Lutz Hachmeister & Thomas Vesting: Rundfunkpolitik und Netzpolitik

08.04.2011

I.
Für Ende April 2011 hat die nordrhein-westfälische Landesanstalt für Medien (LfM) zum „Wedding Event“ eingeladen, in ihre Räume im Düsseldorfer Medienhafen. Die „Hochzeit des britischen Thronfolgers Prinz William von Wales mit Kate Middleton“, so die LfM, werde „ohne Zweifel das gesellschaftliche Ereignis des Jahres sein“. Die LfM möchte da nicht zurückstehen und gemeinsam mit BBC World News und dem britischen Generalkonsulat „bei typischem englischen Cream Tea“ die Möglichkeit bieten, „in einem angemessenen Ambiente die Zeremonie in London mitzuerleben und neue Kontakte zu knüpfen“. Nun muss man der Düsseldorfer Medienbehörde ihre Sehnsucht nicht verübeln, an die Welt des Hochadels und der Soraya-Illustrierten (wie man früher gesagt hätte) Anschluss finden zu wollen. Allerdings verweist dieser „Event“, wie viele eher skurrile Projekte der Landesmedienanstalten, symbolhaft auf den Zusammenhang zwischen realer Bedeutungslosigkeit und verzweifelter Selbstbeschäftigung, der wiederum für den Zustand der deutschen Medienpolitik insgesamt kennzeichnend ist.


Die in den 1980er Jahren etablierten Landesmedienanstalten, ein typisches Konstrukt der föderalen Medienregulierung, sind seit ihrer Gründung Bashing und akademische Existenzkritik gewohnt, bis hin zur sarkastischen Beschreibung als „erfolgreich scheiternde Organisationen“ (Rainer Flaskamp). Sie haben sich in mehr als zwei Jahrzehnten das – für wenig beachtete Verwaltungsinstitutionen typische – dicke Fell zugelegt, das vor weiteren Anfechtungen imprägnieren würde, gäbe es denn überhaupt noch ernst zu nehmende Kritik. Doch auch die zornigen Medienjournalisten, die immer mal wieder die „Abschaffung“ dieser Länder-Medienbehörden forderten, sind verstummt –weil das Objekt der Berichterstattung wohl zu irrelevant geworden ist. Auch die Berufspolitik interessiert sich für diese Anstalten kaum noch. Sie waren für die jeweiligen Staatskanzleien nützlich, als es noch darum ging, Lizenzen für den Privatrundfunk zu erteilen oder standortpolitische Projekte (vornehmlich in Bayern und Nordrhein-Westfalen) mitzufinanzieren. Auch als Kongressveranstalter schienen sie tauglich, solange sie noch ein Publikum anziehen konnten, das an diesen Lizenzen oder Projekten interessiert war. Nun aber ist der Markt des kommerziellen Fernsehens und Hörfunks weitgehend arrondiert, ordnet sich allenfalls noch europäisch oder transatlantisch neu, und die medienökonomische Musik spielt im Globalmedium Internet, in das sich der „Rundfunk“ zunehmend verknüpft.


Die Landesmedienanstalten haben eine Zeitlang versucht, ihr altes (und ja weitgehend folgenloses) Regulierungsregime auf das Internet zu übertragen, damit sie in der Netzwelt zumindest „vorkommen“ können; ihre Pläne sind aber sogar von den föderalen Medienpolitikern kassiert worden, von denen die Aufsichtsbehörden einst erfunden worden waren. So sind ihnen, abgesehen von Mikro-Regulierungen auf der lokalen und regionalen Rundfunkebene, eben nur noch Sitzungen, Tagungen und „Events“ geblieben, deren reales Publikum inzwischen im unteren dreistelligen Bereich liegen dürfte. Immerhin bilden die Landesmedienanstalten noch einen angenehm dotierten Park für Parteipolitiker und ihre Gefolgsleute, die dort eine regionale Heimstätte für gesellschaftliche Repräsentanz finden. So wechselt demnächst in einem typischen Transfer der vormalige bayerische Staatskanzleichef und „Medienminister“ Siegfried Schneider (CSU) auf den Chefposten der bayerischen Landesmedienanstalt BLM.


II.
Überlebensstrategisch haben die Landesmedienanstalten seit geraumer Zeit die ebenso weiten wie weichen Felder von „Jugendmedienschutz“ und „Medienkompetenz“ als ihr genuines Terrain entdeckt. Zumindest die „Medienkompetenz“ ist ohne schwierigen politischen Diskurs zu haben und als Begriff gegnerfrei.  Niemand hat etwas gegen „Medienkompetenz“. Leider gibt es dazu aber keine übergreifenden Currricula oder tiefergehenden Forschungen, nehmen wir einmal die auch nicht eindeutigen Ergebnisse zur Lese-, Rechtschreib- und Grammatikfähigkeit von Schülern und Studenten aus. In den gängigen Debatten um den inzwischen völlig verbrauchten Begriff der „Medienkompetenz“ gehen Probleme des Zugangs zu Medien oder der Nutzung von Medientechnologien mit eher prohibitiven Vorstellungen von Restriktionen der Mediennutzung bunt durcheinander. Zudem sind die Kinder und Jugendlichen, also die vorrangige Zielgruppe jeder Medienkompetenzlehre mit ihrer (je nach Sichtweise) gefährlichen oder fröhlichen technologischen Entdeckerfreude, den Medienkompetenztheoretikern immer einen oder mehrere Schritte voraus, gerade im Internet mit seiner prinzipiell unendlichen Verweisstruktur.

