Jungfrau Zeitung

Die Jungfrau Zeitung mag nur zehn Mitarbeiter haben und von weniger als 50.000 Schweizern gelesen werden – sie ist dennoch bei Verlegern weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, was sie vor allem ihrem schillernden Verleger verdankt. Das Medium, das vor über hundert Jahren als kleine Dorfzeitung „Der Brienzer“ gegründet wurde, ist in seiner jetzigen Erscheinungsweise untrennbar mit Urs Gossweiler verbunden. Er verbannte schon in den 1990er Jahren internationale und überregionale Nachrichten aus dem Blatt und setzte schließlich im Jahr 2000 die Devise Online first konsequent um. Drei Lokalblätter verschmolzen in der Jungfrau Zeitung, die heute eine multimediale Plattform mit integriertem Web-TV ist, finanziert von lokaler Werbung und Aboerlösen. Die gedruckte Zeitung ist geblieben, heißt aber vielsagend bloß noch „Printout“. Gossweilers nächstes Ziel: Dieses Konzept der sogenannten Mikrozeitung europaweit lizenzieren.

Basisdaten

Hauptsitz:
Aarmühlestrasse 1, 3800 Interlaken, Schweiz
Telefon: +41 33 826 01 01
Telefax: +41 33 826 01 02
E-Mail: redaktion(at)jungfrauzeitung.ch
Internetseite: http://www.jungfrau-zeitung.ch
Verlag: http://www.gomedia.ch 

Branche: tagesaktuelles Onlinemedium mit zweimal wöchentlich erscheinender Zeitung
Rechtsform: Aktiengesellschaft
Gründungsjahr: 1907/2000

 

Tab. I: Ökonomische Basisdaten (in Mio. CHF)
200820072006200520042003200220012000
Umsatz 5,55,25,04,84,74,54,33.93,5
Gewinn (Verlust) nach Steuern0,50,4(0,3)0,20,30,30,1(0,3)(0,4)
Beschäftigte (gesamter Verlag)252426252321201819
Auflage Printout Jungfrau Zeitung9.0009.2009.6009.85010.10010.30010.50010.0007.100
Page views online (Mio.)5,24,54,13,73,12,61.91,50,9

Unternehmensleitung:

Gossweiler Media AG:

  • Urs Gossweiler, CEO
  • Beatrice Gossweiler-Abegglen, CFO
  • Luke Huggler, Design
  • Oliver Brodwolf, Leiter Entwicklung
  • Samuel Günter, Publizistik (auch Chefredakteur Jungfrau Zeitung)
  • Beat Kohler, Publizistik (auch Chefredakteur Jungfrau Zeitung)

 

Redaktion Jungfrau Zeitung:

  • Samuel Günter, Chefredakteur
  • Beat Kohler, Chefredakteur
  • Patrick Hirschi, Chef vom Dienst
  • Bettina Bhend, Redakteurin Kultur & Gesellschaft
  • Veronica Brunner, Redakteurin English spotlight
  • Andreina Mark Zurbuchen, Leiterin Korrektur
  • Ursula Gossweiler, Korrektorin
  • Anne-Marie Günter, Redakteurin Politik, Wirtschaft & Gesellschaft
  • Tobias Kilchör, Redakteur Politik, Gesellschaft & Wirtschaft
  • Irene Thali, Redakteurin
  • 21 freie Mitarbeiter/Korrespondenten
    (Stand: Juli 2009)

Geschichte und Profil

Der Schweizer Bezirk Interlaken zu Füßen des Dreigestirns aus Eiger, Mönch und Jungfrau ist bekannt als Touristenziel für Wildwasserrafting, Wanderwege und Hunderte Pistenkilometer. Zugleich ist er Heimat einer der fortschrittlichsten Zeitungen Europas, der Jungfrau Zeitung. Die mag nur einen Markt von 50.000 Lesern bedienen, doch das erfolgreich - mit einem Modell, das europaweit einzigartig sein dürfte: Es gilt das Prinzip online first; auf der Website finden sich ausschließlich lokale Nachrichten, die durch komplett ins Internet überführte lokale Werbung finanziert werden; die gedruckte Zeitung, die nur an zwei Tagen in der Woche erscheint, ist ein Beiprodukt.

