Norbert Schneider: Medienregulierung 2015. Man wird sich ja wohl noch was überlegen dürfen!

26.08.2011

Wenn man sich über die Zukunft der Medienregulierung Gedanken machen soll, dann wird man einem Blick nach vorne einen Blick zurück voranstellen müssen. Denn was notwendig und was möglich ist, fällt nicht vom Himmel, sondern ist auf die eine oder andere Weise als Entwicklung des Vorhandenen zu sehen: als Variante, als Gegensatz, als Innovation. Oder auch als Trauma. 

Wer es erlebt hat, zweifelt nicht daran: Die föderale Medienregulierung, Abteilung privater Rundfunk, ist vom ersten Tag an auf Vorbehalte, teils aggressive Ablehnung gestoßen. Zwar hat die Politik Landesmedienanstalten gewollt, wenn auch nicht ausschließlich aus sachbezogenen, also edlen Motiven. Doch die föderale Bürokratie wollte sie entschieden nicht und hat sich mit den Medienanstalten bis heute nicht abgefunden. Immerhin wurden ja Kompetenzen in die Landesmediengesetze ausgelagert, die man doch selbst viel besser hätte wahrnehmen können.  Und für die Staatsferne hätte sich argumentativ sicher was finden lassen. Wozu eigene Institute, die auch noch besser bezahlen?

Ein schweres Versäumnis der Länder
Auch die Regulierten selbst, also das Management der Sender, entwickelten von Anfang an – was nicht verwundert – nicht nur ablehnende Gefühle, weil in ihren Augen der Markt als Regulierer völlig ausgereicht hätte, sondern sie übten sich auch – was als sehr viel folgenreicher einzuschätzen ist – in einen ausgestellten Mangel an Respekt, den sie sich zum Beispiel dem Bundeskartellamt gegenüber keinen Augenblick erlaubt hätten. Hinzu kam das schwere Versäumnis, dass die Länder nichts gegen diese despektierliche Haltung unternommen haben. Sie haben es über die Jahre hin hingenommen, dass die Sender den Landesmedienanstalten zur Not wie lästigen Bittstellern begegnet sind und nicht wie Institutionen, die die Ansprüche und Rechte der Gesellschaft vertreten. Nicht auf Zuruf, sondern auf der Basis eines Gesetzes. Übrigens befanden und befinden sich die privaten Veranstalter, was dies betrifft, in einer ziemlich unheiligen Konvergenz mit den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten, die es ebenfalls nie so recht verwunden haben, dass für die Medien im Lande sie nicht die einzige Adresse geblieben sind. Ganz abgesehen von dem Druck, der auf ihren vielen Radiofrequenzen lastete.

Diese Haltung, dieser arrogante Gestus war in den ersten Jahren einfach nur ärgerlich, kontraproduktiv und eigentlich auch ziemlich dumm. Doch ihren Vertretern hat dann immer mehr der Umstand in die Karten gespielt, dass die Länder die allseits erkannten Defizite in der gesetzlichen Ausstattung der Landesmedienanstalten nicht behoben haben. Sie haben vielmehr die Papiertigerzucht entschlossen vorangetrieben. Sie haben die Programmaufsicht jahrelang im freien Instrumentenflug einfach zappeln lassen, haben einerseits Ansprüche proklamiert und gleichzeitig die wirksamen Instrumente zur Umsetzung verweigert. 

Was hätte sein können, wenn die Grundlagen gestimmt hätten, zeigte sich exemplarisch, nachdem die Landesmedienanstalten eine effiziente Gewinnspielsatzung aufstellen durften. Mich hat das – so formulierte ich beim NRW-Medienforum 2010 – zu der Einsicht gebracht: „Jetzt kennen wir den Unterschied in der Wirkung zwischen Buße und Bußgeld“. Was nicht hätte sein dürfen, wird beispielhaft an der nahezu folgenlosen Diskussion über Qualitäten und Quantitäten von Nachrichtenprogrammen sichtbar. Auch hier haben es die Länder an Protesten erst regnen lassen und dann die Landesmedienanstalten in diesem Regen stehen lassen.  Vor allem aber bekam die Front der Verweigerer und Verächter auch dadurch Auftrieb, dass seit dem Ende analoger Knappheiten sich tatsächlich ein Tätigkeitsloch für die Landesmedienanstalten – und damit ein Mangel an Legitimität –auftat, jedenfalls für die, die Regulieren im Kern als das Ausstellen und Überwachen von Verwaltungsakten begreifen. Haben wir nicht immer gesagt, dass wird das alles gar nicht brauchen? Und sehen wir nicht alle jetzt, wie Recht wir hatten?  So lauteten und so lauten die populistisch-unredlichen Parolen.

