19. ARD

Umsatz 2011: € 6,221 Mrd.

Überblick

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Die ARD (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland) ist - noch vor der britischen BBC - das größte öffentlich-rechtliche Medienunternehmen der Welt. Seine Einnahmen aus Rundfunkgebühren und Werbung übersteigen die Budgets der meisten kommerziellen Medienkonzerne im klassischen Fernseh- und Hörfunkgeschäft. Doch ist es innerhalb des ARD-Konglomerats umstritten, ob der Zusammenschluss einzelner Landesrundfunkanstalten überhaupt als Unternehmen, im ökonomischen und im kulturellen Sinne, gilt. Die ARD verantwortet unter anderem das Vollprogramm Erstes Deutsches Fernsehen, das seit April 1996 unter dem Markenbegriff „Das Erste“ firmiert.

Basisdaten

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Hauptsitze (München und Berlin, Deutschland)

ARD-Programmdirektion
Arnulfstraße 42
80335 München
ARD-Programmdirektor Volker Herres
Telefon: 089-5900-01
Telefax: 089-5900-3249
Internet: www.daserste.de

ARD-Generalsekretariat Berlin
Masurenallee 8-14
14057 Berlin
Ltg: Dr. Michael Kühn, Bevollmächtigter des ARD-Vorsitzenden
Telefon: 030- 8904313-10
Telefax: 030- 8904313-19
Internet: www.ard.de
Email: kontakt(at)ard-gs.de

Branche: Fernsehen, Hörfunk, Online-Angebote, Merchandising
Rechtsform: nicht rechtsfähige, öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaft
Geschäftsjahr: 01.01. - 31.12.
Gründungsjahr: 1950 

Tab. I: Ökonomische Basisdaten
201320122011201020092008200720062005
Etat/Umsatz (in Mio. €)6.2846.2656.2216.2616.3316.1816.2886.2566.160
Planstellen20.74421.05220.67720.73620.22620.73620.97321.03720.979

Umsatz Werbefunk*

176,874184,393

Umsatz Werbe-TV*

137,549166,652

*Netto nach Skonti in Mio. €

Tab. II: Erträge bzw. Etats der Rundfunkanstalten (in Mio. €)¹

20132012201120102009200820072006Planstellen
2013²
Westdeutscher Rundfunk, Köln³1.3291.3451.3341.3451.3531.3421.3601.3494476,5
Südwestrundfunk, Stuttgart1.1381.1411.1401.1541.1511.1191.1351.1173631
Norddeutscher Rundfunk, Hamburg1.0731.0651.0541.0641.0831.0561.0661.0633449
Bayerischer Rundfunk, München9999869739741.0069569869833213
Mitteldeutscher Rundfunk, Leipzig6586576506476496366296542009
Hessischer Rundfunk, Frankfurt4784734744774814644764681722
Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin/Potsdam4083993943954053954034081467,5
Saarländischer Rundfunk, Saarbrücken110108110109109116116114559
Radio Bremen, Bremen*919192939497117100217
Gesamt628462656.2216.2616.3316.1816.2896.25620744
ZDF201120281.9932.0462.0461.9511.9591.9583.631
Deutschlandradio**218233214209212199198196710

¹Die Erträge beinhalten neben den Einnahmen aus den Rundfunkgebühren u.a. Werbe- oder sonstige Erlöse und teilweise auch Einnahmen aus dem ARD-Finanzausgleich.
²Die angegebenen Planstellen enthalten nicht die Stellen von ausgegliederten ARD-Gemeinschaftseinrichtungen wie beispielsweise ARD-aktuell oder die von ARD und ZDF getragenen Spartenkanäle Kinderkanal (Kika) und und Phoenix. Außerdem sind in den Zahnlen nicht die Stellen von Tochterfirmen der öffentlich-rechtlichen Sender wie etwa der ARD-Werbegesellschaften enthalten. Die einzelnen Sender haben nicht alle verfügbaren Planstellen auch tatsächlich besetzt. Die Stellenbesetzungsquote liebt zwischen 89 und 99 Prozent.
³Der signifikante Anstieg der Planstellen hängt damit zusammen, dass bei WDR seit August 2012 für das Gebäudemanagement nicht mehr eine WDR-Tochterfirma zuständig ist, sondern wieder der Sender selbst. Alle 242 Stellen der früheren WDR Gebäudemanagement GmbH (GMG) wurden damals der neu gegründeten WDR-Hauptabteilung Gebäudewirtschaft zugeordnet. Aus steuerlichen Gründen hatte der Sender die Zuständigkeit für das Gebäudemanagement wieder selbst übernommen. Da der WDR 2013 zugleich 44,5 Planstellen in anderen Bereichen abbaut, bleibt unter dem Strich ein Anstieg von 197,5 Stellen.
*Die geringe Anzahl der Planstellen geht vor allem darauf zurück, dass Radio Bremen seit April 2006 zahlreiche Bereiche - dazu zählen insbesondere die Technik- und Produktionsabteilungen für Hörfunk und Fernsehen - in Tochterfirmen ausgelagert hat. Zudem hat der NDR 2010 mehrere fest angestellte Mitarbeiter von Radio Bremen übernommen. Diese Mitarbeiter sind weiterhin für Radio Bremen tätig, sind aber Angestellte des NDR und werden auch von diesem Sender bezahlt. Auch durch dieses Kooperationsmodell reduzierte sich die Planstellenanzahl von Radio Bremen.
**Bei den angegebenen Planstellen handelt es sich um die vorraussichtliche Anzahl der Planstellen zum 31. Dezember 2013 und die Anzahl der Planstellen zum 31, Dezember 2012.

Quellen: für die Zahlen von 2006 bis 2009: ARD-Jahrbücher 2007, 2008, 2009 und 2010; für die Zahlen von 2010-2013: Funkkorrespondenz Nr. 51-52/09 (S. 2) vom 18.12.09, Nr. 3/11 (S. 2) vom 28.1.11, Nr. 5/12 (S. 2) vom 03.02.2012 sowie 7/13 (S. 2).

Geschäftsführung

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ARD-Vorsitz und -Geschäftsführung 2012/13:
Lutz Marmor, Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Rothenbaumchaussee 132, 20149 Hamburg
50667 Köln
Tel.: 040 4156-2021
Fax.: 040 4156-2005
Mail: intendanz(at)ndr.de
www.ndr.de  

Intendantinnen und Intendanten der ARD-Mitglieder:

  • WDR: N.N.
  • NDR: Lutz Marmor (Jahrgang 1954)
  • BR: Ulrich Wilhelm (Jahrgang 1961)
  • MDR: Prof. Dr. Karola Wille (Jahrgang 1959)
  • HR: Dr. Helmut Reitze (Jahrgang 1952)
  • SWR: Peter Boudgoust (Jahrgang 1954)
  • RBB: Dagmar Reim (Jahrgang 1951)
  • SR: Thomas Kleist (Jahrgang 1955)
  • Radio Bremen: Jan Metzger (Jahrgang 1956)

Geschichte und Profil

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Die ARD („Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“) wurde im Juni 1950 gegründet. Die Satzung der ARD benennt als Ziel der Arbeitsgemeinschaft unter anderem die „Bearbeitung gemeinsamer Fragen des Programms sowie gemeinsamer Fragen rechtlicher, technischer und betriebswirtschaftlicher Art“. Gründungsmitglieder waren der Bayerische Rundfunk, der Hessische Rundfunk, Radio Bremen, der Süddeutsche Rundfunk, der Südwestfunk, der später geteilte Nordwestdeutsche Rundfunk sowie mit beratender Stimme der RIAS Berlin. Analog zum föderalen Aufbau der Bundesrepublik (Kultur als Ländersache) wurde bei der ARD die Form einer nicht rechtsfähigen Arbeitsgemeinschaft auch deshalb gewählt, um sich von der Rolle des zentralisierten Propagandafunks der NS-Zeit deutlich abzugrenzen. Allerdings führte das Modell eines lockeren Zusammenschlusses von Rundfunkanstalten ganz unterschiedlicher Größe und volatiler politischer Verankerung auch zu aufwändigen bürokratischen Verfahren, neuen politischen Abhängigkeiten, Behördenmentalität und zu entsprechender Reaktionsschwäche im liberalisierten Medienmarkt.