Bevor die Jungfrau Zeitung zum reinen Onlinemedium avancierte, war sie eine kleine Dorfzeitung für wenige Tausend Einwohner. Ende des 18. Jahrhunderts war der Schweizer Fridolin Gossweiler nach Argentinien ausgewandert, wo er sich zum Typografen ausbilden ließ. Nach rund drei Jahrzehnten kehrte er 1906 mit seiner Frau Margaritha, ebenfalls Schweizerin im Ausland, und der zehnköpfigen Kinderschar in die Heimat zurück, um dort ein Jahr später das Blatt „Der Brienzer“ zu kaufen. Mit der kleinen Lokalzeitung begründete das Ehepaar das Medienhaus Gossweiler. Der Verlag passte im Verlauf des Jahrhunderts nach und nach seine Technik an, änderte aber kaum etwas am Medium selbst.

1991 wandelte dann Herbert Gossweiler, Verleger in der dritten Generation, das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um. Die Anleihen sind seither im Besitz der Familie. Im Jahr darauf vollzog „Der Brienzer“ einen ersten Schritt in Richtung dessen, was später die Jungfrau Zeitung ausmachen sollte: die Konzentration aufs Lokale. Die Verlegerfamilie hatte früh erkannt, dass das reine Abdrucken von internationalen Nachrichten, zumal meist aus Agenturmeldungen generiert, nicht mehr zeitgemäß war.
Heute bietet die Jungfrau Zeitung in den Ressorts Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Feuilleton, Sport, Leute und Dossiers ausschließlich Lokales: von der Goldhochzeit eines lokal ansässigen Ehepaares über ein Festival in Bern bis hin zur Meisterschaft im Rollenrodelrennen in Grindelwald. Außerdem sind bei der Jungfrau Zeitung online nicht nur Geburts-, sondern auch Todesanzeigen zu finden – sonst im Internetjournalismus sehr ungewöhnlich, wenn nicht verpönt.

Werden doch mal internationale Ereignisse thematisiert, dann werden sie auf lokale Themen heruntergebrochen: Welche Auswirkungen hat die Wirtschaftskrise auf die Spendenakquise ansässiger Vereine, welche Gefahr die Schweinegrippe im Gebiet Interlaken? Als die Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und in Österreich anstand, waren Fußball und die in der Region gastierenden Mannschaften ein großes Thema, ebenso die Auswirkungen der EM auf den Tourismus.

Nach Herbert Gossweilers frühem Krebstod 1993 rückte dessen Sohn Urs an die Spitze der Gossweiler Media AG. Der damals gerade 22-Jährige überführte den „Brienzer“ fortan konsequent ins Internet. 1994 verabschiedete sich der Verlag zunächst von den schweren Druckmaschinen, denn die hauseigene Zeitungsproduktion war zu teuer, zumal für ein Blatt, das traditionell nur zwei Mal wöchentlich erschien. Im Jahr darauf ging die erste Online-Version der Zeitung online. „Der Brienzer“ war damit schneller als zahlreiche andere Medien, besonders in der Schweiz, und gleichauf etwa mit dem Ableger des deutschen Magazins „Stern“, der ebenfalls 1995 online ging, oder dem britischen „Daily Telegraph“, der nur wenig schneller war.

1996 führte der Verlag ein neues HTML-basiertes Redaktionssystem ein. Damit wurden alle Daten zunächst fürs Internet aufbereitet und erst danach in ein konventionelles Layoutprogramm überführt. Es war die Grundsteinlegung für die spätere Umstellung auf die Jungfrau Zeitung. Von 1995 bis 2003 hat der Verlag nach eigenen Angaben zehn Millionen Schweizer Franken (rund 7 Millionen Euro) in die Entwicklung des Redaktionssystems und weiterer Komponenten der Plattform jungfrau-zeitung.ch investiert.

Das neue Medium Jungfrau Zeitung wurde schließlich im Jahr 2000 eingeführt, war jedoch keine hundertprozentige Neugründung. Es setzte sich zusammen aus dem guten alten „Brienzer“ sowie dem 1876 gegründeten und kurz zuvor gekauften „Oberhasler“ und dem „Echo von Grindelwald“ von 1896, mit dessen Verlag eine Kooperation eingegangen wurde. Kurz zuvor soll Gossweiler Media ein Angebot vom Verlagshaus Tamedia vorgelegen haben, das um die Jahrtausendwende auch die Konkurrenzzeitung „Berner Oberländer“ aufkaufte. Man lehnte ab.

