Länderporträt Estland

Mit 1,3 Millionen Einwohnern ist Estland eines der einwohnerärmsten Länder der EU. Um gewinnbringend zu arbeiten, sind Medienanbieter daher gezwungen, ihre Inhalte auf die gesamte Bevölkerung des Landes auszurichten. Etwa ein Drittel sind allerdings keine Esten – es gibt eine große russischsprachige Minderheit (etwa 25%), was den ohnehin kleinen Markt weiter aufspaltet.
Trotzdem ist der Mediensektor in Estland ein dynamischer und vom Wettbewerb bestimmter Markt. Die Auswahl der Medienangebote hat trotz der geringen Zahl der Konsumenten ein breites Spektrum. Die große Anzahl russischsprachiger Medien ist eine Besonderheit, die den gesamten Mark beeinflusst.

Nach der Sowjetherrschaft entwickelte sich der estnische Mediensektor erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten zur heutigen Angebotsfülle. Die geringen Profitaussichten schreckten westliche Investoren zunächst ab und ließen andere, ehemalige Ostblockstaaten lukrativer erscheinen.
Heute besticht Estlands Medienmarkt vor allem durch große Anteile im Onlinebereich und technische Modernität (bereits 2010 – fünf Jahre dem Plan voraus – ist die komplette Umstellung auf digitales Signal im gesamten Rundfunk erfolgt).
Die Wirtschaftskrise zwischen 2008 und 2010 traf zwar auch Estland, allerdings ist seit 2012 ein kräftiger Aufwärtstrend zu verzeichnen, der besonders vom starken Export profitiert. 2012, ein Jahr nach der Einführung des Euros, war Estland die einzige Nation in der EU, die ein Plus im Staatshaushalt verzeichnen konnte. Mit einem BIP pro Kopf von ca. 27.000 Euro im Jahr 2021, konnte sich Estland zwar deutlich steigern (2011 ca. 17.000 Euro), gehört somit aber noch immer zu einem der wirtschaftlich schwächeren Länder Europas.

Basisdaten

Einwohner: 1,33 Mio. (2021)
Religionen: evangelisch-lutherisch und orthodox (beim nicht-estnischen Bevölkerungsteil dominiert russisch-orthodox)
Größte Stadt: Tallin (434.562 Einwohner in 2019)
Regierungsform: Parlamentarische Demokratie
Staatsoberhaupt: Alar Karis (seit 2021)
Regierungschef: Kaja Kallas (Reformpartei, seit 2021)
EU-Mitglied seit: 2004
Arbeitslosenrate: 2021: 6,2%; 2014: 7,5%
Staatsverschuldung in Prozent des BIP: 18,1% (2021), 10% (2013), 6,1% (2011)
Haushaltssaldo in Relation zum BIP: -2,4% (2021), -0,42% (2014), +1,21% (2011)
Anteil am globalen BIP 2014: 0,04% (2021), 0,03% (2013)

Werbeumsätze insgesamt: 76,4 Mio. € (2013), 72,2 Mio. € (2011)
Tägliche Fernseh-Dauer pro Einwohner: 220 Min. täglich (2021), 231 Min. täglich (2013)
Größte Medienkonzerne: AS Postimees Grupp, Schibsted, Ekspress Grupp, Eesti Rahvusringhääling (ERR – staatlicher Rundfunk), Providence Equity Partners, Sky Media
Rundfunkgebühr: keine – öffentlich-rechtliche Anstalten werden durch Steuern aus dem Staatshaushalt finanziert

Geschichte und Profil

In seiner Geschichte befand sich Estland häufig unter Fremdherrschaft und war auch daher immer ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen West-, Nord- und Osteuropas. So verwundert es nicht, dass die erste Zeitung nicht in Estnisch herausgegeben wurde, sondern in Deutsch (1675, was übrigens auch die erste deutsche Zeitung war, die außerhalb des Heimatlandes erschien). Erst seit 1891 erschien mit Postimees (Postbote) die erste regelmäßige Tageszeitung. Heute machen vor allem russischsprachige Medien einen großen Anteil am estnischen Medienmarkt aus.