Die Geschäftsführung der ARD wechselt im zweijährlichen Turnus. ARD-Vorsitzender ist der Intendant der jeweils geschäftsführenden Landesrundfunkanstalt. Daneben verfügt die ARD über eine zentrale Programmdirektion in München für die Koordination und Planung des Ersten Deutschen Fernsehens (Das Erste), dessen Chef lange Zeit als „König ohne Land“ galt. Denn er muss weitgehend abhängig von den Beschlüssen der Intendanten agieren. Dem von 1992 bis Oktober 2008 amtierenden ARD-Programmdirektor Günter Struve gelang es in zäher Kleinarbeit, die Stellung der Münchner Dependance zu stärken. Er zentralisierte das Marketing des Ersten und nahm wesentlichen Einfluss auf die gesamte Programmstruktur. Als Struves Leidenschaft galt der quantitative Erfolg des Ersten bei gleichzeitiger Wahrung eines öffentlich-rechtlichen Programmniveaus. Dabei musste sich er sich von Kritikern immer wieder vorwerfen lassen, dass er den Informationsanteil des Ersten zugunsten der Unterhaltung entkernt habe. Tatsächlich gibt es nur noch wenige auffällige Reportagen und Dokumentationen im Ersten, in der Primetime (20.00 bis 23.00 Uhr) tauchen sie fast gar nicht mehr auf. Die sechs ARD-Politmagazine haben ihre gesellschaftspolitische Funktion weitgehend verloren. Durch eine seit dem 1. Januar 2006 gültige Programmreform für das Erste wurde die Sendezeit dieser Magazine zudem von 45 auf 30 Minuten reduziert.

Am 26. November 2007 wählten die neun Intendanten der ARD-Landesrundfunkanstalten Volker Herres, Jg. 1957, zum neuen Programmdirektor der ARD. Herres, zuvor seit Mai 2004 Fernsehprogrammdirektor beim NDR, trat am 1. November 2008 die Nachfolge Struves an. Herres arbeitete in den folgenden zwei Jahren an einer Reform des ARD-Programmschemas am Abend. Diese Reform wurde von den Intendanten im November 2010 beschlossen. Sie trat im August/September 2011 in Kraft und bedeutet zum einen eine größere Vereinheitlichung der Anfangszeiten der ARD-„Tagesthemen“, die nun von montags bis donnerstags jeweils um 22.15 Uhr beginnen. Zum anderen erweiterte die ARD zum gleichen Zeitpunkt die Anzahl ihrer abendlichen Talksendungen von vier auf fünf. Dies ist dadurch bedingt, dass Günther Jauch von Anne Will im Ersten die Talkshow am Sonntag (21.45 bis 22.45 Uhr) übernommen hat, also den gewichtigsten Gesprächssendeplatz, den die ARD zu vergeben hat (siehe auch Kapitel „Aktuelle Entwicklungen“). Die Verpflichtung von RTL-Star Günther Jauch – erster großer Coup nach der Amtsübernahme von Herres – hatte die ARD im Juni 2010 bekannt gegeben. Jauch arbeitet weiterhin auch für RTL und moderiert bei dem Privatsender insbesondere die populäre Quiz-Show „Wer wird Millionär?“.

Mitte 2006 schuf die ARD als neue Stabsstelle ein Generalsekretariat, das in Berlin angesiedelt wurde und das alte, 1965 gegründete ARD-Büro in Frankfurt am Main ablöste. Die ARD wurde durch diesen Schritt auch medienpolitisch in der Hauptstadt präsent. Das Generalsekretariat ist dem alle zwei Jahre wechselnden ARD-Vorsitzenden direkt unterstellt, die Leitung des Generalsekretariats soll den ARD-Vorsitzenden in seiner Arbeit unterstützen. Laut Stellendefinition ist der Leiter bzw. die Leiterin des Generalsekretariats verantwortlich für die strategische Positionierung des Senderverbundes und die Interessenvertretung nach außen. Zugleich hat die Person, die das Generalsekretariat leitet, auch den stellvertretenden Vorsitz der ARD-Strategiegruppe. Sie hat zudem das Recht, an Sitzungen aller Kommissionen und Arbeitsgruppen des Senderverbundes teilzunehmen und mitzuwirken. Das gilt auch für Tochterunternehmen der ARD sowie für Sitzungen der Fernsehprogrammkonferenz und der ARD-politisch relevanten Gremien.

Geleitet wurde das Berliner Büro vom 1. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2011 von Verena Wiedemann, Jg. 1957, die zuvor Leiterin des ARD-Verbindungsbüros in Brüssel war. Wiedemann war von den Intendanten und Gremienvorsitzenden für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt worden. Im März 2011 war jedoch bekannt geworden, dass Wiedemann die Intendanten der neun ARD-Landesrundfunkanstalten vor dem Arbeitsgericht Berlin verklagt hat. Sie warf den Intendanten laut Presseberichten massives Mobbing vor und verlangte Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 100 000 Euro.

Wiedemanns Anwalt Hans-Georg Meier sprach bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht im März 2011 von „Ausgrenzung, Diskriminierung und Missachtung“ seiner Mandantin, die deswegen psychisch erkrankt sei und sich medizinisch behandeln lassen müsse. Wie der Anwalt weiter sagte, seien Wiedemann Kompetenzen entzogen worden. Sie habe letztlich dazu gebracht werden sollen, von sich aus die ARD zu verlassen, weil dies für den Senderverbund kostengünstiger sei. Die ARD hat die Anschuldigungen zurückgewiesen: „Behauptungen einer Ausgrenzung, Diskriminierung und Missachtung sind für die ARD nicht nachvollziehbar und aus der Luft gegriffen.“ Wiedemann war seit Dezember 2010 krankgeschrieben und hatte Ende Juni 2011, als ihr jetziger Vertrag auslief, das Angebot der ARD abgelehnt, für weitere fünf Jahre Generalsekretärin zu bleiben. Ihr Nachfolger wurde Dr. Michael Kühn.

Die ARD unterhält weitere Zentraleinrichtungen wie die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) in Köln, die in Frankfurt am Main ansässige Degeto Film GmbH (für die ARD-Fernsehfilmproduktion, den Rechtehandel mit diesen Filmen und für Produktionsbeteiligungen), das in Potsdam und Frankfurt am Main angesiedelte Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) und die Zentrale Fortbildung der Programm-Mitarbeiter (ZFP; zusammen mit dem ZDF). Die Redaktion ARD-aktuell hat ihren Sitz beim NDR in Hamburg; mit rund 200 Mitarbeitern erstellt sie die aktuellen TV-Nachrichtensendungen („Tagesschau“, „Tagesthemen“, „Nachtmagazin“, „Wochenspiegel“). Ansonsten gilt bei der ARD das föderale Prinzip. Federführung haben bei senderübergreifenden Projekten jeweils einzelne Landesrundfunkanstalten, etwa bei Übertragungen großer Sportereignisse.