Im Jahr der Umstellung verlegte Gossweiler Media den Hauptsitz der Redaktion nach Interlaken, blieb aber selbst bis heute in Brienz. Die zehn Redakteure (Stand Herbst 2009) der Jungfrau Zeitung rotieren zwischen den vier Büros in Interlaken, Brienz, Meiringen und Grindelwald. So soll der Kontakt zur Leserschaft der über 100 Jahre alten Traditionsblätter aufrecht erhalten werden. Obwohl das Medium nach außen stets unter dem Namen Jungfrau Zeitung firmiert, wurden die etablierten Marken „Der Oberhasler“, „Der Brienzer“ und „Echo von Grindelwald“ dem Namen nach beibehalten. Der Verlag fürchtete, andernfalls Leser zu verprellen. Sogar Morddrohungen soll es wegen der Umstrukturierung gegeben haben.

Nicht nur die Website der Jungfrau Zeitung ist auch unter den URLs der alten Marken, zum Beispiel oberhasler.ch, zu erreichen. Auch die gedruckte Ausgabe, die dienstags und freitags erscheint, kann unter einem beliebigen der vier Titel bestellt werden. Der Inhalt ist jedoch der gleiche: sämtliche seit der letzten Zeitung online erschienenen Texte mit entsprechend weniger Fotos und ohne Videos. Exklusive Informationen gibt es für Zeitungsleser nicht mehr. Laut Unternehmensphilosophie gibt es zwei entscheidende Vorteile die Zeitung zu behalten: Längere Artikel oder Interviews lassen sich auf Papier komfortabler lesen, und mit ihren vier bzw. freitags fünf Büchern kann das Blatt als Inhaltsverzeichnis genutzt werden, um zu wissen, was man auf der Internetseite verpasst hat. Unter jedem Zeitungsartikel ist neben einer Identifikationsnummer des Textes und seines genauen Veröffentlichungszeitpunktes auch vermerkt, ob online weiterführende Bilder und Videos zum Thema verfügbar sind.

Die Jungfrau Zeitung ist grundsätzlich noch dasselbe Produkt wie „Der Brienzer“. Zwei wesentliche Unterschiede gibt es jedoch: Die gedruckte Zeitung ist, wie durch die Umstellung des Betriebssystems Jahre vorher bereits angekündigt, endgültig in den Hintergrund gerückt. Außerdem bedient die Jungfrau Zeitung nun neben der kleinen Gemeinde Brienz auch den Bezirk Interlaken, ein Einzugsgebiet von rund 50.000 Einwohnern.

„Einen Mikrokosmos“ nennt Verleger Urs Gossweiler die Gegend - und sein Produkt entsprechend eine „Mikrozeitung“. Diese Wortschöpfung meint ein lokal begrenztes Medium, das primär online erscheint, mit einer Papierausgabe am Ende der Wertschöpfungskette. Was diese Bezeichnung und die Idee dahinter angeht, unterstreicht der Verlag seine Pionierarbeit. Ob das Konzept tatsächlich weltweit einzigartig ist, wie behauptet wird, ist nicht bekannt.

Kein Jahr nach dem Start der Jungfrau Zeitung, 2001, übergab Chefredakteur Stefan Hilzinger die Leitung an Stefan Regez. In seiner Zeit an der Spitze entwickelte Regez unter anderem das Format „Talk im Bistro“, eine Podiumsdiskussion mit Größen aus Politik und Wirtschaft zu aktuellen Themen, aus dem später „Talk on Tour“ in wechselnden Lokalitäten wurde. Unter seiner Regie erhielt die Jungfrau Zeitung 2004 auch erste audiovisuelle Inhalte, wenngleich diese wegen technischer Schwierigkeiten vorerst von den wenigsten Website-Nutzern gesehen wurden. 2006 verließ Stefan Regez zunächst die Chefredaktion, arbeitete aber noch an einem Relaunch von Zeitung und Website mit, bevor er zum Verlag Tamedia wechselte.

