Disney: Sinn und Unsinn einer möglichen Twitter-Übernahme

04.10.2016

CC by 3.0. Dom 479

Das von Bloomberg letzte Woche kolportierte Interesse von Walt Disney an einer möglichen Übernahme von Twitter wird auf den Medien- und Technologieseiten weiter ausgiebig diskutiert. Der Medienkonzern aus Kalifornien, der in den vergangenen Jahren mit den Übernahmen von Pixar, Marvel und LucasFilm dreimal goldrichtig lag, müsste für Twitter zwischen 15 und 30 Milliarden Dollar bezahlen. Im Netz ist derweil eine Debatte darüber entbrannt, ob Twitter sinnvoll in die Konzernstruktur von Disney integriert werden könnte. Während einige Kommentatoren durchaus Synergieeffekte identifiziert haben, gibt es andere für die eine Übernahme - nicht nur durch Disney sondern auch von anderen Interessenten aus der Medienkonzernwelt - überhaupt kein Sinn macht. Ob das Unternehmen tatsächlich ein Angebot für Twitter abgeben wird, ist fraglich. Das bloße Interesse zeigt jedoch, dass sich Disney ebenso wie die gesamte Medienindustrie angesichts seines stark kriselnden Sport-Senderkette ESPN händeringend nach neuen Vertriebsmodellen umsieht.

Durch den Erwerb von Twitter könnte Disney Millionen von ehemaligen Kabelkunden erreichen, die ihre kostspieligen ESPN-Pakete in den letzten Monaten und Jahren gekündigt haben. Fast die Hälfte aller Twitter-Konversationen über TV-Inhalte drehen sich um Sportevents. Twitter hat jüngst in den USA mit der Übertragung von prestigeträchtigen NFL-Footballspielen begonnen- und damit wohl auch das Interesse von Disney geweckt, das mit dem kürzlich erfolgten Erwerb von BamTech ebenfalls in den Sport-Streaming-Markt eingestiegen ist. Ein von Disney kontrolliertes Twitter könnte sich mittel- und langfristig zu einem reinen Video-Hub entwickeln. Zudem würde Disney Twitter nutzen, um seine TV- und Filminhalte noch effektiver zu vermarkten. Dass Twitter-Chef Jack Dorsey im Aufsichtsrat von Disney sitzt, könnte die Übernahmeverhandlungen vereinfachen.

Gegen einen Deal spricht aber die DNA von Twitter als relativ basisdemokratische Plattform, auf der jeder - inklusive politisch und moralisch zweifelhaften Personen - seine Meinung kundtun kann. Diese Meinungsanarchie ließe sich nur schwer mit den Wertevorstellungen des Disney-Imperiums vereinen, das seit Jahrzehnte auf eine strenge inhaltliche Kontrolle seiner Inhalte wertlegt. Zudem würde eine Übernahme die Beziehungen von Twitter zu anderen Medienkonzernen nachhaltig beschädigen. Diese könnten das Netzwerk boykottieren und Twitter würde sich zu einem rein auf Disney-Inhalte spezialisierten PR-Arm entwickeln. Das schwerwiegendste Argument gegen den Kauf von Twitter ist jedoch Twitter selbst. Fakt ist, dass der Dienst in seiner jetzigen Form schlichtweg nicht in der Lage ist, Produkte an seine User zu vermarkten (was auch der Grund ist, warum das Unternehmen zum Verkauf steht).

Nichtsdestotrotz ist das verbürgte Interesse von Disney an Twitter auch ein Indiz für die Ratlosigkeit, die im Konzern momentan vorherrscht. Trotz wertvoller Marvel und Star Wars-Lizenzen, die dem Unternehmen Rekord-Gewinne bescheren, kann sich der Aktienkurs des Unternehmens einfach nicht von der ESPN-Krise erholen (die Disney-Aktie ist in diesem Jahr einer der am schlechtesten performenden im Dow Jones-Index). Die Frage ist nun, ob der in eineinhalb Jahren ausscheidende CEO Bob Iger seine glänzende Bilanz mit einer riskanten und milliardenschwere Übernahme aufs Spiel setzt.