Die Fernseh- und Radioprogramme der ARD waren und sind ein wesentlicher kultureller und gesellschaftlicher Faktor in der Geschichte der Bundesrepublik. Nationale Wirkungen erzielten ab den 1960er Jahren Politikmagazine wie "Panorama“, vom NDR nach BBC-Vorbild geschaffen, oder „Monitor“ vom WDR, zeitkritische Fernsehspiele von Regisseuren wie Egon Monk, Peter Beauvais, Eberhard Fechner oder Heinrich Breloer, die „Stuttgarter Schule“ des dokumentarischen Fernsehens, Unterhaltungssendungen mit Hans Joachim Kulenkampff und Rudi Carrell. Da sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den 1950er Jahren in vielen Redaktionen zu einem Sammelplatz der kritischen Intelligenz entwickelt hatte, galt der ARD-Verbund schon für die seinerzeitige Adenauer-Administration als suspekt und linkslastig. Ende der 1950er Jahre versuchte Kanzler Konrad Adenauer (CDU), mit dem Projekt eines „Freien Fernsehens“, einer Mischung aus Staats- und kommerziellem TV, das ARD-„Monopol“ zu brechen. Mit dem sogenannten „Fernsehurteil“ stoppte das Bundesverfassungsgericht 1961 die Adenauer-Pläne. Vom Juni 1961 bis Ende März 1963 wurde täglich etwa 150 Minuten lang ein zweites ARD-Programm ausgestrahlt, bis am 1. April 1963 das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) als zusätzlicher bundesweiter Sender seinen Programmbetrieb aufnahm. Am 22. September 1964 startete der Bayerische Rundfunk ein bildungs- und kulturorientiertes Drittes Fernsehprogramm. Diesem Modell folgten schrittweise alle ARD-Landesrundfunkanstalten. Ein gemeinsames Drittes Programm veranstalteten der NDR und Radio Bremen sowie zum Teil der SWR und der Saarländische Rundfunk.

Im Verlauf des Bundestagswahlkampfs 1976 wurde dem ARD-Fernsehen seitens der CDU/CSU (im Verbund mit der publizistikwissenschaftlichen „Mainzer Schule“ der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann) vorgeworfen, die Wahlen zum Nachteil der Unionsparteien beeinflusst zu haben. Danach nahm der politische Druck auf die ARD, deutlich sichtbar im Einfluss auf wichtige Personalentscheidungen, ständig zu. Unter der Ägide von Bundeskanzler Helmut Kohl und des seinerzeitigen Postministers Christian Schwarz-Schilling (beide CDU) wurden seit 1984 auch in der Bundesrepublik private Fernseh- und Hörfunkangebote zugelassen. Wie sich zeigen sollte, tangierte diese Entwicklung nachhaltig das Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Trotz großzügiger Finanzausstattung sah sich das ARD-Management, auf die neuen Marktverhältnisse nur unzureichend vorbereitet und politisch, ökonomisch und medienkulturell bedroht.

Im Januar 1995 schlugen die Ministerpräsidenten Sachsens und Bayerns, Kurt Biedenkopf (CDU) und Edmund Stoiber (CSU), in einem aufsehenerregenden Papier die Abschaffung des Ersten Deutschen Fernsehens und eine Reduktion der ARD auf größere Landessender mit nur noch Regionalfernseh- und Hörfunkprogrammen vor, falls die ARD nicht intensive Rationalisierungsmaßnahmen einleite. Die ARD kam den Forderungen nach. Aus den bis dahin elf Landesrundfunkanstalten wurden neun. 1998 wurden der Südwestfunk (SWF) und der Süddeutsche Rundfunk (SDR) zum Südwestrundfunk (SWR) zusammengelegt; am 1. Mai 2003 entstand aus der Fusion von Sender Freies Berlin (SFB) und Ostdeutschem Rundfunk Brandenburg (ORB) die neue Zwei-Länder-Anstalt Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Politische Angriffe auf die Existenz und Grundstruktur der ARD fanden danach nicht mehr statt.

Seit der öffentlich-rechtliche Rundfunk ab 2006/07 seine Angebote verstärkt auch via Internet zugänglich macht, steht die ARD (wie auch das ZDF) im Zentrum heftiger Kritik vor allem seitens der Verleger, die hier eine Wettbewerbsverzerrung sehen. Sie fordern, dem gebührenfinanzierten Rundfunk müssten für sein Online-Engagement deutliche Grenzen gesetzt werden, da ansonsten das privatwirtschaftliche Geschäftsfeld der Verlage in seiner Existenz bedroht sei (siehe auch Kapitel Aktuelle Entwicklungen).

Management

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Die Stelleninhaber bei der ARD sind fast ausschließlich durch Hausberufungen auf ihre Posten gelangt. Der Umbruch des deutschen Fernsehmarkts in den 1980er Jahren führte eher zu hoheitlichen Deklamationen und Wagenburg-Mentalitäten als zu einer handlungsorientierten Selbstreflexion. Der Abbau des aufgeblähten ARD-Verwaltungsapparats wurde nur zögerlich angegangen. Ebenso langsam setzte sich ein Bewusstsein für Marketing und Public Relations durch. Alle ARD-Führungspositionen wurden bislang nach politischer Couleur und interner Bewährung vergeben. In die Intendanzen zog 2003 mit RBB-Intendantin Dagmar Reim erstmals eine Frau ein. Seit April 2007 ist die einstige WDR-Hörfunkdirektorin Monika Piel die zweite Frau innerhalb der neunköpfigen ARD-Führungsriege. Piel ist als WDR-Intendantin Nachfolgerin von Fritz Pleitgen. Am 1. Januar 2011 wurde der WDR geschäftsführende Anstalt der ARD und somit Monika Piel als erste Frau in der 60-jährigen Geschichte des Senderverbundes ARD-Vorsitzende.

Beim Bayerischen Rundfunk in München übernahm am 1. Februar 2011 Ulrich Wilhelm das Intendantenamt von Thomas Gruber. Wilhelm, Mitglied der CSU, war von November 2005 bis Juli 2010 Chef des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung und Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der BR-Rundfunkrat hatte Wilhelm am 6. Mai 2010 zum Intendanten gewählt. Er erhielt dabei 40 von 44 abgegebenen Stimmen. Wilhelm, geboren am 8. Juli 1961, ist nun der jüngste der neun ARD-Intendanten. Dass, wie beim BR geschehen, der Intendant eines öffentlich-rechtlichen Senders direkt aus dem Umfeld einer Bundesregierung rekrutiert wurde, ist eine in dieser Form noch nie da gewesene Konstellation im deutschen Rundfunk nach 1945. Wilhelm war von 1999 bis 2003 auch Pressesprecher des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und der bayerischen Staatsregierung.

Geschäftsfelder

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Fernsehen – Fernsehformate:
Für ihre Informationsberichterstattung verfügt die ARD über das größte Auslandskorrespondentennetz der Welt (rund 90 Korrespondenten in über 30 Metropolen), die dem Ersten und auch den Dritten Programmen für ihre Informationssendungen zuarbeiten. Führende Marken der ARD sind die Nachrichtensendungen „Tagesschau“ und „Tagesthemen“. Außerdem zählen die Krimireihe „Tatort“, die ARD-„Sportschau“ mit Zusammenfassungen von der Fußball-Bundesliga, abendliche Serien wie „In aller Freundschaft“ oder „Um Himmels Willen“ und Soap Operas wie „Lindenstraße“ oder „Verbotene Liebe“ zu den bekannten Marken im Ersten. „Marienhof“ war 2005 durch einen Schleichwerbeskandal bei der ARD-Tochter Bavaria Film, die diese Vorabend-Soap produziert, in Misskredit geraten. Im Dezember 2010 gab die ARD bekannt, dass „Marienhof“ im Frühjahr 2011 wegen eines deutlichen Quotenrückgangs mit der dann 4053. Folge beendet werde.
Mehr als alle anderen Sender versuchte sich die ARD in den vergangenen Jahren mit Talkshows zu profilieren. An den verschiedenen Wochentagen sind im Ersten inzwischen inzwischen fünf abendliche Talkformate im Programm, jeweils eines am Sonntag, am Montag, am Dienstag, am Mittwoch und am Donnerstag (siehe Kapitel „Aktuelle Entwicklungen“).