Ende 2006 bekam die gedruckte Jungfrau Zeitung unter ihrem neuen Chefredakteur Samuel Günter, einem langjährigen Redakteur, ein neues Gesicht. Außerdem wurde der permanente Nachrichtenfluss auf jungfrau-zeitung.ch eingeführt – vorher waren sämtliche Inhalte noch stets am Vorabend des Printouts auf einen Schlag online gestellt worden. Außerdem erfuhr das Magazin „7 Tage“, das sowohl einen online abrufbaren Veranstaltungskalender als auch eine Tabloid-Beilage der Zeitung umfasst, eine Erneuerung, und mit „Marktplatz“ wurde ein ebenfalls online und als Beilage erhältlicher Immobilien- und Stellenanzeiger geschaffen. Da es im Verbreitungsgebiet der Jungfrau Zeitung zahlreiche Anzeigenblätter gibt, dürfte dies ein notwendiger Schritt gewesen sein, um sich auf Dauer auf dem regionalen Anzeigenmarkt behaupten zu können.
Seit dem Relaunch 2006 ist Web-TV ein fester Bestandteil des Angebots der Jungfrau Zeitung. Nach eigenen Angaben war Gossweiler Media mit der Integration der erste Verlag in der Schweiz. Täglich bietet die Seite etwa zwei Bildbeiträge. Allerdings sind die Redakteure nicht multimedial ausgebildet und machen ihre Aufnahmen mit digitalen Fotokameras. Welche Themen sie multimedial aufbereiten, ist ihnen meist selbst überlassen. Die Videos sind zum Teil wackelig, und der Ton rauscht. Zudem handelt es sich nicht um geschnittene und betextete Beiträge, sondern beispielsweise um Interviewausschnitte oder unkommentierte Filmausschnitte von einem Ereignis. Nach eigenen Angaben hat das Web-TV-Angebot aktuell rund 4.000 Nutzer in der Woche, der Online-Auftritt 12.000 (Stand: 2009).

Im Februar 2007 gab Samuel Günter die Chefredaktion bereits wieder ab, um sich der Schaffung einer Dienstredaktion zu widmen. Seither hat die Jungfrau Zeitung einen Chef vom Dienst, der den Nachrichtenfluss koordiniert und kontrolliert. Aus Mangel an mit der Region vertrauten Alternativen, wurde 2007 zunächst Urs Gossweiler als neuer Redaktionsleiter eingesetzt. Wegen der Doppelbelastung als Verleger und Chefredakteur verließ er den Posten jedoch nach knapp einem Jahr wieder. Samuel Günter kehrte also 2008 zurück an die Spitze, gemeinsam mit Beat Kohler, ebenfalls langjähriger Redakteur. Traditionell hat die Chefredaktion auch einen Sitz im Management der Gossweiler Media AG, den sich die beiden teilen.

Verlagsüberblick, Management, Geschäftsfelder

Seit der Gründung des Medienhauses Gossweiler im Jahr 1907 wurde die Leitung von Generation zu Generation weitergegeben. Zuletzt wechselte die Spitze 1993 nach dem Tod des Verlegers Herbert Gossweiler. Urs Gossweiler und seine Frau Beatrice-Abegglen leiten das Unternehmen nicht nur, sie halten auch 100 Prozent der Aktien. Neben ihnen als CEO und CFO, hat der Verlag drei weitere gleichwertige Managementdisziplinen: Entwicklung, Design und die von den beiden Chefredakteuren der Jungfrau Zeitung verantwortete Publizistik.

Urs Gossweiler wird von einigen Kollegen belächelt, wenn er ihnen auf Verlegertagungen das Konzept der Mikrozeitung als Weg der Zukunft vorstellt. Sie bezweifeln seinen wirtschaftlichen Erfolg, denn die Gossweiler Media AG veröffentlich grundsätzlich keine Bilanzdetails. Das einzige, was bekannt ist, ist der Gewinn der Jungfrau Zeitung, der sich auf rund eine halbe Million Schweizer Franken belaufen soll. Andere fürchten sich vor dem, was Gossweiler zu sagen hat, weil er ihnen seine Realität vor Augen führt: dass sie noch immer all ihre Kraft in einen seiner Meinung nach sterbenden Markt stecken. „Sechs gedruckte Ausgaben pro Woche sind ökonomisch und ökologisch nicht mehr zeitgemäß“, sagt er, nennt die gedruckte Zeitung ein Auslaufmodell, manche Kollegen rückständig und die Fokussierung aufs Lokale die einzige Chance, sich auf Dauer durchzusetzen.