Während der Sowjetherrschaft von 1944 bis 1991 gab es in Estland keine freie Presse, allerdings gereichte den Esten ihre Nähe zu Skandinavien zum Vorteil – so konnte vor allem im Norden des Landes finnisches Fernsehen empfangen werden, welches sehr beliebt war.
Bereits Ende der 1980er Jahre entwickelte sich unter den Vorzeichen des Glasnost-Kurses eine neu erwachte und vielseitige Medienlandschaft. Der Eesti Ekspress war im September 1989 die erste politisch unabhängige Zeitung, die im sowjetisch regierten Estland erscheinen durfte. Quasi als Reflex auf die Zeit der Fremdherrschaft ist Pressefreiheit in Estland ein wichtiges und geschütztes Gut, dass heute häufiger im Konflikt mit persönlichen Rechten steht.

Anfang der 90er Jahre wurden große Teile der estnischen Medienlandschaft privatisiert, obwohl der Prozess langsamer vonstattenging als in größeren Ostblockstaaten, die für auswärtige Investoren zunächst profitabler erschienen. Nicht alle neugegründeten Unternehmen konnten sich etablieren, sodass es in dieser Phase zu einer starken Fluktuation und schließlich Zusammenschmelzung von Kanälen und Zeitungen kam. Der staatliche estnische Rundfunk wurde gründlich reformiert und fusionierte im Jahr 2007 aus Eesti Raadio und Eesti Televisioon zu Eesti Rahvusringhääling (ERR).

Estland setzte schon früh auf den konsequenten Ausbau des Internets, so hatte Ende der 90er bereits jede Schule einen Internetanschluss. Dem Onlinebereich kommt daher traditionell eine wichtige Bedeutung zu und die großen Zeitungen erreichen mittlerweile mehr Menschen mit ihren Online-Plattformen als mit gedruckten Exemplaren. Auch sonst setzt Estland auf Modernisierung – seit Juli 2010 kann der gesamte Rundfunk terrestrisch nur noch digital empfangen werden.

Wie in vielen kleinen europäischen Ländern ist auch in Estland eine zunehmende Konzentration in großen Medienkonzernen zu beobachten. Dem norwegischen Schibsted-Konzern und der AS Postimees Grupp gehören mehrere estnische Medienkanäle. Die estnische Ekspress Grupp ist ein weiterer große Player in der Medienlandschaft mit dem größten Anteil im Zeitungsgeschäft und dem wichtigsten Onlineportal. Weitere Großkonzerne sind das US-Unternehmen Providence Equity Partners und die estnische Sky Media.

Insgesamt ist der Medienmarkt in Estland in den letzten Jahren recht stabil, auch wenn es zu mehreren Fusionierungen von Konzernen und Verkäufen einzelner Rundfunksender und Zeitungen kam. So brachen die Leserzahlen der Zeitungen nicht – wie in einigen anderen Ländern – ein, sie gingen zugunsten der Onlineportale nur leicht zurück. Die Marktanteile in Fernsehen und Radio sind seit Jahren ziemlich stabil und auch die Nutzungsdauer liegt bei knapp unter vier Stunden täglich.

Fernsehen

Obwohl sich immer mehr Esten online informieren, bleibt der Rundfunk eine der zentralen Informationsquellen. Die größte Veränderung im TV-Sektor fand in den letzten Jahren im Bereich des Pay-TV statt und in der Etablierung neuer Themenkanäle, die besonders junge Zuschauer ansprechen.
Das estnische Fernsehen ist, wie in den meisten europäischen Ländern, von einem dualen System geprägt. Die zwei öffentlich-rechtlichen Programme Eesti Televisioon (ETV) und ETV2 stehen zahlreichen kommerziellen Sendern gegenüber. Finanziert wird der öffentlich-rechtliche Sektor nicht durch einen direkten Rundfunkbeitrag, sondern aus dem Staatshaushalt. Etwa 15% der Staatsausgaben für ETV werden von den estnischen Privatsendern für das exklusive Recht bezahlt, Werbung senden zu dürfen – ETV stoppte 2002 die Ausstrahlung von Werbung.