Zum großen Erfolg wurde es für die ARD, dass sie sich 2010 zur Ermittlung des deutschen Beitrags für den Eurovision Song Contest (ESC) mit dem Privatsender und dessen Entertainer Stefan Raab zusammentat. Lena Meyer-Landrut, die beim Vorentscheid „Unser Star für Oslo“ (ARD/Pro Sieben) von den Fernsehzuschauern zur deutschen Vertreterin gewählt wurde, gewann mit ihrem Lied „Satellite“ anschließend in der norwegischen Hauptstadt den Eurovision Song Contest und holte am 29. Mai 2010 erstmals seit 1982 den Sieg wieder nach Deutschland. Jenseits von Fußballübertragungen von der WM und der EM-Qualifikation war im deutschen Fernsehen die Live-Ausstrahlung der ESC-Show mit durchschnittlich 14,73 Millionen Zuschauern (Marktanteil: 49,0 Prozent) die erfolgreichste Sendung des Jahres 2010. „Satellite“ wurde ein internationaler Hit, die 19-jährige Lena stieg kometenhaft zu einem Star der Popmusik auf. Im Jahr 2011 richtete die ARD mit dem NDR als verantwortlichem Sender den Eurovision Song Contest aus: Beim Finale am 14. Mai in Düsseldorf gewann das Duo Ell und Nikki aus Aserbaidschan mit dem Lied „Running Scared“.

Verloren hat das Erste Entertainer Harald Schmidt. Im Mai 2011 endete seine gleichnamige Late Night Show im Ersten. Danach war er (ab dem 13. September 2011) mit seiner „Harald Schmidt Show“ zweimal wöchentlich wieder bei Sat.1 zu sehen, wo er bereits von Dezember 1995 bis Dezember 2003 auf Sendung war. Nach einem knappen Jahr Pause war Schmidt dann Ende 2004 zur ARD zurückgegangen. (Beim zweiten Anlauf bei Sat.1 scheiterte Schmidt mit seiner Late Night Show, sie wurde Anfang Mai 2012 nach nur einer Saison wegen mangelnder Quoten wieder aus dem Programm genommen. Jetzt wird sie beim Pay-TV-Sender Sky fortgesetzt.) Im Jahr 2010 verließen auch der Showmaster Jörg Pilawa und der Kabarettist Frank-Markus Barwasser die ARD. Beide wechselten zum öffentlich-rechtlichen Konkurrenten ZDF.

Fernsehen – Fußballprogramm:
Die attraktive Erstberichterstattung über die Fußball-Bundesliga im Free-TV konnte die ARD ab der Saison 2003/04 überraschend für ihre „Sportschau“ (samstags) zurückerobern, nachdem mehrere Jahre lang die kommerzielle Konkurrenz – zunächst RTL und dann Sat 1 – die Rechte besessen hatte, die den Privatsendern jedoch zu teuer wurden. Die ARD sicherte sich wieder die Rechte und zahlte dafür in den ersten drei Jahren pro Saison (2003/04, 2004/05, 2005/06) rund 60 Mio. Euro. Die hohe Zuschauerakzeptanz der Bundesliga-„Sportschau“ am Samstagabend (18.45 bis 19.55 Uhr) bestärkte die ARD in ihrer Strategie, hier am Ball zu bleiben. Ende 2005 konnte sich die ARD die Bundesliga-TV-Rechte für die nächsten drei Spielzeiten sichern (2006/07, 2007/08, 2008/09). Der Preis dafür betrug 95 Mio Euro pro Saison.

Der ARD gelang es, auch anschließend weiterhin die Free-TV-Rechte für zusammenfassende Spiele in der Samstag-„Sportschau“ zu behalten. Im November 2008 vergab die Deutsche Fußball-Liga (DFL) diese Rechte erneut an die ARD. Der Vertrag läuft seither erstmals über einen Zeitraum von vier (statt drei) Jahren und erstreckt sich somit auf die Spielzeiten 2009/10, 2010/11, 2011/12 und 2012/13. Die ARD erhielt außerdem – eine überraschende Veränderung – auch den Zuschlag für die zusammenfassende Berichterstattung über die beiden Erstliga-Begegnungen am Sonntag. Diese Rechte besaß bis zum Ende der Saison 2008/09 der Privatsender Deutsches Sportfernsehen (DSF, inzwischen in Sport 1 umbenannt). Das gesamte und erweiterte Bundesliga-Rechtepaket kostet die ARD rund 100 Mio Euro pro Saison und damit unwesentlich mehr als zuvor. Über die beiden Sonntagsspiele kann die ARD seither ab 21.45 Uhr berichten. Zusammenfassende Berichte von den Bundesliga-Begegnungen am Sonntag werden in den „Tagesthemen“ gezeigt und in speziellen Sendungen der Dritten Programme.

Dass die ARD die Bundesliga-TV-Rechte in der jetzigen Form erhielt, hat sie auch rundfunkregulatorischen Umständen zu verdanken. Denn ursprüngliche hatte die Deutsche Fußball-Liga für 2009 bis 2013 schon Leo Kirch den Zuschlag gegeben. Doch das Vermarktungskonzept, das die DFL und die von Kirch kontrollierte Firma Sirius Sport Media planten, war vom Bundeskartellamt im Juli 2008 mit einer Aufsehen erregenden Entscheidung abgelehnt worden. DFL und Sirius wollten eine zusammenfassende Berichterstattung von den Samstagsspielen der Ersten Liga im frei empfangbaren Fernsehen erst ab 22.00 Uhr zulassen, was das Kartellamt als einen zu späten Zeitpunkt einstufte. Die Wettbewerbsbehörde stellte klar, dass eine solche „Highlight-Berichterstattung“ im Free-TV bis 20.00 Uhr abgeschlossen sein müsse. Damit war einem Milliardenvertrag zwischen DFL und Sirius die Grundlage entzogen. Ende September kündigte die DFL daher ihren Kontrakt mit Sirius, der eine Garantiesumme von 500 Mio Euro pro Saison aus dem Verkauf der Übertragungsrechte für die nächsten sechs Jahre ab Mitte 2009 vorgesehen und damit den Klubs insgesamt 3 Mrd. Euro eingebracht hätte. (Die Bundesliga-Exklusivrechte im Pay-TV hält bis Mitte 2013 weiterhin der Sender Sky – vormals: Premiere –, der alle Spiele der Ersten und Zweiten Bundesliga live überträgt.)

Dritte Programme:
Die Dritten Programme sind in den 1980er Jahren sukzessive zu Vollprogrammen ausgebaut worden, die meisten werden über Kabel und Satellit und mittlerweile zusätzlich im Internet  auch bundesweit verbreitet. Ihren ursprünglichen Charakter als Experimentierfeld und formelle Bildungsinstitutionen haben die Dritten nahezu vollständig verloren. In den zurückliegenden Jahren haben sie dafür das Regionale als ihre eigentliche Stärke entdeckt, die ihnen hervorragende Einschaltquoten garantiert. Zum Teil, aber nur noch sehr selten, werden die Dritten Programme auch als Experimentierfläche für neue Formate genutzt, die im Erfolgsfall ins Erste Programm wechseln können.

Sonder-TV-Engagements:
Ihren 1986 gestarteten Kulturfernsehkanal Eins plus gab die ARD Ende November 1993 auf und beteiligte sich stattdessen mit 30 % am von ZDF, ORF (Österreich) und SRG (Schweiz) betriebenen Gemeinschaftsprojekt 3sat, dem internationalen deutschsprachigen Kulturfernsehen. Seit 1992 ist die ARD zudem mit 25 % am in Straßburg angesiedelten deutsch-französischen Kulturfernsehkanal Arte beteiligt (25 %: ZDF, Arte France 50 %). 1997 starteten die beiden öffentlich-rechtlichen Spartenfernsehprogramme Phoenix und KIKA. Phoenix ist ein sogenannter Ereignis- und Dokumentationskanal und hat seinen Sitz in Bonn. Beim KIKA handelt es sich um den unter MDR-Federführung in Erfurt angesiedelten Kinderkanal. An diesen beiden Sendern sind ARD und ZDF mit je 50 % beteiligt.