Hartnäckig bereist Gossweiler seit den 1990er Jahren Europa – vom Jahrestreffen des Netzwerk Recherche in Hamburg bis zur Stippvisite bei der BBC in London –, um für Lokalität und die Chancen des Mediums Online zu werben. Peter Hartmeier, Chef des Tages Anzeigers, einer der größten Zeitungen der Schweiz, hat ihn mal anerkennend den Bannerträger jener Sorte Medienmacher genannt, „die nie jammern, aber immer etwas unternehmen“.

Die Gossweiler Media AG stützt sich auf drei Kernfelder: Unter Mountain Publishing firmiert der Bereich, in dem das Onlinemedium Jungfrau Zeitung, die Printausgabe und das Beilagenheft „7 Tage“ verantwortet werden. Hinzu kommt mit dem Mountain Bistrotel ein Kongresszentrum mit Hotelzimmern, das allerdings noch in der Planung ist. In einer dritten Abteilung, Mountain Multimedia, steht die Strategie der Medienintegration im Vordergrund. Dazu gehören das selbst entwickelte und bei der Jungfrau Zeitung seit den neunziger Jahren genutzte Produktionssystem G-OS, die geplante Vergabe einer Lizenz für das Konzept Mikrozeitung und das sogenannte Long Term Meeting. Letzteres bezeichnet einen siebenjährigen Prozess, in dessen Rahmen 24 Firmen aus so unterschiedlichen Branchen wie Mode, Logistik oder Bauwirtschaft ihre Kompetenzen vereinen, um zu wechselnden Themen gemeinsam Konzepte für die Zukunft zu entwickeln.

Neue Geschäftsmodell / Beteiligungen

Die Verbreitung der Mikrozeitung ist der Gossweiler Media AG ein zentrales Anliegen. Bislang sind jedoch alle Versuche, das Modell zu lizenzieren, gescheitert. Die „Zuger Presse“ lehnte ab, ebenso die „NZZ“, und auch Verhandlungen mit großen deutschen Medienhäusern blieben ohne Ergebnis. Enthalten wären in der Lizenz das Aussehen des Internetauftritts, Komponenten der Seite, Farben und Anzeigengröße – und genau gegen diese verpflichtenden Elemente sträuben sich die Verleger bisher. Über aktuelle Verhandlungen ist nichts bekannt. Doch so prominent wie das Lizenzmodell Mikrozeitung allein auf der Verlags-Website dargestellt wird, ist davon auszugehen, dass noch immer Möglichkeiten ausgelotet werden, das Konzept zu duplizieren.

Allem verlegerischen Mut zum Trotz, wird die Website noch zwei Mal in der Woche „physikalisiert“, wie es Urs Gossweiler nennt. Welch geringe Priorität dieses gedruckte Produkt jedoch hat, zeigt schon die offizielle Bezeichnung: „Printout“ (Ausdruck). Auch wird zwar die Internetseite massiv im Blatt beworben, umgekehrt sind Hinweise auf die Abozeitung online kaum zu finden.

Doch die Printausgabe ist, obwohl nur Beiprodukt der Website, keine Gratiszeitung, sondern spült einiges Geld in die Verlagskassen. Das Jahresabo kostet 155 Schweizer Franken, umgerechnet rund 100 Euro. Für diesen Preis bekäme man die Neue Zürcher Zeitung, das große Prestigeblatt der Schweiz, gerade mal drei Monate. Nach offiziellen Angaben hat die Jungfrau Zeitung 24.000 Abonnenten, das ist rund die Hälfte der Zielleserschaft im „Mikrokosmos“. Rein rechnerisch ergibt das rund 3,7 Millionen Franken, die jährlich allein die Abonnements an Einnahmen bringen. Nach Verlagsangaben belaufen sich die Aboerlöse auf 1,2 Millionen Franken. Der kleine Verlag dürfte auf diesen Betrag so schnell nicht verzichten wollen. Entsprechend betont Verleger Gossweiler stets die Vorteile, die es habe, die Zeitung weiter zu betreiben.

Seit 2001 vergibt der Verlag außerdem jedes Jahr in Erinnerung an den verstorbenen Verleger Herbst Gossweiler den Preis Herbert für Verdienste um den alpinen Raum. Zu den bekanntesten Preisträgern zählen Reinhold Messner und Franz Beckenbauer.