Doch man muss sich auch selbstkritisch fragen: Haben die Regulierer nicht auch beizeiten schon fleißig daran mitgewirkt, dass dieses Image entstanden ist?  Das wird man wohl leider so sehen müssen. Um mich noch einmal zu einem Selbstplagiat (erneut vom NRW-Medienforum 2010) hinreißen zu lassen: „Meine Kollegen und ich haben manchmal – wie Stanislav Lec sagen würde – ‘das Selbstbewusstsein eines Gespenstes verkörpert, das noch nie jemand erschienen ist‘. Aber richtig ist auch: Der Gesetzgeber hat uns […] nur wenig in die Hand gegeben, vor dem sich ein echter Unternehmer richtig fürchten müsste. Gar nicht zu reden von völlig angstfreien Investoren!“

Aufgaben für eine künftige Medienaufsicht
Angesichts dieser Akzeptanzmängel sowohl bei denen, die die Medienregulierung ins Werk gesetzt haben, als auch bei denen, für die sie gedacht war, ist es erstaunlich, was die Landesmedienanstalten gleichwohl zustande gebracht haben.  Dass das duale Rundfunksystem hierzulande nicht nur funktioniert, sondern auch beträchtliche, manche sagen sogar: weltweit unvergleichliche Leistungen auf beiden Seiten vorweisen kann, ist das Verdienst vieler Akteure. Unter ihnen sind auch die Landesmedienanstalten, die verlässlich dafür gesorgt haben, dass nirgends die Bäume in die Hölle gewachsen sind.

Doch diese Leistung reicht keineswegs für ein neues Mandat aus, das ja vermutlich heutigen Vorstellungen gemäß ein robustes sein muss, das Zuständen gilt und Entwicklungen betrifft, denen gegenüber die analoge Medienwelt etwas eher Gemütliches, jedenfalls insgesamt sehr Überschaubares hatte. Wenn es auch in Zukunft eine Medienaufsicht geben soll, die nicht als von Anfang an eher entbehrlich denunziert werden kann, dann muss es harte plausible Gründe dafür geben, dass der Markt allein weniger denn je, vielleicht er sogar als allerletzter diejenigen Fakten schaffen kann, die eine gemeinwohlverträgliche Medienentwicklung gewährleisten. Gibt es solche Gründe?

In dürren Worten: Die Kernaufgabe, die ich für eine künftige Medienaufsicht sehe, wird darin bestehen, dass sie sich an der Herstellung einer Balance zwischen einem unverzichtbaren Maß an Privatheit, von geschützten privaten Räumen, von Anonymität im Öffentlichen einerseits und der Notwendigkeit von Öffentlichkeit und Transparenz im Interesse von Freiheit und Demokratie andererseits beteiligt. Eine künftige Medienaufsicht muss in Stand gesetzt wer den, in der Fülle der Geschäftsmodelle ein Modell von Gesellschaft zum Zuge zu bringen, in dem die Menschen die Medien, nicht aber die Medien die Menschen beherrschen. Nicht, dass das nicht schon bisher so gewesen ist! Doch die Bedrohungen, die Einschränkungen wachsen. Und verlangen einen neuen Ansatz für medienpolitisches Handeln.

Das derzeit besonders prekäre Moment der Digitalisierung, der unregulierte Fluss von Daten, der diejenigen, auf die er schließlich zufließt, mit umfassenden Kontrollkompetenzen über einzelne Menschen ausstattet, begleitet vom Gedanken und den Versuchen einer Mensch-Maschine, würde ohne eine entsprechend ausgestattete Regulierung den privaten Raum und mit ihm das autonome Individuum nach und nach auflösen und zerstören. Der Mensch als Datenbündel ist das Neue, was ihn beispielsweise vom Fernsehempfänger fundamental unterscheidet.