Marshall McLuhan hatte diese kommunikationsökologische Konkurrenz zwischen formaler Bildung und dem unmittelbaren „Lernen durch neue Medientechnologien“ schon Ende der 1950er Jahre beschrieben. Dies muss nicht in eine Laissez-faire-Politik münden (so wie ja auch McLuhan in seinen späten Jahren eine aktive Kommunikationsökologie bis hin zu Formen von Medienabstinenz forderte); aber klar ist, dass alle Bemühungen um media literacy eine konzeptionelle bildungspolitische Verknüpfung auf Bundes- und europäischer Ebene voraussetzen, wenn sie nicht bei vereinzelten Goodwill-Projekten hängenbleiben wollen. Für solche strategisch-intellektuellen Diskurse um Zielvorstellungen und Operationalisierungen von „Medienkompetenz“ sind die Landesmedienanstalten offensichtlich der falsche Ort.

Ebenso trostlos erscheint die Debatte um den sogenannten „Jugendmedienschutz“.  Schon der Begriff ist dunkel – einem Nichtspezialisten wäre zunächst einmal schwer zu vermitteln, worum es dabei eigentlich gehen soll. Denn nach den Vorstellungen der Jugendmedienschützer sollen ja nicht irgendwelche „Jugendmedien“ geschützt werden, sondern die Jugendlichen vor (wie auch immer) verstörenden, pornografischen oder rassistischen Medieninhalten. Der Begriff indiziert eine Art funktionale Übertragbarkeit des herkömmlichen „Jugendschutzes“ auf den Medienkonsum Heranwachsender. Man muss kein Anhänger radikallibertärer Theorien in der Nachfolge Murray N. Rothbards oder Albert Jay Nocks sein, um das Konzept des „Jugendmedienschutzes“ grundsätzlich in Frage zu stellen. Zumindest gilt auch für ihn Ockhams Rasiermesser: In einer Reduktionsstrategie wäre zu überprüfen, wofür (jenseits der formellen Bund-Länder-Konkurrenz) ein eigener „Jugendmedienschutz“ außerhalb des allgemeinen „Jugendschutzes“ gebraucht wird und was er bewirken soll. Dabei müsste gerade auch auf den Prüfstein, ob und inwiefern sich die schwer durchschaubaren Konzepte „regulierter“ Selbstkontrolleinrichtungen bewährt haben oder ob es nicht ausreicht, in einem Passus eines neuen, aufgeräumten Medienstaatsvertrages einige grundsätzliche Regelungen zu einem stärker risikoorientierten Jugendschutz zu treffen und ansonsten auf das geltende Strafrecht zu verweisen.

Das bisherige Konzept des deutschen „Jugendmedienschutzes“ jedenfalls ist realitätsblind und hyperbürokratisch zugleich. Betrieben wird ein System (wenn man überhaupt davon sprechen mag) der Problemvernebelung durch Institutionenvervielfachung. Häufig wird bürgerliche Gesittung eher vorgezeigt denn in der harten Medienrealität bewiesen. In einem Anfall von Realsatire hat Martin Stadelmaier, „der wichtigste Medienpolitiker der SPD“ („FAZ“), in seinen „zehn medienpolitischen Geboten für das digitale Zeitalter“, vorgetragen beim DLMSymposium im März 2009 in Berlin, markig gefordert: „Wir brauchen eine größere Einheitlichkeit, wir müssen Doppelstrukturen abbauen. Wir brauchen nach meiner festen Überzeugung eine gegenseitige Akzeptanz von Freigabeentscheidungen der Selbstkontrolleinrichtungen, also FSK, USK, FSM und FSF – und das möglichst in einer guten und engen Verbindung mit den Jugendschutzbehörden und der KJM“.

Schon angesichts dieser Abkürzungskaskade wird klar, dass sich in der Realität der Mediennutzung paradoxer- oder konsequenterweise libertäre Formen und Strukturen durchsetzen konnten. Jeder mehr oder weniger clevere und eben „medienkompetente“ Jugendliche kann heute durch das Antippen eines „Enter“-Signets in wenigen Sekunden auf pornografische Angebote zugreifen – und zwar dank mobiler audiovisueller Telekommunikation überall, an fast jedem Ort der Welt. Die Grenzen bilden in Demokratien nur die Reichweite der Telekommunikationsnetze und die Übertragungsgeschwindigkeiten. Die Anbieter solcher Websites entziehen sich offenbar jeder Überwachung durch die Jugendmedienschützer, weil sie ihr Geschäft in unzugänglichen Gebieten betreiben. Man könnte sogar vermuten, dass die Potemkinschen Dörfer des „Jugendmedienschutzes“ eine effiziente Verfolgung strafrechtlich relevanter Internet-Inhalte eher behindern. Über die reale oder vermeintliche „Generation Porno“ lassen sich sozialpsychologisch interessante Debatten führen; sicher ist, dass ihr der föderale „Jugendmedienschutz“ nichts entgegenzusetzen hat.