Internetpräsenz und Online-Performance

Die Strategie Online first, die in vielen Verlagen zwar gepredigt, aber nicht konsequent durchgeführt wird, gilt bei der Jungfrau Zeitung ohne Einschränkungen. Sie ist ein reines Online-Medium. In der gedruckten Zeitung findet sich kein Wort, das nicht vorher bereits auf der Internetseite gestanden hätte. Das macht sich auch in Zahlen bemerkbar: Das Printout hat einer Mediennutzungsstudie des Marktforschungsinstituts GfK zwischen 2005 und 2008 an Reichweite verloren, nach eigenen Angaben stagniert die Auflage. Die Online-Reichweite hingegen stieg der GfK zufolge um 14 Prozentpunkte.

Laut Net-metrix, dem Schweizer Pendant zur deutschen IVW, wurden die Zugriffszahlen kontinuierlich gesteigert. Mit über 100.000 Visits hatte die Jungfrau Zeitung im Oktober 2008 ihren bisher besten Monat. Seither schwanken die Visits jedoch. Zwischenzeitlich fiel der Wert sogar wieder unter 80.000. Mit 85.358 Visits war im Juni 2009 wieder das Vorjahresniveau erreicht. (Die NZZ.ch hatte im gleichen Monat 8,93 Millionen Visits). Lediglich bei den Page Impressions ist bei der Jungfrau Zeitung nach wie vor ein Aufwärtstrend zu erkennen: 432.241 im Juni 2009, ein Zuwachs von rund 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Der Weltwirtschaftskrise setzte die Jungfrau Zeitung im Sommer 2009 einen erneuten Website-Relaunch entgegen, der vor allem ein erweitertes Werbekonzept enthielt: Alle Anzeigen aus dem Printout werden seither komplett auch auf jungfrau-zeitung.ch eingebunden, und im neuen Archiv der letzten zehn Jahre können auch Rubrikenanzeigen, zum Beispiel für Autos, gefunden werden. Damit investiert Gossweiler Media noch mehr in einen Bereich, aus dem sich andere Verlage in wirtschaftlich schlechten Zeiten häufig zurückziehen: lokale Werbung. Schon dem New Economy Crash 2001 trotzte die Jungfrau Zeitung durch die Konzentration auf lokale Anzeigen, das Werbevolumen stieg weiter. Der letzten GfK-Studie im Mikrokosmos zufolge sind die Nettowerbeerträge der Jungfrau Zeitung seit 2001 kontinuierlich gewachsen. Aktuell liegen die Werbeerträge offiziell bei rund drei Millionen Schweizer Franken pro Jahr.

Seit dem Relaunch werden dem Besucher auf jungfrau-zeitung.ch nach dem Google-Prinzip Links passend zu seinem Suchbegriff angezeigt, etwa aktuelle Immobilienangebote in Interlaken oder eine Anzeige zum 90. Geburtstag einer Bewohnerin von Meiringen. 

Außerdem werden die Anzeigen von lokalen Veranstaltungen, Supermärkten oder dem Computerfachmann, die jeweils unter einem Artikel zu finden sind, nicht mehr in Form von Bannern angezeigt, wie das auf anderen Internetseiten üblich ist. In einem eigens entwickelten System wird alle Werbung, die in der gedruckten Jungfrau Zeitung gebucht wird, erfasst und nur um eine Verlinkung zum Anbieter ergänzt online ausgegeben. Nach drei Tagen wird die Belegung der Anzeigenplätze gewechselt.

Dieses Konzept ist laut Urs Gossweiler einzigartig und wird, so der Verleger in einem Interview, „in der Schweiz und im Ausland breit kopiert werden“. Dennoch gelt es, noch einige „Versäumnisse nachzuholen“: Werbekunden sollten in Zukunft online buchen und gleich bezahlen können, und der Abonnent sollte auch on demand eine Ausgabe bestellen und einzeln bezahlen können anstatt das Printout jährlich zu beziehen. Der normale Nutzer wird hiervon kaum Kenntnis nehmen, die Jungfrau Zeitung soll damit jedoch auch dauerhaft im „Mikrokosmos“ konkurrenzfähig bleiben.