Digitale Sender:
Im digitalen Zeitalter wird bei ARD und ZDF das Spartenfernsehen als notwendiges Angebot im Gesamtbouquet betrachtet, allein um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. So verfügt die ARD seit Ende August 1997 über drei via Kabel und Satellit digital verbreitete Spartenkanäle: Eins Plus (Ratgeber- und Servicekanal, am Hauptabend jugendaffines Programm; SWR), Eins Festival (Schwerpunkt Kultur; WDR) und Tagesschau 24 (bis zum 30. April 2012: Eins Extra; Infokanal; NDR). Das digitale (Zusatz-)Angebot kann aber erst dann von einem größeren Publikum wahrgenommen werden, wenn die digitale Terrestrik (DVB-T) und die anderen digitale Empfangstechniken stärker verbreitet sein werden. Bisher können erst 48 Prozent der deutschen TV-Haushalte diese Digitalangebote nutzen (Stand: Mai 2011). Da in den digitalisierten Haushalten wiederum eine umso größere Vielzahl von gegeneinander konkurrierenden Sendern zu empfangen ist, kommen die drei ARD-Spartenprogramme bisher über eine marginale Wahrnehmung (unterer 0,x-Bereich) nicht hinaus.
 
Radio:
Die neun ARD-Landesrundfunkanstalten betreiben über 50 Hörfunkprogramme. Die Radiowellen aller ARD-Anstalten sind heute über die „Zielgruppe“ und die „Musikfarbe“ definiert (Jugendwelle, Kulturradio, Mainstream-Programm, Wortradio, Nachrichtensender). Eine Besonderheit in diesem Spektrum bildeten längere Zeit zwei sogenannte Integrationsprogramme: Radio Multikulti (RBB) und Funkhaus Europa (WDR mit Radio Bremen), zwei Angebote, mit denen die Sender dem gesellschaftlichen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in besonderer Weise nachkommen wollen. Zum Jahresende 2008 kam jedoch – trotz zahlreicher Proteste gegen diese Maßnahme – das Aus für Radio Multikulti: Der RBB sah sich auch wirtschaftlichen Gründen gezwungen, das Programm einzustellen. Der WDR, größte Anstalt der ARD, verfügt allein über sechs UKW-Radiowellen, wobei beim erfolgreichen Jugendprogramm Eins Live erstmals jeder Hinweis auf den Muttersender vermieden wurde. Das WDR-Image wurde für junge Zielgruppen als ungünstig angesehen. Statt Radio Multikulti, das 1994 gegründet worden war, ist im Berliner Sendegebiet des RBB als Ersatz nun auch das WDR-Programm Funkhaus Europa zu hören. Alle ARD-Sender bieten einen Teil ihrer Hörfunkprogramme inzwischen auch über Internet an. Teilweise gibt es auch erste speziell für das Internet geschaffene Hörfunkangebote (etwa 1Live diggi vom WDR). Des Weiteren ist ein Teil der ARD-Radiowellen über die neue Digitaltechnik DAB plus zu empfangen.

Im Jahr 2009 gab es während des Sommers im Hörfunkbereich erstmals das „ARD-Radiofestival“. Unter diesem Label strahlen die Kulturwellen der ARD seither jedes Jahr von Mitte Juli bis Mitte September acht Wochen lang täglich von 20.05 bis 0.00 Uhr ein gemeinsames Musik- und Wortprogramm aus. Diese Zentralisierung wurde als programmverflachende Sparmaßnahme kritisiert. So hieß es seitens des Verlags der Autoren und des Deutschen Kulturrats 2009, der neue Schwerpunkt „ARD-Radiofestival“ führe zu einer Vereinheitlichung der Programme. Denn es entfielen deswegen Hunderte Stunden Wortprogramm bei den einzelnen Kulturwellen. Der Verband der Hörspielregisseure (VdHR) schloss sich dieser Kritik an und beklagte einen „radikalen Einschnitt in die Vielfalt des Kulturprogrammangebots der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“. Der VdHR sprach von einem „Systembruch“ mit entsprechenden Auswirkungen für die Zukunft wie Programmkürzungen, Verlust an Kreativität, an Vielfalt und Qualität. Dass die ARD ihre Kulturradiowellen im Sommer zusammenschaltet, steht bis heute öffentlich in der Kritik.

Aktuelle Entwicklungen

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Als die ARD Mitte Juni 2007 ihre Digitalstrategie publizierte, stießen ihre Pläne, die Aktivitäten im Online-Bereich und bei den digitalen Angeboten deutlich auszubauen, auf heftige Proteste der privaten Konkurrenz. Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) und besonders die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger attackieren die ARD (und zum Teil auch das ZDF) seither regelmäßig. Der Streit dauert weiterhin an und ging bis vors Gericht. Es geht dabei um die Frage, in wieweit der öffentlich-rechtlich Rundfunk im Rahmen seines Grundversorgungsauftrags seine Angebote auch auf das neue Verbreitungsmedium Internet ausdehnen darf. Die Printverlage und die kommerziellen Sender wollen das Webterrain möglichst umfassend für sich als Geschäftsfeld beanspruchen. Deshalb fordern sie von der Politik, den durch das „Gebührenprivileg“ finanzierten Sendern enge gesetzliche Grenzen für deren Online-Engagement zu setzen.

Grundsätzlich sind die öffentlich-rechtlichen Sender durch ein eigentlich die Rundfunkgebührenfestsetzung betreffendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. September 2007 gestärkt worden: Die Richter sprachen der ARD – wie auch dem ZDF und dem Deutschlandradio – das Recht zu, dass sie an der technischen Entwicklung im Rahmen ihres Programmauftrags teilhaben dürfen. Das heißt, sie dürfen in diesem Zusammenhang nicht vom Internet ausgeschlossen werden. Die private Konkurrenz warnte daraufhin vor einer marktgefährdenden Expansion der Öffentlich-Rechtlichen. Die ARD wies demgegenüber darauf hin, dass sie im Online-Bereich keine neuen Angebote schaffen, sondern nur bestehende ausbauen und für den neuen Übertragungsweg zugänglich machen wolle. Es entwickelte sich in der Folgenzeit eine heftige Kontroverse darüber, was den öffentlich-rechtlichen Sendern künftig konkret im Internet erlaubt sein sollte. Die Verlage agierten dabei mit dem Kampfbegriff „elektronische Presse“, die unrechtmäßig zu veranstalten sie den gebührenfinanzierten Sendern vorwarfen.

Nach langwierigen Beratungen unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Bundesländer Ende 2008 eine Rundfunknovelle: Mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurden auf Basis des sogenannten Beihilfekompromisses zwischen Deutschland und der Europäischen Kommission die neuen Regelungen für das Internet- bzw. digitale Engagement von ARD, ZDF und Deutschlandradio eingeführt. Die Novelle trat am 1. Juni 2009 in Kraft. Der Staatsvertrag schuf für die Sendeanstalten im Online-Bereich (Telemedien) zahlreichen Beschränkungen. Dadurch sollen die Verlage vor übermäßiger Konkurrenz geschützt werden. So dürfen die öffentlich-rechtlichen Anbieter im Internet zum Beispiel ihre Fernseh- und Hörfunksendungen generell nur bis zu einer Dauer von sieben Tagen nach deren Ausstrahlung zugänglich machen (wobei es einige Ausnahmeregelungen gibt). Nach der Sieben-Tage-Frist müssen sie ihre Inhalte wieder aus dem Netz entfernen. Dies schuf für den öffentlich-rechtlichen Rundfunkbereich das völlig neue Arbeitsfeld des Depublizierens – also gleichsam eine „journalistische“ Zwangspraxis, die man eigentlich eher in autokratischen Staaten verorten würde. Eine weitere eingrenzende Vorschrift für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten: Sie dürfen im Internet nur sendungsbezogene Angebote betreiben, nicht-sendungsbezogene Beiträge sind für sie verboten.