Den größten öffentlichen Effekt hat der deutsche „Jugendmedienschutz“ unfreiwillig in den eigenen Reihen erzielt – mit dem Eklat um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, der sich in eine bis heute nicht völlig aufgeklärte Kinderpornografie-Affäre verstrickte. Tauss, ein baden-württembergischer Bezirksfürst seiner Partei, hatte es immerhin bis zum medien-, bildungs- und forschungspolitischen Sprecher der SPD im Bundestag gebracht und zusammen mit dem leitenden Ministerialbeamten Hans Ernst Hanten (BKM, gleichfalls Mitglied der SPD-Medienkommission) Projekte wie ein allerdings nur schwach genutztes „Netz für Kinder“ auf den Weg gebracht. Von der politischen Bühne wurde Tauss entfernt, nachdem man auf seinem Handy und in seiner Dienstwohnung kinderpornografisches Material gefunden hatte – angesichts der medienpolitischen Kompetenzlage mag man ihm fast glauben, dass er nur versucht hatte, mit unkonventionellen Methoden in Kinderpornografie-Ringe einzudringen, als eine Art Austin Powers von „Jugendmedienschutz“ und child protection

Staatssekretär Stadelmaier wiederum, unter dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) der operative Chef der „Rundfunkkommission der Länder“, hat sich in einen anhaltenden Kleinkrieg mit den unabhängigen Internet-Schützern begeben, also mit denjenigen, die die Artikulations- und Zugangsfreiheit des Netzes möglichst gegen alle Sperrungen und Löschungen von Websites verteidigen wollen. Dies ist ein soziologisch spannender Kulturkampf zwischen dem alten rundfunkrechtlichen Regulierungsregime und den Anhängern einer evolutionär-libertären Internet-Ordnung (die sich gegen die hergebrachte „Medienaristokratie“ überhaupt richtet), der vielfältige hintergründig-mentalitätshistorische, „mediengenerationelle“ und realpolitische Implikationen hat.

III.
Das Gehege des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks, mit seinen Gremien, seiner Referenz zur etablierten politischen Klasse und seinem Multimilliarden-Budget, bildet das eigentliche Reservat der föderalen Medienpolitik. Man kann hier in Anlehnung an ein linguistisches Konzept von einem engen „Sinnbezirk“ sprechen, der durch spezifische Terminologien, Gremientraditionen mit parteipolitischer Vermachtung und die Abwehr publizistisch-inhaltlicher Diskurse kenntlich wird. Das rüde-realistische „Unterschichtenfernsehen“ auf der einen und die politische Talkshow-Schwemme auf der anderen Seite des „dualen Systems“ konnten sich jedenfalls ohne ernst zu nehmenden medienpolitischen Einspruch ausbreiten. Nur für eine kurze Zeit, in den 1990er Jahren, interessierten sich die Ministerpräsidenten, allen voran Wolfgang Clement (SPD) und Edmund Stoiber (CSU), wirklich für einen Ausbau des privatrechtlich organisierten Rundfunks – aus Gründen der regionalen Wirtschaftsförderung. Es gab kühne Pläne für eine Privatisierung des ZDF, für eine Erledigung des Ersten Programms der ARD zugunsten bundesweit verbreiteter Dritter Programme und für die Etablierung eines kommerziellen Qualitätsprogramms („Westschienenkanal“ bzw. Vox). Nichts davon funktionierte oder wurde umgesetzt (die einzige medienpolitisch halbwegs originelle Idee im Fernsehbereich blieben Alexander Kluges auch für ihn selbst einträgliche „Fensterprogramme“ bei den Privatsendern).  Auch ein produktionsrelevantes Abonnementfernsehen kam in Deutschland (aufgrund der Überbesetzung des Free-TV-Markts und des Hickhacks zwischen Kirch-Gruppe und Bertelsmann AG) bis heute nicht zustande.

Die Medienpolitiker der großen Parteien freundeten sich rasch mit den herrschenden Zuständen bei ARD und ZDF wieder an, wo man mit großen Limousinen bei Intendantenwahlen vorfahren konnte, Rundfunkarbeitsplätze vor der Haustür durch die Gebührenfinanzierung sicher waren und der jeweilige Ministerpräsident in der landespolitischen Berichterstattung in der Regel gut wegkam. Das öffentlich-rechtliche System profitierte von dieser politischen Renaissance (oder litt darunter, je nach Blickwinkel), indem ihm weder eine größere Modernisierungsleistung noch ein systematischer Abgleich zwischen Budget und programmlichen Kernaufgaben auferlegt wurde. (Ein neues Papier aus der sächsischen Staatskanzlei dazu – das sogenannte „Zielpapier AG Beitragsstabilität“ - enthält interessante Ansätze, aber nur wenig ausgearbeitete Vorschläge für eine Systematik der empirischen Beobachtung – zudem soll sich der Analyseprozess erst einmal bis 2014 hinziehen; vgl. FK 12/11.) Zwar waren die von der aus Rheinland-Pfalz gesteuerten „Rundfunkkommission der Länder“ verordneten „Drei-Stufen-Tests“, mit denen die Präsenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet überprüft werden sollte, arbeitsaufwändig und teuer (eine von der Medienpolitik verordnete Mittelverwendung also, die letztlich der Programmproduktion entzogen wurde), aber sie führten nur zu taktischen Scharmützeln um „presseähnliche Angebote“ der Rundfunkanstalten zwischen Intendanten und den hier auch strategisch erstaunlich desorientierten Lobbyisten des Privatrundfunks bzw. der Presseverlage. Denn die wesentlich marktrelevantere Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Systems, die Multiplikation der digitalen Fernsehspartenkanäle, war längst in einem der berüchtigten „Rundfunkänderungsstaatsverträge“ fixiert worden – ohne jeden Test mit wie viel Stufen auch immer.

