgebaut: Vier von fünf Dokumentaren mussten gehen und beinahe fünfzig Journalisten wurden aufgefordert, ihre Verträge aufzulösen.

Anfang 2009 gab es als Folge der Finanzkrise weitere Einsparungen und einen andauernden Einstellungsstopp. Im Juli wurden Redakteure gezwungen, Lohnkürzungen hinzunehmen. Auf ihren Widerstand reagierte die Geschäftsführung mit der Drohung einer kollektiven Entlassung – und brach ihn damit. Ausscheidende Redakteure wurden gar nicht oder durch Praktikanten und Freie Mitarbeiter ersetzt. Ein Heer von Nachwuchsjournalisten produziert den Großteil der portugiesischen Medien unentgeltlich, unterbezahlt und ohne Sozialversicherung – von dieser Entwicklung ist auch die Público-Redaktion betroffen. Reisen werden nur noch selten genehmigt, die Seitenzahl wurde reduziert und Korrespondenten gibt es nur noch in Washington, Madrid und Brüssel. In Deutschland hat Público seit mehr als einem Jahr keine Vertretung mehr, der stellvertretende Chefredakteur Nuno Pacheco gesteht dies – angesichts der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der beiden Länder – als Manko ein und verweist in der Not auf die „Globalisierung der Nachricht“: der Korrespondent sei nicht mehr unbedingt erforderlich, damit Informationen die Redaktion erreichten. Eine Erklärung, die auf ein beängstigendes Verständnis von internationaler Berichterstattung hinweist, das nicht mehr mit dem Anspruch der Gründer gemein hat. Es ist eine heikle Gratwanderung zwischen Sparzwang und Anspruch, die die Redaktion des Público tagtäglich gehen muss, die sie aber bisher trotz allem tapfer bestand. Darum ist Público nicht nur eine Zeitung, sondern auch eine Marke. „Manche legen die Zeitung im Café extra sichtbar auf ihren Tisch“, sagt Pacheco und grinst. Público steht nach wie vor für intelligente, unabhängige und weltoffene Berichterstattung – und das wissen nicht nur die Leser, das weiß auch Sonae. Der größte Wirtschaftskonzern Portugals und die Aktionäre zahlen Jahr für Jahr in das Zeitungsprojekt, um es am Leben zu halten. Weil ihnen die Marke gut steht und weil es wichtig für Portugal ist.

Referenzen/Literatur