Öffentlich-rechtliches Fernsehen
ETV strahlte seine erste Sendung am 19. Juli 1955 aus und ist damit Estlands ältester Fernsehsender. Seit 1993 ist er vollwertiges Mitglied der European Broadcasting Union (EBU). Bis heute ist ETV Marktführer vor dem Privatsender Kanal 2. 16,8 Prozent der Fernsehsender-Sehzeit an der Gesamtsehzeit der estnischen Zuschauer entfielen im Januar 2022 auf den öffentlich-rechtlichen Sender. Bei Kanal 2 waren es hingegen lediglich 9,1 Prozent (siehe Abb. I). ETV2 wurde im August 2008 eingeführt, was mit den Olympischen Spielen des Jahres koinzidierte. Der Sender strahlt vor allem Sport, Nachrichten und Kindersendungen aus, hat mit einem Anteil von 3,3% allerdings eine eher geringe Einschaltquote.
Außerdem haben sich zeitweise zwei Regionalsender – Alo TV und Tallinna TV – etabliert. Ersterer sendet in der Region der Universitätsstadt Tartu, letzterer wurde 2011 von der Tallinner Stadtregierung gegründet, stellte den Betrieb im Oktober 2019 jedoch wieder ein.

Privatfernsehen
Kanal2 und TV3 sind die beiden erfolgreichsten Privatsender und neben ETV auch die zentralen TV-Sender des Landes. Kanal2 sendet seit 1993 und ist Teil des norwegischen Schibsted-Konzerns, dem auch einige der größten Zeitungen Schwedens, Norwegens, Spaniens und Frankreichs gehören. Der Kanal überträgt vor allem amerikanische, aber auch einige deutsche Serien und Eigenproduktionen.
TV3 startete sein Programm 1996 und gehörte lange Zeit zu Skandinaviens größtem Medienkonzern MTG (Modern Times Group), wurde 2017 jedoch schließlich an die Investmentgesellschaft Providence Equity Partners verkauft. Bis 2006 hatte TV3 regelmäßig höhere Einschaltquoten als der direkte Konkurrent Kanal2. Nachdem dieser allerdings einen radikalen Programmwechsel vornahm, ist er an TV3 vorbeigezogen.

Wie die meisten kleinen Länder synchronisiert das estnische Fernsehen keine Sendungen, sondern strahlt bei importierten Programmen im Original mit Untertiteln aus. Durch die Nähe zu Skandinavien und Russland werden auch viele auswärtige Sender empfangen. Bereits unter der Sowjetherrschaft wurde viel finnisches Fernsehen geschaut, sodass der Norden des Landes (wo der Empfang gut war) meist besser informiert war als der Rest der Sowjetunion.
Die russischsprachige Bevölkerungsgruppe macht mit etwa 25% heute die stärkste Minderheit in Estland aus und so ist es wenig verwunderlich, dass mehrere estnische Privatsender ihr Programm auf Russisch ausstrahlen – mitunter PBK (ein extra für Estland eingeführter Ableger des russischen Staatsfernsehens), NTV und REN TV. Auch das öffentlich-rechtliche ETV2 sendet Programmteile auf Russisch, trotzdem sieht der Großteil der Minderheit direkt russisches Fernsehen, das auch in Estland empfangen werden kann.

Die Anzahl von TV-Geräten in estnischen Haushalten steigt stetig an. In etwa einem Viertel der Haushalte gibt es bereits zwei Fernseher und 9% benutzen drei TV-Geräte. Weniger als 5% besitzen gar keinen Fernseher. Bereits seit 2010 kann estnisches Fernsehen terrestrisch nur noch digital empfangen werden.

Abb. I: Anteil der Fernsehsender-Sehzeit an der Gesamtsehzeit der estnischen Zuschauer (in %), Januar 2022

Quelle: Kantar Emor - Teleauditooriumi ülevaade jaanuaris 2022

Radio

Ebenso wie das Fernsehen stellten auch die estnischen Radiosender 2010 komplett auf digital um. 1992 nahm die erste private Radiostation Raadio Kuku ihren Sendebetrieb auf. Nachdem es Mitte der 90er Jahre dann zu inflationären Sendergründungen kam, scheint sich der Markt dahingehend auf hohem Niveau stabilisiert zu haben.