Schließlich kam die föderale Rundfunkpolitik alten Typs wieder bei ihrem ewigen Thema an: bei der Parteienherrschaft über die gehobene Personalpolitik der öffentlich-rechtlichen Sender, festgemacht an der verweigerten Vertragsverlängerung eines ZDF-Chefredakteurs. Der wenig später in die Privatwirtschaft retirierte hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte hier sogar mit dem Argument der „Einschaltquoten bei öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen“operiert, um die simple Tatsache zu bemänteln, dass eine der CDU/CSU unliebsame Führungsfigur des ZDF (über deren Amtsführung man ohne den Kochschen Kreuzzug ja durchaus hätte diskutieren können) aufs Altenteil geschickt werden sollte. Die Affäre machte jedenfalls Wirbel über die üblichen engen Zirkel der gewöhnlich aus der dritten Reihe besetzten Zirkel der Partei-Rundfunkpolitik hinaus – in der „FAS“ protestierte (im November 2009) sogar eine ganze Riege von Verfassungs- und Staatsrechtlern gegen diesen unverhüllten Eingriff in die in Sonntagsreden immer wieder gelobte „Rundfunkautonomie“.  Angesichts der Diktionen und Frontstellungen wähnten sich unbefangene Beobachter noch einmal in der Adenauer-Zeit. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck, in dessen Ägide als ZDF-Verwaltungsratsvorsitzender diese Affäre fiel, musste dann, angetrieben von den medienpolitisch ansonsten eher wenig kreativen Grünen, gegen sich selbst klagen, als er sich ermattet für eine verfassungsrechtliche Klärung der ZDF-Gremienzusammensetzung aussprach – also des Systems der Ministerpräsidentenherrschaft, an dem Beck jahrzehntelang widerspruchslos partizipiert hatte. Für die Letztklärung dieses medienpolitischen Problems ist also einmal mehr, wie in den 1960er Jahren, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zuständig.

IV.
Während sich die Medienpolitik in der Vergangenheit stark an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientiert hat (zentrale terminologische
Elemente wie „duale Rundfunkordnung“, ja, ganze Passagen des Rundfunkstaatsvertrags sind früher mehr oder weniger direkt aus den Urteilen des Gerichts übernommen worden), wird dies in Zukunft sehr viel schwerer fallen. Denn die Interpretation der Rundfunkfreiheit wird schon gegenwärtig auf eine harte Probe
gestellt. Um die unvermeidbare Unbestimmtheit der Normen des Grundgesetzes
zu füllen, fragen die staatlichen Gerichte – und auch das Bundesverfassungsgericht
- normalerweise nach dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Dieser methodische Weg ist im Medienrecht jedoch versperrt (wenn er denn je mehr war als die späte Erscheinungsform einer verqueren paulinisch-christlichen Logik der Substanzialisierung der symbolischen Ordnung).

Ein Rückgriff auf den Willen des Gesetzgebers ist jedenfalls gerade dann nicht
plausibel, wenn die Rechtsprechung mit Fällen und Konflikten konfrontiert wird,
von denen der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes noch gar nichts wusste und auch
nichts wissen konnte. Unter dieser Voraussetzung bleibt den staatlichen Gerichten
nichts anderes, als auf ein „kontextualistisches“ Interpretationsverfahren umzustellen
- wie die amerikanischen Verfassungsjuristen das nennen. So hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise im Fall des Aufkommens neuer Kabel- und Satellitentechnologien darauf insistiert, dass sich die Auslegung der Rundfunkfreiheit mit dem Wandel der technologischen Bedingungen der Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen verändern müsse. Auch in anderen Zusammenhängen, etwa bei neuartigen Fragen des Persönlichkeitsschutzes in Computernetzwerken, ist das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren kontextualistisch vorgegangen: Es hat ein weitgehendes Recht der richterlichen Rechtsfortbildung für sich reklamiert, das sich nicht zuletzt in der Erfindung immer neuer Grundrechte auf „informationelle Selbstbestimmung“ niedergeschlagen hat, ein Feld, in dem das Gericht eine Art neue Zivilreligion gefunden zu haben scheint.