Zudem schrieb der neue Rundfunkstaatsvertrag als zentrales Element sogenannte Drei-Stufen-Tests vor. Mit diesen aufwändigen Prüfverfahren mussten bis Ende August 2010 alle bereits bestehenden Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender geprüft werden. Die ARD hatte anschließend rund 35 Drei-Stufen-Tests zu absolvieren. Dies geschah unter der Verantwortung der Rundfunkräte der Landesrundfunkanstalten, wobei die Gremien in großem Umfang kostenpflichtige Prüfauftrage an externe Gutachter vergaben. Bis auf ein Verfahren beim NDR, das etwas später beendet wurde, wurden alle Verfahren bis Juli 2010 abgeschlossen. Ein Ergebnis war zwar, dass die ARD nach eigenen Angaben über 100.000 einzelne Dokumente aus dem Internet löschen musste. Doch am Ende wurden im Grundsatz sämtliche bestehenden Online-Angebote der ARD relativ problemlos genehmigt. Das wurde von Kritikern zwar als bescheidenes Ergebnis eines fast megaloman anmutenden bürokratischen Verfahrens bezeichnet, seither aber stehen die Telemedien-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender auf rechtlich gesichertem Boden.

Im Folgenden verlagerte sich der Angriffspunkt der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger auf die spezielle Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Internet-Angebote auch über sogenannte Apps (Applikationen) auf mobilen Endgeräten mit Webfunktion (Smartphones, Tablet-Computer) verbreiten dürfen. Auch darin sieht die Printbranche – die hier von einigen verlagsaffinen Politikern unterstützt wird – erneut eine Wettbewerbsverzerrung, da kostenlose ARD-Apps das Bemühen der Zeitungen und Zeitschriften torpedierten, mit ihren Anwendungen Geld zu verdienen. Die ARD verwies darauf, dass die Nutzer die neuen öffentlich-rechtlichen Angebote bereits über ihre Rundfunkgebühren mitfinanziert hätten und deshalb keine Extrakosten dafür verlangt werden könnten. Am 21. Dezember 2010 startete die ARD ihre „Tagesschau“-App für Smartphones und Tablet-PCs. Sie bietet einen einfacheren Zugang auf die Inhalte des Portals tagesschau.de an. Über die App sind dabei nur Inhalte erhältlich, die ohnehin schon im Angebot von „tagesschau.de“ enthalten sind, darunter die „Tagesschau in 100 Sekunden“.

Der Protest der Verleger an der „Tagesschau“-App hatte sich entzündet, nachdem der in diesem Fall federführende NDR Ende Dezember 2009 offiziell ankündigte, diesen neuen ARD-Service einzurichten. Zuvor gab es bereits seit längerer Zeit Apps für die kompletten Hörfunkangebote beispielsweise von WDR, NDR, SWR und BR. Als diese gestartet worden waren, hatte es von keiner Seite auch nur den geringsten Protest gegeben. Am 14. Januar 2011 startete der WDR eine kostenlose „Sportschau“-App für Smartphones. Diese Applikation biete all das, was schon bisher unter sportschau.de abrufbar sei, betonte WDR-Intendantin Monika Piel, zusätzliche Inhalte gebe es nicht. Der WDR hat innerhalb der ARD die redaktionelle und produktionstechnische Verantwortung für die „Sportschau“.

Die Verlage verschärften ihren Kampf gegen die Internet-Strategie der ARD, indem sie dagegen auch juristisch vorgehen: Am 21. Juni 2011 haben acht Zeitungshäuser bei der Wettbewerbskammer des Landgerichts Köln eine gemeinsame Wettbewerbsklage gegen die „Tagesschau“-App eingereicht. Mit der Klage wende man sich, wie der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) am selben Tag mittelte, „gegen die textdominante Berichterstattung in der ‘Tagesschau‘-App ohne jeglichen Sendungsbezug“. Hörfunk- und fernsehähnliche Inhalte, die über die App abrufbar seien, würden nicht angegriffen, so der Verband. „Die Ministerpräsidenten schauen untätig zu, wie mit Gebührengeldern umfänglich Pressetexte geschrieben und digital verbreitet werden. Es bedarf in Deutschland aber keiner staatsfinanzierten Presse“, erklärte BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff. Der BDZV unterstützt den juristischen Vorstoß der Zeitungshäuser. Bei den acht klagenden Verlagen handelt es sich um die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, die Axel Springer AG (Berlin), die Süddeutsche Zeitung GmbH (München), die Rheinische Post Verlagsgesellschaft (Düsseldorf), die WAZ-Mediengruppe (Essen), Lensing Medien (Dortmund), M. DuMont Schauberg (Köln) und die Medienholding Nord (Flensburg). Deren Klage richtet sich gegen die ARD und den NDR, der die Gemeinschaftseinrichtung ARD-aktuell betreibt, die für die „Tagesschau“-App zuständig ist.

Am 13. Oktober 2011 kam es vor der 31. Kammer des Landgerichts Köln zu einer ersten mündlichen Verhandlung in Sachen „Tagesschau“-App (Az.: 31 O 360/11). Vorläufiges Ergebnis war, dass das Gericht die Parteien zu außergerichtlichen Gesprächen aufforderte. Dabei solle erörtert werden, „ob und gegebenenfalls wie der Auftritt in der "Tagesschau"-App etwas anders gestaltet werden könnte“, um so möglicherweise zu einer außergerichtlichen Einigung zu kommen. In der Verhandlung in Köln stellte das Gericht nicht in Frage, dass auch in der „Tagesschau“-App Texte enthalten sein dürfen. Die Kammer sah sich dabei allerdings nicht in der Lage, die konkreten Klagepunkte zu verhandeln, und forderte die Verlage auf, ihren Klageantrag zunächst einmal zu überarbeiten und zu präzisieren. Letztlich hielt das Gericht die Klage in der vorliegenden Form nicht für entscheidungsreif. Die außergerichtlichen Gespräche der beiden Parteien führten in den folgenden Monaten jedoch zu keinem Konsens, so dass es am 19. Juli 2012 vor dem Kölner Landgericht zu einer zweiten Verhandlung kam. Doch auch hier kam es zu keiner juristischen Entscheidung. Ein Urteil werde die Problematik nicht lösen, sagte der Vorsitzende Richter der zuständigen Wettbewerbskammer des Gerichts, Dieter Kehl, in der zweiten Verhandlung. Man könne lediglich eine „Momentaufnahme“ liefern. Dem Gericht sei es nicht möglich, so Kehl weiter, Vorgaben zum Anteil des Textes oder der sendungsbezogenen Beiträge zu machen. Für die Beurteilung der Streitfrage komme es auf den Gesamteindruck an. Es sei bedauerlich, dass sich die streitenden Parteien bisher nicht hätten einigen können. Bis Ende August müssen die Parteien nun dem Gericht mitteilen, ob eine außergerichtliche Verständigung erzielt wurde. Sollte bis dahin keine Einigung gelingen, dann will das Kölner Landgericht am 27. September 2012 ein Urteil zu der Klage der Verleger fällen.


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Auf ihrer Tagung am 29. und 30. November 2010 in Berlin entschieden die ARD-Intendanten und ARD-Programmdirektor Volker Herres, das Abendprogramm des Ersten einschneidend zu reformieren. Dazu zählt eine Erweiterung und teilweise Neuplatzierung des Angebots an Talkshows. Dieses Programmgenre erfüllt nach ARD-Verständnis auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Seit dem 11. September 2011, als Günther Jauch mit seiner nach ihm benannten neuen Talkshow startete, gibt es nun im Ersten von sonntags bis donnerstags an jedem Abend eine Gesprächssendung: am Sonntag „Günther Jauch“, am Montag „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg, am Dienstag „Menschen bei Maischberger“, am Mittwoch „Anne Will“ und am Donnerstag „Beckmann“. Die Intendanten und Programmdirektor Herres beschlossen außerdem, dass der 45-minütige Dokumentationssendeplatz am Montag um 21.00 Uhr verlegt wird auf 22.45 Uhr. Zugleich wurde festgelegt, den Sendeplatz für Dokumentationen, Reportagen und Features am Mittwochabend um 23.30 Uhr zu streichen. Diese Änderungen ermöglichten es dann auch, das seit Jahren von der ARD-Programmdirektion angestrebte Ziel umzusetzen, dass die „Tagesthemen“ von montags bis donnerstags nun zum einheitlichen Termin um 22.15 Uhr beginnen (beim alten Programmschema war dies mittwochs nicht möglich).