Neues Personal im Team der Regulierer
Diese überwiegend vom Markt gesteuerte Entwicklung muss durch eine gesellschaftliche Regulierung eingefangen werden, die über Instrumente verfügt, die die bisherige Medienregulierung nicht hatte, die aber zum Beispiel für Kartellbehörden schon immer ganz selbstverständlich waren. Sie müssten beispielsweise in der Lage sein, falls es sie je geben würde, eine Verhöhnung der Regulierung durch, sagen wir, Facebook unverzüglich zu ahnden. Die Kompetenzen müssen von Untersagungen bis zu Enteignungen reichen, wenn die Gesellschaft ihren Anspruch nicht aufgeben will, dass sie ihre Angelegenheit selbst regelt, dass sie ihre Verabredungen selbst trifft, dass sie ihre Werte selbst aushandelt und schützt. Dass sie Hund bleibt und nicht Schwanz wird, wie etwa bei den Banken. 

Wenn man dies – hier nur sehr grob skizziert – als einen Kern am besten schon einer zeitgemäßen, auf alle Fälle aber künftigen Regulierung mit Blick auf die Schutzzwecke ansieht, dann ist damit nicht gesagt, dass sich die derzeit praktizierte Regulierung und ihre Ziele damit erledigt hätten. Auch wenn digitale Kontrollmacht das kommende Thema sein wird, bleibt analoge Meinungsmacht noch auf lange Zeit auf der Agenda. Es gibt zwischen der analogen und der digitalen Welt nicht nur den Bruch, es gibt ebenso Kontinuitäten. Fernsehen ist ein solches Medium im Zwischenraum, mit jenem Mangel an Beteiligung des Nutzers, den das soziale Netzwerk locker beseitigt, aber auch mit dem Privileg, Öffentlichkeit zu gewährleisten, das die Medienmaschine Internet zwar theoretisch ebenso leicht, praktisch aber keineswegs ausgleichen kann. Analoge Regulierung muss nach wie vor Öffentlichkeit fokussieren, digitale neuerdings Privatheit.

Erst jetzt, wenn wenigstens in Umrissen geklärt ist, wozu man künftig Medienregulierung braucht, stellt sich die Frage, mit der man die Diskussion in der Regel beginnt, wobei man sich dann mangels konkreter Ziele schon nach wenigen Minuten im Kreis dreht: die Frage der Regulierungsstruktur, des institutionellen Rahmens, der einzelnen Institute, des Personals, nicht zuletzt auch die Frage nach den Orten, deren Beantwortung in der Vergangenheit auch zu ebenso amüsanten wie abstrusen Resultaten geführt hat.

Träger könnte nur der Bund sein
Zum Kernpersonal werden auch künftig Juristen gehören, wenn auch eher solche, die über Persönlichkeitsrecht und Eigentumsrecht etwas wissen als über Verwaltungsrecht. Neu und künftig unverzichtbar werden solche Informatiker sein, die auf Augenhöhe mit den Kreativen von Apple, Google, Facebook & Co.  samt Nachfolger agieren und die man mit leicht aufgeblasenen Beamtengehältern kaum gewinnen wird. Neu im Team der Regulierer werden Sozialwissenschaftler sein, eine Art digitale Profiler, die anthropologische und technologische Diskurse verbinden können. Das würde übrigens auch die Zahl der Gutachten und Expertisen erheblich reduzieren. Die meisten Angelegenheiten müssten – keine frohe Botschaft für die großen Kanzleien – inhouse erledigt werden. Das geht schneller und schafft, wenn man sich gutes Personal leisten kann, mehr Reputation.

Und was heute nur in bescheidenen Ansätzen existiert, bedarf einer substanziellen Aufstockung: Es muss die Experten für die öffentliche Darstellung und Vermittlung geben, ohne die institutionelles Handeln heute in der Vergeblichkeit verendet. Eine Medienanstalt muss kampagnenfähig sein. Und wenn – was Kleingeisterei beizeiten mit aller Macht zu verhüten versuchen wird –, wenn auch ein richtiger Philosoph dabei wäre in diesem Team, dann wäre das, wenn es sich um eine entsprechende Person handeln würde, zur Ausweitung und späteren Abschaffung des Tellerrandes ein purer Gewinn.