Zu dieser Abkehr von einem Konzept, das die Verfassung als Ausdruck eines ursprünglichen Willens begreift, und seiner Ersetzung durch ein kontextualistisches Interpretationsverfahren gibt es – jedenfalls im hochdynamischen Feld der neuen elektronischen Netzwerke – keine Alternative. Aber selbst wenn man den Kontextualismus als zulässige Methode der Verfassungsinterpretation akzeptiert, stellt sich mit der Evolution des Internets das Problem der richtigen Interpretation der Medienfreiheiten (einschließlich Rundfunkfreiheit) auf eine neue und sehr viel grundsätzliche als bislang bekannte Weise: Wenn sich nicht mehr nur einzelne Modalitäten der technischen Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen verändern, sondern der Begriff des Rundfunkprogramms und der mit ihm verknüpften Gruppenöffentlichkeit in der neuen Internet-Kultur pulverisiert werden, dann muss ein Verfassungsgericht andersartige Kriterien entwickeln, die die Anpassung einer geschriebenen Verfassungsurkunde an die neue Medienrealität argumentativ tragen können.

Die Verfassungsinterpretation muss jetzt eine neuartige und sich schnell
wandelnde Themenöffentlichkeit strukturieren, die sich heute auf die kunstgerechte
Anfertigung von Dissertationen und morgen auf die Sicherheit von Atomreaktoren
im Katastrophenfall auf der Grundlage der immer gleichen Expertise
kapriziert. Dabei kann eine Rechtsprechung aber nicht beliebig und willkürlich
vorgehen. Sie muss vielmehr eine über den Einzelfall hinausgehende Kontinuität
mit dem Textkörper des Grundgesetzes herstellen, der nur die Medien „Presse“,
„Rundfunk“ und „Film“ zitiert und im Fall von Rundfunk und Film auch ausdrücklich
nur die „Freiheit der Berichterstattung“ schützt bzw. diese für Formen
der „Gewährleistung“ öffnet. Wenn ein staatliches Gericht unter diesen Umständen
eine grundlegend neue Medienkultur wie die des Internets in den Begriff
„Rundfunk“ integrieren will, trägt es eine schwere Begründungslast: Es muss
zeigen, dass die von ihm in der Vergangenheit entwickelten Argumente auch auf
die neue Medienkultur und ihre Regelhaftigkeiten passen und sie dieser neuen Realität nicht einfach ein Konzept überstülpt, für dessen Plausibilität es gar keine anderen Anhaltspunkte als den Blick zurück in die eigene Rechtsprechungsvergangenheit gibt.

An diesem Punkt zeigt sich, dass eine kontextualistische Verfassungsinterpretation gerade in hochdynamischen Handlungsfeldern auf eine Verarbeitung des Wissens vieler Interpretationsgemeinschaften und ihrer Kontexte angewiesen ist. Sie kann nicht nur im Gespräch mit sich selbst und ihr politisch nahestehenden Gruppen operieren. Ganz im Gegenteil muss sie ihren Halt in einer neuartigen „Intertextualität“ suchen und den juristischen Diskurs für die reiche Epistemologie der Zivilgesellschaft öffnen, das heißt für die Einsicht, dass die erkennenden Tätigkeiten der Juristen, auch die der Richter, unabdingbar angewiesen sind auf Interaktion mit andersartigen Kognitionen, auf einen permanenten Wissensaustausch in einem Netzwerk von Perspektiven. Und gerade über den allgemeinen, gesellschaftlich verankerten Stand des Wissens kann ein staatliches Gericht dabei nicht einfach hinweggehen.

Außerhalb der Erkenntnisgemeinschaft der Rundfunkreferenten, der Sinnbezirke
der Staatskanzleien und mancher Universitätsrundfunkrechtler ist jedoch bis heute noch niemand auf die Idee gekommen, auch nur danach zu fragen, ob das Internet als ein zum Rundfunk gehöriges Medium angesehen werden könnte. Genau umgekehrt herrscht in allen erdenklichen Fachkreisen und auch im Alltag die völlig zutreffende Ansicht vor, dass sich Fernsehen und Hörfunk durch die Konfrontation mit den neuartigen medialen Möglichkeiten des Internets verändern werden und schon verändert haben. Das Internet ist das neue Medium, von dem mehr und mehr Komponenten in Rundfunkprogramme übernommen werden, nicht aber umgekehrt ist das Internet aus dem Rundfunk als Technologie hervorgegangen oder der Rundfunk der Motor der Entwicklung neuer Formate und Inhalte des Internets. Die Moderatoren des ZDF-„Heute-Journals“ haben während der Sendung Notebooks vor sich und verweisen für weitere Informationen gerne auf das Online-Angebot des ZDF, nicht aber darauf, den laufenden Fernseher ein zweites Mal einzuschalten.

Das Internet ist, anders gesagt, keine Fortsetzung von Rundfunk in einer lediglich veränderten technischen Gestalt. Eine Webseite in ihrer neuartigen, Text, Ton, Stand- und Bewegtbilder verknüpfenden Präsentationsform ist eben eine Webseite und kein Rundfunkprogramm. Eine Verfassungsinterpretation auf der Höhe der Zeit hat also davon auszugehen, dass das Internet eine Zäsur in der Geschichte der Medien markiert, der nicht einfach durch die Anknüpfung an die bisherige, vor allem auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überspielt werden darf. Diese besonders im Verhältnis zur Presse ausgesprochen staats- und politikfixierte Rechtsprechung war immer an eine „Sondersituation“ geknüpft, die in der älteren Rechtsprechung in der zunächst gegebenen Frequenzknappheit und den besonders hohen Marktzutrittsbarrieren zum Fernsehgeschäft gesehen und später durch die diffuse Annahme einer besonderen publizistischen „Suggestivkraft“ des Rundfunks ersetzt wurde. All diese Argumente sind für die Internet-Kommunikation mehr als fragwürdig geworden (was natürlich nicht ausschließt, dass sie uns – als „ Dogmatik“ – noch eine Weile begleiten werden).