Das estnische Radio lässt sich heute in vier große Gruppen aufteilen: die öffentlich-rechtlichen Sender, die zur landesweiten Sendeanstalt Eesti Rahvusringhääling (ERR) gehören, die Programme der Sky Media Group, der AS Postimees Grupp und des US-Unternehmens Providence Equity Partners. Außerdem gibt es einige weitere landesweite und regionale Radiosender.
Der Großteil der Programme sendet auf estnisch, aber auch viele russischsprachige Sender sind etabliert. Etwa 70% der Programme werden auf estnisch ausgestrahlt und knapp unter 30% in russischer Sprache.

Marktführer ist der öffentlich-rechtliche Sender Vikerradio mit etwa 30% Anteil und einer Reichweite von über 300.000 Hörern (23% der Gesamtbevölkerung).
Zwei Drittel der Esten hören täglich Radio, wobei die Hördauer etwa 3 Stunden und 15 Minuten beträgt, was beinahe dem Fernsehkonsum entspricht. Fast alle estnischen Radiostationen haben sich auf Musik und Entertainment spezialisiert, nur zwei Sender (das beliebte Vikerraadio und Raadio Kuku) strahlen vor allem Kulturprogramme, Interviews und Nachrichten aus.

Presse

Pressefreiheit ist für Estland ein hohes im Grundgesetz verankertes Gut, weshalb das Land hier weltweit kontinuierlich einen der Spitzenplätze belegt.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa hat sich auch der estnische Printbereich privatisiert und einige alte Zeitungen wurden wiederbelebt, wie etwa die auflagenstärkste Tageszeitung Postimees (Postbote), die erstmals 1857 erschien und 1991 wiedergegründet wurde. Von 1948 bis 1990 war sie als die kommunistische Zeitung Edasi (Vorwärts) erschienen.
Die Zahl der Tageszeitungen in Estland hat seit Mitte der Neunziger Jahre durch Konzentration und Zusammenführungen abgenommen, während die Anzahl der Zeitschriften deutlich zunahm. Die Steigerung des Lebensstandards in Estland ließ zunächst vor allem neue Lebensstil- und Frauenzeitschriften erscheinen. Erst mit der Wirtschaftskrise von 2008 bis 2010 hat die Zahl der Zeitschriften wieder abgenommen.

Die wichtigsten estnischsprachigen Tageszeitungen sind Postimees (Auflage: ca. 60.000), Eesti Päevaleht (Estnische Tageszeitung – Auflage: ca. 30.000) und die Boulevardzeitung Õhtuleht (Abendblatt – Auflage: ca. 55.000). Alle Tageszeitungen mussten in den letzten Jahren einen leichten Rückgang an Lesern verzeichnen, während die (teils kostenpflichtigen) Onlineangebote der Zeitungen großen Zulauf haben. Das beliebteste Nachrichtenportal ist allerdings delfi.ee, das in jedem baltischen Land einen Ableger hat und Meldungen aus verschiedenen Printausgaben vereint.

Postimees gehört wie schon die drei Fernsehsender Kanal 2, 11 und 12 zum norwegischen Schibsted-Konzern, der noch fünf weitere Lokalzeitungen und neun Zeitschriften innehat – damit ist er einer der Hauptplayer auf dem estnischen Medienmarkt.
Eesti Päevaleht gehört zum estnischen Medienkonzern Ekspress Grupp , der auch die Wochenzeitung Eesti Ekspress vertreibt. Letztere war die erste politisch unabhängige Zeitung, die in der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik erschien – am 22. September 1989.
Õhtuleht gehört heute zu gleichen Teilen zur AS Eesti Ekspress Grupp sowie zu Eesti Meedia. Sie ist die größte Boulevardzeitung Estlands und liegt als zweitgrößte Tageszeitung nur knapp hinter Postimees. Õhtuleht etablierte, ähnlich wie andere estnische Zeitungen, ein Onlineportal. Was zunächst nur eine Kopie der Printausgabe war, hat sich mittlerweile in einen News-Stream mit großem Entertainmentanteil und über 150.000 Nutzern verwandelt.

Neben den estnischsprachigen Tageszeitungen gibt es einige in russisch erscheinende Zeitungen. Allerdings mussten sich 2009 zwei von ihnen auf den Onlinebereich beschränken, da die Verkaufszahlen im gesamten Zeitungsgeschäft konstant zurückgehen, was die auflagenschwachen Zeitungen zuerst zu Änderungen zwang. Allerdings erscheinen Postimees und die Wirtschaftszeitung Äripäev auch als russische Ausgabe. Außerdem gibt es drei russischsprachige (z.B. die Wirtschaftszeitung Delovye vedomosti) und auch eine englischsprachige Wochenzeitung (The Baltic Times).