Die Talkshow Günther Jauchs wird von dessen Produktionsfirma i & u hergestellt. Gesendet wird sie von 21.45 bis 22.45 Uhr live aus einem zum Fernsehstudio umgebauten alten Gasometer in Berlin-Schöneberg. Jauch und die ARD haben einen Drei-Jahres-Vertrag abgeschlossen. Redaktionell verankert ist diese Talkshow beim NDR. Presseberichten zufolge zahlt die ARD pro TV-Saison insgesamt rund 10,5 Millionen Euro für die Produktion der Sendung. Geplant sind in jeder Saison 39 Ausgaben und ein Best-of.

Die große Reform für das Erste Programm trat im Sommer 2011 in mehreren Schritten in Kraft. Seit dem 3. August werden die „Tagesthemen“ auch am Mittwoch um 22.15 Uhr ausgestrahlt. Am 31. August lief die Talkshow „Anne Will“, die zugleich um 15 Minuten verlängert wurde, erstmals auf dem neuen Termin am Mittwochabend, an dem es dafür keine Dokumentationen mehr gibt. Seit dem 1. September wird „Beckmann“ donnerstags- statt montagabends ausgestrahlt. „Hart aber fair“ hat seinen neuen Sendeplatz am Montag von 21.00 bis 22.15 Uhr am 5. September eingenommen. Seit demselben Datum gibt es die 45-minütigen Montagsdokumentation erst um 22.45 Uhr statt wie zuvor um 21.00 Uhr. Am 11. September schließlich ging dann Günther Jauch mit seinem Talk am Sonntagabend in der ARD auf Sendung.

Der nun umgesetzte Plan der ARD-Führung, die Programmplätze für Dokumentationen und Reportage im Ersten zu reduzieren, war schon im Vorfeld auf Protest und Empörung gestoßen. Kritik kam u.a. von Kultur- und Medienstaatsminister Bernd Neumann (CDU), von der Bundestagsfraktion der Grünen, von der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok), vom Deutschen Kulturrat, vom Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD) und vom früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen. Auch in der Presse wurde der ARD vorgeworfen, sie vernachlässige mit ihrem Vorgehen ihren Informationsauftrag. Das alles konnte die ARD-Entscheidungsträger nicht mehr von ihrem Beschluss abbringen. SWR-Intendant Peter Boudgoust, zu diesem Zeitpunkt auch ARD-Vorsitzender, erklärte, auch die genannten ARD-Talkshows leisteten „in exemplarischer Weise Informationsvermittlung und Meinungsbildung“ und würden somit „genau unseren Programmauftrag“ erfüllen. Volker Herres sagte vage, es solle künftig nicht weniger Dokumentationen und Reportagen im Ersten geben, blieb dafür aber den statistisch-quantitativen Beweis bisher schuldig.

In der Presse schwankten die Reaktionen auf die überproportionale Fixierung der ARD auf Talkshows zwischen Unverständnis, Amüsement und Spott (faz.net veröffentlichte eine Programmschema-Persiflage, die jede Sendung des Ersten zum Talk umdefinierte). Volker Herres verteidigte die Programmschema-Änderungen mit dem Hinweis darauf, dass die ARD gerade mit ihren Talkshows erfolgreich Publikumswünsche bediene. Dies sei an den guten Quoten der Gesprächsformate ablesbar. Auf einer Pressekonferenz des Senderverbundes am 15. September 2010 in Bonn hatte sich Herres programmphilosophisch bereits mit folgender Devise in die ARD-Geschichte eingebrannt: „Talk ist geil im Fernsehen, die Zuschauer mögen das.“

Volker Herres und der ARD gelang, nach der Verpflichtung von Günther Jauch, noch ein zweiter Coup, wie es schien: Entertainer Thomas Gottschalk wechselte im Januar 2012 zur ARD und verließ damit nach 30 Jahren das ZDF, bei dem er die Moderation von „Wetten, dass ..?“ und damit der erfolgreichsten Unterhaltungsshow des deutschen Fernsehens abgab. Gottschalk kehrte durch diesen Schritt zu dem Senderverbund zurück, bei dem er einst seine Karriere gestartet hatte. Als Radiomoderator war er in den 1970er Jahren für den Bayerischen Rundfunk im Einsatz. Die Verpflichtung von Gottschalk, 61, gab die ARD am 15. Juli 2011 bekannt. Am 23. Januar 2012 startete dann im Ersten die neue Vorabendshow „Gottschalk Live“. Ausgestrahlt wurde sie von montags bis donnerstags jeweils von 19.20 bis 19.50 Uhr. Die Show wurde von Grundy Light Entertainment produziert, die redaktionelle Federführung lag beim WDR.

Entgegen allen Erwartungen war der von der ARD eingekaufte Star Thomas Gottschalk kein Garant für Erfolg. Seine neue Show im Ersten erzielte im Werberahmenprogramm weit unterdurchschnittliche Marktanteile und scheitere kläglich. Allgemein wurde der Sendung, im Kern bestehend aus Talkereien des Gastgebers mit Prominenten, ein durch und durch unausgegorenes Konzept bescheinigt. Auch zwischenzeitliche Änderungen halfen nichts mehr, die Marktanteile sanken bis auf 2,8 Prozent ab (510.000 Zuschauer), 25-mal bisher blieb die Show letztlich unter 1 Mio. Zuschauer (jeweils Gesamtpublikum). Am 18. April 2012, dem Tag der 47. Sendung, gab die ARD schließlich bekannt, dass „Gottschalk Live“ wegen der zu geringen Publikumsresonanz zur Sommerpause vorzeitig wieder eingestellt werde. Am 6. Juni lief nach weniger als einem halben Jahr die 70. und letzte Ausgabe. Geplant waren ursprünglich 140 Sendungen pro Jahr. Die ARD-Vorsitzende Monika Piel sagte am 18. April zur möglichen Zukunft von Thomas Gottschalk im Ersten: „Wir werden nun in aller Ruhe gemeinsam über eine Zusammenarbeit in anderer Form nachdenken.“ Im Juni wurde bekannt, dass Gottschalk in der nächsten Staffel der RTL-Show „Das Supertalent“ zusammen mit Dieter Bohlen und Michelle Hunziker in der Jury sitzen wird. Gottschalk ersetzt in der Jury Motsi Mabuse.

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Beim von ARD und ZDF betriebenen Kinderkanal (KIKA) wurde Anfang Dezember 2010 ein Betrugsskandal publik. Konkret betroffen davon ist der MDR, der für den in Erfurt ansässigen Kindersender federführend zuständig ist. Die Schadenssumme beläuft sich auf insgesamt 8,2 Mio. Euro. Es ist der finanziell größte Betrugsskandal in der über 60-jährigen ARD-Geschichte. Haupttäter in dem Fall ist KIKA-Herstellungsleiter Marco. K., der am 7. Dezember festgenommen worden war und seither in Haft sitzt. Der inzwischen 44-Jährige, der nach Bekanntwerden seiner Vergehen vom MDR entlassen wurde, hat im Zeitraum von 2002 bis 2010 (so das am 18. März 2011 vorgelegte Ergebnis von Überprüfungen des MDR und des ZDF) Scheingeschäfte mit mehreren Firmen abgewickelt, von denen er und die Unternehmen profitierten. Möglich war dies, weil Marco K. ungewöhnlich hohe eigenständige Zeichnungsrechte hatte. Als Motiv für K.s illegale Aktivitäten gilt insbesondere dessen Glücksspielleidenschaft, für die er die hinterzogenen Gelder hauptsächlich brauchte.