Von dieser Brüchigkeit hat auch das im vergangenen Jahr von der Gremienvorsitzendenkonfernz (GVK) der ARD in Auftrag gegebene, von Hans-Jürgen
Papier (Bundesverfassungsgerichtspräsident a.D.) und Meinhard Schröder (Juristische
Fakultät der Universität München) erstellte Rechtsgutachten eine Ahnung,
wenn es die schwer korrodierte verfassungsrechtliche Schraube noch einige Umdrehungen weiter anzieht (vgl. FK 32/10). Folgt man Papier und Schröder, kommt
es für die verfassungsrechtliche Frage der Qualifikation von Internet-Seiten als
Rundfunk weder auf die Gültigkeit der alten Sondersituationskriterien noch
auf eine besondere publizistische Wirkung von Webseiten an: Internet-Seiten
seien vor allem bei Jugendlichen ein zunehmend meinungsrelevantes Medium
und in der neuen fragmentierten Online-Welt würden und könnten nur die Webseiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine konzentrierte Vielfalt von Meinungen präsentieren. Diese gar nicht weiter belegte (und auch kaum belegbare) Behauptung wird sogleich zu einem Grundsatz der „Versorgung der Bevölkerung mit objektiven Informationen“ verdichtet und sodann als von der „Entwicklungsoffenheit“ des „Grundversorgungsauftrags“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gedeckt angesehen. Damit wird aus einer schwer zu belegenden Einschätzung tatsächlicher Leistungen öffentlich-rechtlicher Webseiten ein verfassungsrechtliches Argument. In Wahrheit zeigt das Gutachten von Papier und Schröder jedoch die Schwäche, ja, Grundlosigkeit einer Verfassungsinterpretation, in der an die Stelle der Sicherung der Kontinuität eines autoritativen Textes und der daran gebundenen Regelhaftigkeit der Konventionen und Gewohnheiten die mehr oder weniger offene Instrumentalisierung des Verfassungsrechts für jeweils tagesaktuelle rundfunkpolitische Zwecke tritt.  Verfassungsrecht und Verfassungspolitik sind hier letztlich ununterscheidbar. Es kommt dann auch nicht mehr auf die Verfassung als autoritativen Gesetzestext an, sondern nur noch darauf, wer auf der Richterbank sitzt und entscheidet.

Der Einschnitt, den das Internet in der Geschichte der Medien markiert, ist nicht das Resultat einer „totalen Ökonomisierung“ und sollte auch keineswegs als Rückkehr eines freien Spiels der Marktkräfte missverstanden werden. Die Internet-Kommunikation wird über ein neues Medium prozessiert; Meinungsäußerungen im Netz sind nicht einfach eine andere Form von marktförmiger Individualkommunikation. Daraus ergibt sich durchaus die Notwendigkeit einer genauen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Beobachtung der Entwicklung des Internets. Dazu gehört auch die Entwicklung dessen, was man mit Karl-Heinz Ladeur ein „netzwerkgerechtes Medienrecht“ nennen kann. In diesem neuen Medienrecht sollte die institutionelle Komponente der Medienfreiheiten des Grundgesetzes (die „Gewährleistungsaufgabe“) auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Diese institutionelle Komponente muss aber von der Logik der Gruppengesellschaft befreit und auf die neuartige Logik der Netzwerkgesellschaft und ihrer fluiden Themenöffentlichkeit umgestellt werden. Methodisch gesehen ist es dabei zweitrangig, ob die kulturell relevante Internet-Kommunikation (im Unterschied zur rein kommerziellen) über die Entwicklung eines unbenannten Freiheitsrechts abgestützt wird oder ob die Interpretation der Rundfunkfreiheit für eine Mehrzahl von Regulierungsregimen geöffnet und damit aufgespalten wird, wie es im Rundfunkstaatsvertrag im Prinzip schon heute der Fall ist. Entscheidend jedenfalls ist, ein Konzept zu entwickeln, das in seiner objektiv-rechtlichen Dimension auf die Erhaltung der Vielfalt und Durchlässigkeit der fragmentierten Teilöffentlichkeiten der neuen Internet-Kultur eingestellt werden kann. Dazu gibt es erst Ansätze und Vorschläge, aber es ist klar, dass die Medienpolitik diese nicht in Karlsruhe finden wird.