Die auflagenstärkste estnische Wochenzeitung ist die vor allem an die Bevölkerung außerhalb der Städte gerichtete Maaleht (Landblatt). Sie erscheint bereits seit 1987 und gehört ebenfalls zur Ekspress Grupp. Mit einer Auflage von ca. 40.000 Stück erreicht Maaleht eine konstante Leserschaft von ungefähr 120.000 – ca. 10% der estnischen Bevölkerung.

Außerdem gibt es einige Lokalzeitungen und auch kostenlose Zeitungen, die sich über Werbung finanzieren. Eine Besonderheit auf dem estnischen Zeitungsmarkt ist die Kulturausgabe Sirp (Sichel), die von der staatlich finanzierten Stiftung Kultuurileht herausgegeben wird. Dennoch ist sie politisch unabhängig und berichtet in ihrer ausschließlich schwarz-weiß gehaltenen Ausgaben vor allem über Theater, Kino, Musik, Kunst, Literatur und Gesellschaft, die ca. 15.000 Leser erreicht.

Internet

Der Internetsektor ist der am schnellsten wachsende Bereich in der estnischen Medienindustrie. 2020 war die Internetnutzungsrate mit etwa 89% in Estland etwas höher als der EU-Durchschnitt mit 85%. Spätestens mit der Erfindung von Skype 2003 durch drei Esten war Estland als Vorreiter in der Internettechnik bekannt. Zwei Jahre später war es das erste Land weltweit, das Wahlen per Internet ermöglichte – seit 2011 kann sogar per SMS gewählt werden. Auch mit der frühen Digitalisierung des Rundfunks und den viel genutzten Onlineportalen der Zeitungen ist Estland europaweit weit vorn.
Seit der Etablierung von Online-Nachrichtendienste, die die Print-Pendants ergänzen sollen, verzeichnen diese große Erfolge. Bereits zu Beginn des Jahres 2010 konnten die Nutzerzahlen des Onlineangebots mit den verkauften Exemplaren von Postimees mithalten – der Internet-Traffic der Business-Zeitung Äripäev überschritt sogar schon damals die Zahl der Print-Auflage.

Allerdings wird immer wieder kritisiert, dass die Qualität in den Onlineredaktionen leidet; Pressemitteilungen werden teils ungeprüft übernommen und die Grenzen zwischen Qualitätsjournalismus und Boulevardberichterstattung verschwimmen.
Das beliebteste Nachrichtenportal ist delfi.ee, in dem News aus verschiedenen Foren kombiniert werden. Es gehört zur estnischen Ekspress Grupp und stellt hinter Google und YouTube des US-Konzerns Alphabet Inc. die am häufigsten besuchte Internetseite Estlands dar. Die Online-Präsenz der größten Tageszeitung postimees.ee ist mit einem fünften Platz im Oktober 2022 ebenfalls stark. Unter den Top 10 der estnischen Internetseiten befinden sich neben den bekannten Namen YouTube und Google vor allem viele estnische und russische Dienste. Besonders stark vertreten ist der Kreml-nahe Nachrichtendienst Rusvesna, der immerhin einen achten Platz mit 11.46 Mio Aufrufen aus Estland im Oktober 2022 erzielen konnte.

In Estland ist es sehr beliebt, in den Nachrichtenportalen Kommentare zu hinterlassen. So ist delfi immer wieder in Bezug auf Rede- und Meinungsfreiheit in den baltischen Staaten (Ableger gibt es in jedem der drei Länder) in der Diskussion. Einige Abgeordnete des litauischen und estnischen Parlaments haben gefordert, die Nutzer für ihre Kommentare haftbar zu machen. Dies ist bisher nur in Ausnahmefällen geschehen – so wurde 2003 eine Frau verhaftet, die gedroht hatte, den Eurovision Songcontest in Riga in die Luft zu sprengen.