Am 5. Juli 2011 wurde Marco K., der zu Beginn der viertägigen Verhandlung ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, vom Landgericht Erfurt wegen Bestechlichkeit und Untreue zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Vor Gericht ging es um die Scheingeschäfte von Marco K. im Zeitraum von November 2005 bis September 2010 (frühere Fälle waren verjährt). In dieser Zeit hatte der KIKA-Herstellungsleiter eine Gesamtsumme in Höhe von 4,6 Mio Euro hinterzogen, von der er mehr als die Hälfte für sich selbst abzweigte. K.s Partner war bei diesen Scheingeschäften die in Berlin ansässige Technikfirma Koppfilm, die inzwischen insolvent ist. Marco K. und seine Anwälte legten am 11. Juli gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt Revision ein. Somit wird sich mit dem Fall demnächst der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe beschäftigen müssen. Dabei dürfte es primär um die Höhe der Haftstrafe gehen. Im Prozess vor dem Landgericht Erfurt, dessen Urteil bisher noch nicht rechtskräftig ist, hatten die Anwälte von Marco K. für eine Freiheitsstrafe von maximal dreieinhalb Jahren plädiert. Sie hatten darauf verwiesen, dass der für den KIKA zuständige MDR eine deutliche Mitschuld an den Taten ihres Mandanten trage, weil es faktisch kein internes Kontrollsystem gegeben habe.

Aufgrund des Betrugsskandals hat MDR-Verwaltungsdirektor Holger Tanhäuser am 18. März 2011 sein Amt zur Verfügung gestellt. Er wolle einem personellen Neuanfang nicht im Wege stehen. MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze erhielt eine Ermahnung. Der aktuelle KIKA-Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp wurde „wegen mangelnder Ausübung seiner Kontrollfunktion“ abgemahnt. Eine fest angestellte Mitarbeiterin aus der KIKA-Herstellungsleitung wurde suspendiert und soll möglicherweise noch entlassen werden. Im Zuge der Aufarbeitung der Betrugsaffäre hat der MDR eigene Versäumnisse eingeräumt und in der Folge mehrere Verbesserungsmaßnahmen für die Zukunft vorgeschlagen.

Im selben Monat, in dem Marco K. vom Landgericht Erfurt zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, wurde beim MDR eine neue Affäre publik. Dabei geht es um Udo Foht, den Unterhaltungschef des Senders. Foht hat über Jahre Geldzahlungen und Kredite von Produktionsfirmen und Musikmanagern eingetrieben, die er offenbar wiederum in andere MDR-Produktionen investierte. „Dieses Geld wurde teilweise von Dritten, teilweise mit großer Verspätung, teilweise gar nicht zurückgezahlt“, gab Intendant Udo Reiter am 17. August 2011 dazu bekannt. Dabei geht es bislang um mehrere fünf- und einige sechsstellige Summen. Dem Sender sei, so Reiter weiter, anders als beim KIKA-Skandal „nach bisherigem Erkenntnisstand durch die Geschäfte von Herrn Foht kein Schaden entstanden“. Am 27. Juli 2001 war Udo Foht bereits vom Dienst suspendiert worden, nachdem bekannt geworden war, dass er eine Produktionsfirma auf Briefpapier des MDR aufgefordert hatte, einen fünfstelligen Betrag an die Firma „Just for fun“ zu überweisen. Der Sender erstattete schließlich Strafanzeige gegen Foht.

Am 31. August 2011 gab der MDR bekannt, dass Intendant Reiter ein Verfahren zur fristlosen Kündigung des suspendierten Unterhaltungschefs eingeleitet habe. Die Verfahrensweise Fohts, Produktionen für den MDR im Zusammenspiel mit Auftragsproduzenten und Privatpersonen finanzieren zu lassen, entspreche nicht den internen Abläufen des MDR und bedeute einen groben Verstoß gegen Dienstanweisungen, hieß es zur Begründung. Die Ermittlungen im Fall Foht gehen weiter. Die zuständige Staatsanwaltschaft Leipzig wollte sich zum Stand der Ermittlungen nicht äußern. Im MDR untersucht zudem eine interne Kommission die Vorgänge.

MDR-Intendant Udo Reiter, 67, hatte im Mai 2011 angekündigt, er werde sein Amt im Lauf dieses Jahres abgeben. In mehreren Interviews erklärte er, sein Rückzug hänge nicht mit der Betrugsaffäre beim KIKA zusammen, sondern habe gesundheitliche Ursachen. Reiter steht seit Gründung des MDR Mitte 1991 ununterbrochen an dessen Spitze. Der MDR, die Drei-Länder-Anstalt der ARD für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wurde in diesem Jahr 20 Jahre alt. Die offizielle Feier zu dem Jubiläum wurde bereits wegen der KIKA-Affäre abgesagt. Durch die erneute Affäre mit dem Fall Foht ist Reiters Amtsführung beim MDR noch einmal verstärkt in die öffentliche Kritik geraten.

Am 26. Oktober 2011 scheiterte beim MDR der Versuch, einen neuen Intendanten zu wählen: Der Kandidat Bernd Hilder, Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ), verfehlte bei der Abstimmung des Rundfunkrat die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit deutlich. Der 52-Jährige erhielt bei dem Wahlgang lediglich 12 von 41 Stimmen. 29 Mitglieder des Rundfunkrats votierten gegen Hilder. Die Ablehnung des Kandidaten durch den Rundfunkrat wurde dabei auch als Protest gegen die Einmischung der sächsischen CDU-Staatskanzlei bei der Intendantenwahl gewertet.

Bernd Hilder galt als Wunschkandidat des Dresdner Staatskanzleichefs Johannes Beermann (CDU). In dessen Sinne hatte am 5. September 2011 der MDR-Verwaltungsrat, der das Nominierungsrecht hat, den LVZ-Chefredakteur als Kandidaten für das Intendantenamt benannt. In dem siebenköpfigen Gremium, in dem die CDU dominiert, erhielt Hilder aber erst im vierten Wahlgang die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit von fünf Stimmen. Bei den vorherigen Wahlgängen hatte die auch MDR-intern als Reiter-Nachfolgerin favorisierte Justitiarin und stellvertretende Intendantin des Senders, Karola Wille, die meisten Stimmen erhalten, doch mit vier Stimmen verpasste sie die erforderliche Mehrheit jeweils knapp. Nach zahlreichen Telefonaten verschiedener Verwaltungsräte mit Dritten in den Sitzungspausen lag dann am Ende schließlich Hilder vorn.

Der MDR-Verwaltungsrat kam dann am 9. Oktober 2011 erneut zusammen und nominierte nun einstimmig Karola Wille zur Kandidatin für das Intendantenamt. Wille wurde anschließend auf der Sitzung des Rundfunkrats am 23. Oktober in Friedrichroda von dem Gremium zur neuen MDR-Intendantin gewählt. Für sie stimmten 32 der 39 anwesenden Rundfunkratsmitglieder. Damit wurde die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit klar überboten, für die mindestens 26 Stimmen erforderlich waren. Sieben Gremiumsmitglieder votierten gegen Wille. Der Rundfunkrat hat insgesamt 43 Mitglieder. Am 1. November 2011 trat Karola Wille, 52, ihr Amt als neue MDR-Intendantin an. Ihr Vorgänger Udo Reiter, 67, ging am 31. Oktober nach 20-jähriger Amtszeit in den Ruhestand. Wille ist nach Dagmar Reim (RBB) und Monika Piel (WDR) die dritte Frau, die bei einer Landesrundfunkanstalt der ARD die Führungsposition innehat. Mit Karola Wille, geboren am 22. März 1959 in Chemnitz (damals: Karl-Marx-Stadt), wurde zudem erstmals eine Person mit ostdeutscher Biografie Intendantin einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in der Bundesrepublik.