Muss der Staat in Zukunft überhaupt noch Aufgaben der Vielfaltsgewährleistung in den Medien übernehmen? Sicherlich muss er den Pool des gemeinsamen Wissens mit Differenzen versorgen, das kulturelle Gedächtnis in Bewegung halten und dessen Offenheit für Neues fördern und schützen. Das ist schon deshalb zwingend, weil der gestiegene Medienkonsum auch die Formen der Subjektivität der Individuen verändert hat und weiter in Richtung eines „relationalen Selbst“ verändern wird. Den Staat trifft daher auch in Zukunft eine Art zivilgesellschaftlicher „Grundrechtsvoraussetzungsschutz“. Ob jedoch die unüberschaubaren Kommunikationsströme des Internets mit ihrer Überfülle von Mikro-Standpunkten überhaupt noch einer herkömmlichen medienrechtlichen Vielfaltsgewährleistung bedürfen, müsste zumindest einmal diskutiert werden. Aber selbst wenn man dann zu einem positiven Ergebnis käme, hätte der Nationalstaat im Fall der neuen Kommunikationsindustrien mehr denn je die Beweislast dafür zu tragen, warum und in welcher Absicht er in die Selbstorganisationsmechanismender globalen Online-Welt intervenieren will. In diesem Kontext kann künftig auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine wichtige Aufgabe zuwachsen. Doch diese Aufgabe wäre verfassungsrechtlich erst noch näher zu konturieren und müsste dann auch einfachgesetzlich genauer als heute strukturiert werden. Jedenfalls kann der Internet-Auftritt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht als völlig unstrukturierte „Entwicklungsoffenheit“ eines „Grundversorgungsauftrags“ gefasst werden, dessen Inhalte die öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihre Gremien am Ende selbst definieren.

Weil im klassischen programmbezogenen Fernseh- und Hörfunkgeschäft weiterhin mit Vielfaltsverengungen zu rechnen ist und dieses ja auch künftig nicht einfach verschwinden wird, bestehen an der Legitimität der Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks keine Zweifel. Soweit der öffentlichrechtliche Rundfunk durch das Betreiben eigener Webseiten und umfassender elektronischer Archive an den neuen Formen und Möglichkeiten der Internet-Kommunikation partizipieren will, ist dies verfassungsrechtlich aber keineswegs a priori von seinem „Grundversorgungsauftrag“ gedeckt. Dieser bezieht sich ausschließlich auf den klassischen, das heißt den in einer linearen Programmstruktur verankerten Rundfunk. Natürlich kann der Gesetzgeber das Aufgabenprofil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verändern und ihm, wie schon heute, Partizipationsmöglichkeiten im neuen Medium des Internets einräumen.  Da er damit indes immer zugleich in die Grundrechte anderer Wettbewerber eingreift, insbesondere in diejenigen von Presseunternehmen, deren Online-Aktivitäten ebenfalls grundrechtlich geschützt sind, muss der Gesetzgeber dieses neuartige Konkurrenzverhältnis durch ein spezifisches Kollisionsrecht genauer strukturieren. Weil es dabei um eine Kollision konvergierender Medien geht und nicht um eine Kollision von Rundfunk- und Pressefreiheit, kann der Gesetzgeber hier nicht länger als isolierter Rundfunkgesetzgeber eine mehr oder weniger umfassende Ausgestaltungskompetenz für sich in Anspruch nehmen, wie es für den Bereich des klassischen Programmrundfunks in der Vergangenheit unterstellt worden ist.

Die Übernahme von Aufgaben in den neuen elektronischen Kommunikationsnetzwerken durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss angesichts möglicher Gefahren für die Vielfalt und Offenheit der Internet-Kommunikation zwingend erforderlich sein. Die Last der Begründung dafür trägt der Gesetzgeber und nicht die „Privatrechtsgesellschaft“. Sowohl das im Rundfunkstaatsvertrag verwendete Kriterium der „Presseähnlichkeit“ wie der „Drei-Stufen-Test“ sind für ein derartiges Kollisionsrecht unbrauchbar. Das Drei-Stufen-Verfahren ist überkomplex und unstrukturiert, in der Literatur ist es sogar als gegen die „prozeduralen Anforderungen der objektiv-rechtlichen Dimension der Rundfunkfreiheit“ (Karl-Heinz Ladeur) verstoßend und damit als verfassungswidrig qualifiziert worden.

V.
Für die Medienpolitik stellt sich angesichts der neuen Medienrealitäten die Fragenach der Restrukturierung ihrer Kontrollregime. Die Zergliederung und Isolierung der Regulierungsmaterien in verschiedenen Arenen – Rundfunkregulierung, Telekommunikationsregulierung, regionale und nationale Filmförderung, Jugendmedienschutz etc. – sowie die Zerstreuung der Kompetenzen auf die unterschiedlichsten Träger – öffentlich-rechtliche Anstalten, Landesmedienanstalten, Filmförderungsanstalt, Bundeskartellamt etc. – kann schwerlich als effiziente Lösung bezeichnet werden. Hier ist bereits häufiger über eine konzentrierte Agenturlösung nach britischem Vorbild nachgedacht worden, auf die es auch hinauslaufen wird. Sie ist jedoch nicht durch eine simple Fusion bestehender Institutionen zu haben, sondern bedarf vorausgehender strategischer und organisationstheoretischer Überlegungen, zusätzlich auch neuen, „netzkompetenten“ Personals.