Schließlich werden die Medien in Zukunft noch mehr als schon heute ökonomischen Mustern und Vorgaben folgen. Es müsste, verglichen mit der Vergangenheit, nicht mehr nötig sein, sich von Dritten gutachterlich erklären zu lassen, was eine Heuschrecke ist. Um dann doch sagen und machen zu müssen, was man für richtig hält. Eigener ökonomischer Sachverstand müsste für dergleichen Fragen ausreichend zur Verfügung stehen. Das Ganze ließe sich in zwei, drei Kammern organisieren, mit einem Präsidenten natürlich – was denn sonst? – und Vorsitzenden.  So arbeitet man schnell und konzentriert. Es ist selbsterklärend, dass die entsprechende Einrichtung keine föderale mehr sein könnte, weil die Objekte ihres Handelns sich durch hemmungslose Ortsungebundenheit auszeichnen. Träger dieser Regulierung könnte nur der Bund sein. Er müsste sie im Übrigen dann auch finanzieren. Dafür könnten geschätzte 50 Millionen Euro reichen.

Das Resultat abwesender Regulierung
Dabei könnte man überlegen, ob eine Zweiteilung Sinn machen könnte: die eine Einrichtung, die sich um die Qualität der Medien kümmert, soweit dies mit Artikel 5 des Grundgesetzes vereinbar ist (und da ist mehr Platz, als immer wieder behauptet wird), verbunden mit der überfälligen ‘Stiftung Medientest‘, aufgestockt durch ein wissenschaftliches Department nach Art des Hans-Bredow-Instituts; und eine zweite Einrichtung, die alles reguliert, was man zählen kann – vom Zuschauermarktanteil bis zum Datenverkehr, ausgestattet mit Eingriffsrechten bei Fehlentwicklungen, die denen des Kartellrechts vergleichbar sind. Dabei reicht der Blutegel, es bedarf nicht der Garotte. Und den Gedanken, eine solche zweite Einrichtung unmittelbar, wie die Bundesnetzagentur, einem Bundesministerium, etwa dem des Inneren, zu unterstellen, sollte man nicht gleich mit Empörung zurückweisen. Wer politisch wirken soll, braucht politische Macht. Mindestens braucht er politisches Backing.

Dass nach wie vor für regionale Medienregulierung genug bleibt, steht außer Frage. Dass diese dann auch eine Verbindung zu bundesweiten Einrichtungen haben sollte, ebenfalls. Doch dass eine föderale Struktur auch in Zukunft angemessen sein könnte, ist ein Gedanke, den man sich aus dem Kopf schlagen sollte.  Nicht, weil man das föderale Moment für überlebt hält. Das kann in diesem Kontext dahinstehen. Sondern weil es schon national schwer genug sein wird, wirksam zu regulieren. Aber die Aufsicht dann auch noch europaweit zu organisieren, wäre, wenn Europa besser dran wäre, sicher eine gute, jedoch keine realisierbare Idee.

Es wird immer welche geben, die Regulierung für so überflüssig halten wie ein drittes Nasenloch, die dem Markt allein vertrauen, jenem „freien Spiel der Kräfte“, vor dem das Bundesverfassungsgericht einst in Sachen Fernsehen gewarnt hat.  Auch das Ende von Lehman und seinen Brüdern, das Resultat abwesender Regulierung kann solche Optimisten nicht überzeugen. Dass sie auch in Zukunft ohne Regulierung leben wollen, werden wir ertragen müssen. Sie bitten wir nur heute schon höflich, dann nicht nach doch nach dem Staat zu rufen, wenn ihnen ein Wettbewerber ihr Geschäftsmodell verdorben hat.

Angesichts der Langsamkeit deutscher Medienpolitik wagt man kaum zu hoffen, dass ein neues Regulierungssystem so zügig geschaffen wird, wie es nötig wäre. Sollte es nicht bis spätestens 2015 machbar sein? Und zum Schluss wollen wir nicht die einzig wichtige Frage in dieser Angelegenheit vergessen: Wohin mit alledem? Die Antwort ist im Grunde schon gegeben: in die Friedrichstraße nach Berlin. Wohin denn sonst?

Norbert Schneider, 70, war von 1993 bis 2010 Direktor der in Düsseldorf ansässigen
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM).

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