Auch die Regierung macht sich das Internet zunutze – auf der Internetseite estonia.eu bezeichnet Estland sich selbst als „one of the most advanced e-societies in the world“. So sind fast alle Amtsgänge über das Internet möglich, ebenso wie Wahlen, Steuererklärungen oder auch die Gründung einer Firma. Ausgaben, die von der Regierung gemacht werden, können ebenfalls online einfach und in Echtzeit nachvollzogen werden.

Tab. I: Die meistbesuchten Internetseiten in Estland, Oktober 2022

Rang

Internetseite

Beschreibung

Aufrufe

1.

YouTube.com

Videoportal

47.01 Mio

2.

Google.com

Suchmaschine

43.81 Mio

3.

Delfi.ee

Nachrichten

16.95 Mio

4.

Forkids24.eu

Online-Handel

13.52 Mio

5.

Postimees.ee

Nachrichten

12.94 Mio

6.

Zonecloud.ee

Cloud-Dienst

12.78 Mio

7.

Bringit.ee

Lieferdienst

12.3 Mio

8.

Rusvesna.su

Nachrichten

11.46 Mio

9.

Freebitco.in

Kryptowährung

10.71 Mio

10.

Jaomix.ru

E-Book-Portal

10.66 Mio

Quelle: Similarweb.com

Regulierung

Estland hat in der relativ schnellen Entwicklung vom abhängigen Teil der Sowjetunion hin zur digitalen Gesellschaft oft sprunghaft reagiert was Mediengesetzgebung und Regulierung anbelangt. Insgesamt verhält sich die Regierung, bzw. das zuständige Kultusministerium meist passiv in der Marktregulierung, sodass Estlands Mediensektor eher von ökonomischen als von politischen Interessen geleitet wird.

Außer dem Rundfunkgesetz gab es lange kein spezielles Mediengesetz. Auf Drängen der EU wurde 2011 der Media Services Act eingeführt, der auch über den Rundfunk hinausreicht. Seitdem ist beispielsweise jeder Kanal verpflichtet mindestens 5% seiner Sendezeit an wenigstens sechs Sendetagen für selbstproduzierte Nachrichten zu reservieren (ausgenommen sind Feiertage). Der Onlinebereich wird demgegenüber vom Information Society Services Act reguliert.

Seit 2004 hat das Kultusministerium die Agentur TNS EMOR engagiert, um Werbezeiten und Quoten zu ermitteln. Die Regierung überprüft allerdings lediglich die Werbeminuten und schützt die Pressefreiheit, auf die Inhalte der Privatsender wird praktisch kein Einfluss genommen.
In Estland hat sich keine Trennung zwischen Rede- und Pressefreiheit etabliert, sodass Medien juristisch als schutzlose Sprecher behandelt werden, was Journalisten viele Freiheiten in ihrer Berichterstattung ermöglicht.

Die Kontrolle und Regulierung des Nationalfunks ERR ähnelt dem deutschen System der Landesrundfunkanstalten. Jede Parlamentsfraktion entsendet einen Vertreter in den Rundfunkrat, außerdem werden alle fünf Jahre vier Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft einbezogen.
Jeder ist prinzipiell berechtigt in Estland eine Sendestation zu gründen, allerdings ist eine Lizenz des regierungsunabhängigen Kommunikationsamts, das als Regulierungsbehörde fungiert, nötig.

Quellen/Literatur

  • Jõesaar, Andres: Estonia – Two New Legal Acts in the Media Field, 2011.
  • Kantar Emor: Teleauditooriumi ülevaade jaanuaris 2022, 2022.
  • Lauk, Epp/Shein, Hagi: "Das Mediensystem Estlands." In: Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg (Hrsg.): Internationales Handbuch Medien, Baden-Baden (2009), S. 273-293.
  • Mertelsmann, Olaf (Hrsg.): Central and Eastern European Media under Dictorial Rule and in the Early Cold War, Frankfurt/Main u.a. (2011).
  • Naaber, Meelis: The Media Landscape of Estonia. Konrad-Adenauer-Stiftung, 2011.
  • Psychogiopoulou, Evangelia (Hrsg.): Understanding Media Policies – A European Perspective, London (2012).
  • Similarweb: Tob-Website Ranking. The most visited internet sites, 2022.
  • The World Bank: Internet-Users in Estonia and Europe, 2020.

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