Wenn wir von einem Strukturwandel der Medienpolitik sprechen, dann meinen wir nicht nur, dass er angesichts der technologischen Entwicklung notwendig ist, sondern auch, dass er sich unabdingbar vollziehen wird. Die Frage ist nur, in welcher Geschwindigkeit und mit welcher intellektuell-strategischen Substanz. Wir möchten dabei betonen, dass es nicht darum geht, die bisherige föderale Rundfunkpolitik durch eine nur technologisch befeuerte und induzierte, „zentralistischere“ Kommunikationspolitik zu ersetzen. Es geht vielmehr um transparentere Kooperationen zwischen Bund, Ländern und EU, damit vor allem um stärkere und satisfaktionsfähigere Institutionen im demokratietheoretischen Sinne, die das Nebeneinander von „Rundfunkpolitik“ und „Netzpolitik“ in einer neuen, konsistenteren Ebene aufheben könnten.  Es ist schwer einzusehen, warum Bund-Länder-Kooperationen im Wissenschaftsbereich leidlich funktionieren, von den Medienpolitikern der Länder aber dogmatisch abgelehnt werden.

Eine neue Generation von Medienpolitikern, die in und mit der kommunikativen Umwelt des Internets, also mit Google und Amazon, Facebook und Twitter sozialisiert worden sind, wird ohnehin mit einer anderen Perspektive auf Öffentlichkeit, Partizipation und den politisch-publizistischen Komplex blicken als diejenigen, die nur mit ARD, ZDF und wenigen dominierenden Presseverlagen aufgewachsen sind. Dieser Perspektivwechsel soll einstweilen gar nicht normativ bewertet werden, etwa im Sinne einer „progressiveren“ Netzpolitik.

Die „medienkulturelle Differenz“ zwischen einer eher beharrenden Rundfunkpolitik und einer fluideren „Netzpolitik“ (mit ihren verzweigteren Bezügen zu Online-Unternehmen, zur „Internet-Gemeinde“ oder zur Piratenpartei) ist bereits in der Auseinandersetzung um den einstweilen gescheiterten „Jugendmedienschutz- Staatsvertrag“ deutlich geworden – vordergründig ein Ergebnis parteitaktischen Gezänks um ein Stellvertreterthema und „ein Affront für die Länder-Ministerpräsidenten aus SPD und Union“ („Spiegel Online“, 15.12.10, mit der kommentierenden Erläuterung: „Der Kern des Problems aber ist, da sind sich die Fachleute einig: Ein Staatsvertrag, der nur in Deutschland beheimatete Webseiten reglementiert, ist in Zeiten digitaler Globalität ein stumpfes Schwert“.) Jüngere Politiker quer durch alle Bundestagsparteien
(zum Beispiel Thomas Jarzombek, CDU, Björn Böhning, SPD, Malte Spitz, Die Grünen/Bündnis 90) hatten sich gegen die paternalististischen Vorstellungen der „Rundfunkpolitiker“ artikuliert. Der durch den Ablehnungsbeschluss des NRW-Landtags auch persönlich gekränkte Mainzer Staatskanzleichef Stadelmaier griff die CDU als „medienpolitisch verlotterten Haufen“ an, weil er nicht zu Unrecht ein Ende der bisherigen Staatskanzlei-Rundfunkpolitik herandämmern sah, mit Konsequenzen bis hin zur Frage des von allen Länderparlamenten zu genehmigenden „Rundfunkbeitrags“ der Bürger. „Das Modell des föderal ausgehandelten Staatsvertrags“, so kommentierte „Spiegel Online“, „der hinter den Kulissen angefertigt und von den Länderparlamenten dann nur noch abgenickt“ werde, stehe möglicherweise vor schweren Zeiten.

„Die Länder haben sich frühzeitig und gut aufgestellt“, so hatte Stadelmaier noch 2009 beim DLM-Symposium in gängiger Politikerdiktion behauptet: „Die Medienpolitik entspricht den Anforderungen der digitalen Welt, wir haben uns den Herausforderungen gestellt.“ Nun wird niemand leugnen, dass Deutschland medienpolitisch zivilisierter und befriedeter ist als Frankreich oder Italien. Dies hat allerdings viel mit den alliierten, vor allem britischen Vorgaben nach 1945 zu tun und weniger mit dem Geschick der politischen Parteien oder föderalen Rundfunkregulierer.  Die „medienpolitische Leistung“ der mit diesem Politikfeld befassten Akteure ist in einem neuen empirischen Rahmen (und mit zu entwickelnder Methodik) auch daran zu messen, wie viel aus den quantitativen und qualitativen Grundbedingungen (einwohnerstärkstes Land der EU, größter Werbemarkt, hohes Bildungsniveau) gemacht wird und wo die deutsche Medienindustrie angesichts neuer Wettbewerber in der internationalen Internet-Ökonomie wirklich steht.  Zudem gilt gerade für die Medienpolitik: Sie muss die Differenzierung „zwischen dem Bereich der Politik und der gründenden und zugleich entgründenden Dimension des Politischen“ (Oliver Marchart) ernst nehmen. Sie muss sich also zur neuen techno-politischen Kontingenz adäquat verhalten können.

Lutz Hachmeister ist Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (Berlin/Köln); Thomas Vesting ist Professor für Öffentliches Recht, Recht und Theorie der Medien am Institut für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main.

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